Auf Biegen und Brechen

Breakdance zwischen Straßentanz und Bühnenshow

Die Gewinner der Deutschen Meisterschaften im Breakdance: Die "Battle Toys" trainieren seit 15 Jahren zusammen.
Die Gewinner der Deutschen Meisterschaften im Breakdance: Die "Battle Toys" trainieren seit 15 Jahren zusammen. © Deutschlandradio / Caroline Kuban
Von Caroline Kuban |
Die deutsche Breakdance-Szene ist inzwischen Kulturgut: Die besten Tänzer reisten jüngst auf Einladung des Goethe-Instituts nach Saudi Arabien. Andere trainieren noch in Hinterhof-Sälen. Reporterin Caroline Kuban hat sich in der Szene umgehört und Nachwuchs-Breakdancer zu den Deutschen Meisterschaften in Hannover begleitet.
Sie drehen Pirouetten auf dem Kopf, die Beine wie Helikopterflügel in der Luft routierend, sie springen meterweit im Handstand und wirbeln auf dem Boden herum wie menschliche Kreisel.
Breakdance ist nicht nur in der Hip-Hop-Szene auch nach seinen Anfängen in den 70ern noch ein beliebter Sport unter Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Ursprünglich auf den Straßen der Bronx in New York City als Kampf zweier Gangs gegeneinander entstanden, kämpft man heute auf den Bühnen etablierter Veranstaltungen weltweit.
Höhepunkt der Saison ist der "Battle oft the Year", ein internationaler Breakdance-Wettbewerb, bei dem sich die Weltbesten messen. Die nationale Vorausscheidung, die Kür des deutschen Teilnehmers, findet regelmäßig in Hannover statt:

Text zum Nachspiel-Feature:
Sonntagabend, 18 Uhr. Rauchschwaden wabern über das Parkplatzgelände in Berlin-Wedding. An der Hauswand stapeln sich leere Kisten. Aus offenen Türen dringen türkische Klänge in den Hof. Männer in dunklen Anzügen grillen Schafe.
Hier finden regelmäßig Hochzeiten statt, sagt der Eigentümer des gegenüberliegenden Tanzstudios. Er heißt Chico. Seit zwei Jahren unterrichtet der 47-jährige Chilene Kinder und Jugendliche. Breakdance ist sein Leben, sagt er.
Viele Eltern könnten es sich nicht leisten, ihre Kinder zum Sport zu schicken. "Und jetzt aber, durch dieses Bildungsprojekt, können sie das Kind bei uns tanzen lassen: Auftritte, Battles, raus aus Berlin. Wir fahren regelmäßig raus. Das machen andere Tanzschulen auch nicht."
Sieben Kinder zwischen acht und zwölf Jahren stehen vor der Spiegelwand und gehen in dem kleinen Saal zum wiederholten Mal ihre Choreografie durch. Eine Woche vor ihrem Auftritt beim nationalen "Battle of the Year", dem bedeutendsten Breakdance-Wettbewerb in Deutschland, gibt es noch einiges zu feilen, sagt Chicos Co-Trainer Nico.

"Chicos Floor Rockers" nennt sich die Gruppe, die erst seit einem Jahr regelmäßig gemeinsam trainiert. Ein sehr junges Team, bei dem drei der Tänzer seit drei Jahren dabei sind, alle anderen erst seit einem Jahr.
Niklas ist zehn und gehört von Anfang an zu "Chicos Floor Rockers". Sein Breakdance-, das heißt "B-Boy"-Name, ist Nick: "Ich hab mir das schon immer gerne angeguckt und mir immer Sachen ausgedacht, und dann war da halt mein Freund, der hat dann Breakdance gemacht. Und dann wollt ich das auch machen."

Viermal die Woche geht Niklas mittlerweile zum Training, zusätzlich übt er zu Hause eine Stunde täglich. Keine Seltenheit unter ambitionierten Breakdancern. Denn auch wenn sich die Schrittfolgen, die sogenannten Footworks zügig lernen lassen, für die Powermoves, die kraftvollen, akrobatischen Bewegungen, braucht es einige Zeit, sagt Chico:
"Der stärkste, krasseste Powermove ist immer noch der Airflare zurzeit. Beim Bodenturnen wird er gesprungener Handstand genannt, aber beim Bodenturnen ist er nur ein halber Sprung. Und wir springen um die gesamte Achse. Also wir drehen eine ganze Runde in der Luft und landen dann wieder auf der anderen Hand."
Dritte Basis-Komponente beim Breakdance sind neben den Footworks und den Powermoves die sogenannten Freezes. So nennt man eine Bewegung, die der Breaker am Ende seiner Vorstellung noch ein paar Sekunden lang hält, also "einfriert".
Zwanzig Quadratmeter müssen reichen: Breakdance-Training in Berlin-Wedding
Zwanzig Quadratmeter müssen reichen: Breakdance-Training in Berlin-Wedding© Deutschlandradio / Caroline Kuban

Breakdance auf dem Kurfürstendamm, das war in den 70ern

Chico beschäftigt sich seit seinem 14. Lebensjahr mit Breakdance.
Als chilenischer Flüchtling kam er mit seiner Familie Ende der 70er-Jahre über Rumänien und die DDR nach West-Berlin. Auf dem Kurfürstendamm lernte er Breakdance kennen, schloss sich einer Gruppe an und begann später jüngere Kinder in Jugendfreizeitheimen zu unterrichten. Die Nachwuchsarbeit, den sozialen Erziehungsauftrag, das sieht Chico als seine Berufung:
"Das ist mein Lebensinhalt. Ich bilde sie aus bis zu einem bestimmten Punkt. Irgendwann kann ich denen nichts mehr geben. Alle Zuneigung, alle Tricks, alles, was ich so an positiven und negativen Dingen in meinem Leben als Breakdancer erlebt habe, hab' ich denen vorgelebt, vorgehalten, - und irgendwann mal geht es weiter."
Zum Beispiel bei den "Ghost Dogz", einer Gruppe von jugendlichen Tänzern, die zur Hälfte aus Chicos ehemaligen Schülern besteht.
Sie sind alle um die 20 und Anwärter auf den deutschen Meisterschaftstitel beim "Battle of the Year" - kurz Boty - in Hannover. Ozman ist einer von ihnen. Ende 2007 fing er an zu tanzen, bis heute ist er dabei geblieben.
"Schule hab ich damals leider links liegen lassen, hab eine Zeit lang Kurse gegeben, halt Streetshows gemacht, Straßenshows. Dadurch finanziert man sich auch schon vieles, und zurzeit bin ich halt offen so."

Tägliches Training gehört auch für ihn zum Leben, vor allem natürlich, wenn es um einen so wichtigen Wettbewerb wie den "Battle of the Year" geht.
Bei den Ghost Dogz läuft immer was, meint Ozman, man hat immer Spaß, man lacht viel, und man zollt einander Respekt. Genau darum geht es beim Breakdance. Respekt in der Gruppe.
Ein guter Breaker braucht Ehrgeiz, Disziplin und Ausdauer. Und er darf kein Weichei sein, sagt Alex von den Ghost Dogz, der sich zum Hotelfachmann ausbilden lässt und zur Zeit trotz Knieverletzung tanzt.

"Die Kniescheibe ist einmal bei mir rausgesprungen"

Denn ohne Blessuren geht es nicht bei einem ernstzunehmenden Training.
"Darum heißt es ja Breakdance. Also beim Breakdance ist es so: Man verletzt sich öfters, auf jeden Fall. Die Kniescheibe ist einmal bei mir rausgesprungen, ein Meniskusriss, und meine Schulter ist auch einmal rausgesprungen."
15 Kilometer südlich vom Wedding, in Berlin-Kreuzberg, liegt die Flying Steps Academy. Mit über 1000 Schülern pro Woche ist sie die größte urbane Tanzschule Deutschlands.
Samir hat sich hier auf Breakdance spezialisiert. In weiten Trainingshosen, T-Shirt und Basecap steht er auf dem Parkett und gibt Hilfestellungen.
Improvisation sei alles im HipHop, Kreativität unabdingbar. Es sei sehr wichtig, dass man als Tänzer seinen eigenen Charakter entwickele, betont Samir:
"Es gibt Leute, die lassen sich inspirieren durch Comics. Die gucken sich Superman an oder bestimmte andere Comics. Es kann auch sein, dass sich einer Pokemons anguckt und dann so geflasht ist und hingeht und sagt: Ey, ich beweg' mich jetzt mal ein bisschen so wie die. Da gibt es auch abstrakte Leute, die gucken sich Horrorfilme an, sehen irgendwelche Bewegungen und dann kommen sie so abstrakt rein."
Breakdance ist ein sehr männerdominierter Sport. Mädchen sieht man eher selten. Die Powermoves erfordern eine Menge Kraft. Die 16-jährige Melissa vermutet noch einen anderen Grund:
"Warum es so wenig Mädchen machen? Ich glaube eher, weil die sich für HipHop oder DanceHall mehr interessieren, weil es auch viel leichter ist. Man braucht für Breakdance wirklich diese Motivation und Geduld, um das alles hinzukriegen. Als ich es nur ein Jahr gemacht habe, konnte ich keine Powermoves. Aber uns würde es auf jeden Fall freuen, wenn viel mehr Mädchen mitmachen, weil es auch viel cooler ist, Mädchen-Battles zu sehen. Das ist auch richtig selten."
Der Geist des Breakdance ist der Wettkampf, der "Battle". Eins gegen eins, Gruppe gegen Gruppe. Das ist so, seit der Straßentanz Ende der 60er-Jahre zwischen schwarzen und puerto-ricanischen Jugendlichen im New Yorker Stadtteil Bronx aufkam.
Heute sei das anders, erklärt Samir: "So wie früher in der Bronx gibt es das jetzt nicht mehr: Dass da die Leute sich vorher irgendwie abgeschlachtet haben, und dann gesagt haben: Komm, wir machen jetzt mal den waffenlosen Kampf. Das heißt: Wir tanzen uns kaputt, aber durch Moves, da brauche ich dir nicht irgendwie ein Messer an den Hals hängen oder ich haue dir eine rein - das gab es ja mal früher."

Seit 1983 gibt es die deutsche Meisterschaft im Breakdance

Samstagnachmittag im Kulturpavillon in Hannover. Im abgedunkelten kleinen Saal sind die Battles in vollem Gange.
Die Veranstaltung läuft reibungslos, Geschäftsführer Thomas Hergenröther kann sich entspannen. Der jugendliche Mittvierziger in Jeans und Kapuzenpulli gehört zu den Tänzern der ersten Generation. Seit 1983 veranstaltet er mit seiner Agentur für Jugendkommunikation, "Six Step", einmal jährlich den "Battle of the Year"- die deutsche Meisterschaft im Breakdance.
Hergenröther sitzt an einem Tisch in der Küchenecke im Backstage-Bereich und nippt an seinem Kaffee. Einiges hat sich geändert mit den Jahren, erzählt er. Die Szene ist den Kinderschuhen entwachsen, hat sich etabliert, sei durch das Internet viel besser vernetzt.
15 Gruppen sind am Start, insgesamt messen sich etwa 250 Tänzer in den verschiedenen Wettbewerben. Ziel aller Teilnehmer ist es, die Qualifizierung für den internationalen "Battle of the Year" zu schaffen - die Weltmeisterschaft der Breakdancer. Sie findet dieses Jahr in Essen statt. Bewertet wird nach ähnlichen Kriterien wie beim Eiskunstlauf oder Kunstturnen, sagt Thomas Hergenröther:
"Für die sechsminütige Show im Hauptwettbewerb gibt es ein System mit verschiedenen Kategorien. Die Hälfte der Kategorien bezieht sich auf das Thema Choreografie, Bühnenpräsenz, Musik und Thema der Show. Und die andere Hälfte bezieht sich ausschließlich auf die Kriterien des Tanzes, also vom Breakdance. Dafür gibt es eins bis zehn Punkte, und so wird das dann am Ende über ein Computersystem zusammengerechnet."
Während im kleinen Saal noch die ersten Vorwettkämpfe laufen, bereiten sich im Übungsraum nebenan die Gruppen auf ihre abendliche Show vor, tanzen sich warm. Eine Stunde vor dem Auftritt kann Co-Trainer Nicolai seine achtköpfige Crew, "Chicos Floor Rockers", kaum noch im Zaum halten. Die Nervosität steigt.
Der Auftritt läuft reibungslos, die Synchronität stimmt, die Powermoves klappen. Doch die Konkurrenz ist stark und am Ende verpassen Chicos Floor Rockers den Einzug ins Halbfinale.
Doch Thomas Hergenröther freut sich. Auch in diesem Jahr ist das Haus wieder ausverkauft. In der Pause sitzt er an seinem Verkaufsstand und bringt T-Shirts von berühmten Tänzern unter die Leute.
"Die Tänzer haben heute viel mehr Möglichkeiten. Damals war das eine Szene, in sich geschlossen, so eine Subkultur. Und heute hat jeder die Möglichkeit, kann Tanztheater … Der Raphael, der heute in der Jury sitzt, kommt gerade vom Tanzkongress, gefördert von der Kulturstiftung des Bundes. Das wäre undenkbar gewesen vor 20 Jahren, dass das auch so im zeitgenössischen Kunst- und Kulturding anerkannt wird. Oder im kommerziellen Bereich - für Hollywoodfilme - tanzen. Das find ich gut."
Raphael Hillebrandt, einer der vier Wertungsrichter beim diesjährigen "Battle of the Year", ist in vielen Kulturen zu Hause. Geboren in Hongkong, der Vater aus Madagaskar, die Mutter Deutsche, ist Raphael als Profi-Tänzer in der ganzen Welt unterwegs.

Eine künstlerische Herausforderung: Tanzen im repressiven Saudi Arabien

Er tanzt hauptsächlich auf Theaterbühnen, hat einen Masters in Choreografie und arbeitet an verschiedenen interkulturellen Projekten mit. Zuletzt im Februar, gemeinsam mit dem Goethe-Institut, in Saudi Arabien.
"Wir haben das erste Mal Tanz-Unterricht in einem Land gegeben, wo Tanz eigentlich nicht erlaubt ist und haben das am Ende sogar öffentlich aufgeführt - mit Genehmigung bei einem Festival. Und ich glaube, das war das erste Mal, dass in diesem Land unter freiem Himmel - vor Männern und Frauen im Publikum - sich zu Musik frivol bewegt wurde, nach deren Verhältnissen. War ein großer Schritt, war toll.
Ich war erst sehr skeptisch, dahin zu fahren, weil die sechs Wochen vorher - ich glaube - 40 Menschen den Kopf abgeschnitten haben. Aber im Endeffekt war es für uns toll, den Tänzern dort die Möglichkeit zu geben, auf die Bühne zu gehen. Der deutsche Botschafter eröffnet das, die Eltern sehen das, und auf einmal ändert sich auch dieses ganze Bild von Tanz im Kopf bei denen. Weil die das immer nur mit Flirten und Disco in Verbindung bringen und nicht mit künstlerischem Ausdruck."
Zum "Battle of the Year" kommt Raphael seit 1997. Zunächst als Zuschauer, dann als Tänzer und schließlich als Jury-Mitglied.
"Für mich ist das ganz wichtig zu unterscheiden: Wenn man auf so einem Wettbewerb ist, ist das keine Kunst mehr, dann ist das Sport. In der Kunst gibt es kein richtig und falsch, besser und schlechter."

Breakdance und Bach - die Kombination lockt jede Menge Publikum

Beim "Battle of the Year" hat schon so manche Karriere ihren Anfang genommen. So gewannen die inzwischen berühmten "Flying Steps" 1994 und 2000 den Weltmeistertitel beim Boty. Heute führen sie nicht nur ihre Tanzschule, die Flying Steps Academy, mit 40 Dozenten und Mitarbeitern.
Aus der zehnköpfigen Crew sind mittlerweile 35 Profi-Tänzer geworden, die mit ihren Shows regelmäßig weltweit auf Tour sind. Ihren Durchbruch hatten sie 2010 mit dem Programm "Red Bull Flying Bach" - Breakdance kombiniert mit klassischer Musik von Johann Sebastian Bach.
Das Programm machte bisher in 31 Ländern Station und begeisterte bis heute über 400.000 Zuschauer.
Was ist ihr Erfolgsrezept? Wir schaffen es, ein sehr breites Publikum anzusprechen, sagen sie. Klassikinteressierte, ältere Menschen kämen ebenso wie actionfreudige junge Leute. *
Unterdessen nähert sich der "Battle of the Year 2016" seinem absoluten Höhepunkt.
Zehn Minuten lang geben die "Ghost Dogz" und die "Battle Toys" noch einmal alles: Rasante Kopfdrehungen, schnelle FlicFlacs, gewagte Airflares, alles ist vertreten. Akrobatik in Perfektion. Allein, zu zweit und in der Gruppe.
Am Ende siegen die "Battle Toys", eine Gruppe, die seit 15 Jahren zusammen trainiert. Enttäuschung bei den "Ghost Dogz".
"Vom Gefühl her dacht ich, wir haben gewonnen, ehrlich gesagt. Und dann hab ich nochmal nachgedacht. Wir haben weniger Routines gemacht als die, am Ende ein bisschen geschwächelt, aber am Anfang haben wir die … Ach, keine Ahnung. Im Finale ist es schon scheiße zu verlieren."
Und dennoch: Im nächsten Jahr wollen sie wieder dabei sein.

"Breakdance wird auf der ganzen Welt getanzt, und wir haben es einfach nur in Europa und deutschlandweit wieder sehr populär gemacht und gezeigt, dass Breakdance nicht einfach nur ein Straßentanz ist. Es ist eine Kultur, die aus einem Straßentanz entstanden ist. Aber es ist inzwischen eine Kunstform. Die Leute müssen einfach verstehen, dass das, was wir machen, kunstvoll ist."
(huc)
* Anmerkung der Redaktion: Zum Thema "Battle of the Year" haben wir Korrekturen vorgenommen. Weitere Infos finden Sie hier.
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