Artom Wesjoly: "Blut und Feuer"

Der universelle Anti-Kriegs-Roman

Ein großer Roman über eine brutale Zeit: "Blut und Feuer" von Artom Wesjoly
Ein großer Roman über eine brutale Zeit: "Blut und Feuer" von Artom Wesjoly © picture alliance / dpa / Ria Novosti / Sputnik / Aufbau Verlag
Von Olga Hochweis · 15.06.2017
"Blut und Feuer" ist ein epochales Werk - der Autor Artom Wesjoly wurde 1938 in der Moskauer Lubjanka erschossen. Jetzt ist der Roman über die Oktober-Revolution erneut auf Deutsch veröffentlicht worden, ergänzt um Passagen, die zuvor nicht übersetzt worden waren.
"Blut und Feuer” gilt in der russischen Literaturgeschichte als epochaler Roman über die Oktober-Revolution und ihre unmittelbaren Folgen während des Bürgerkriegs. Aus Anlass des 100. Jahrestags der Revolution erlebt das Buch jetzt eine deutschsprachige Wiederveröffentlichung - ergänzt um einige bislang unübersetzt gebliebene Passagen.
Gleich die ersten Roman-Seiten nehmen die ganze Welt in den Blick und lesen sich wie ein universeller Anti-Kriegs-Roman:
"Über die Sandwüsten von Syrien und Mesopotamien, über die von Schützengräben zerfurchten Felder der Champagne und der Vogesen krochen Tanks, zermalmten auf ihrem Weg alles Lebendige."

Originaltitel: "Russland in Blut gewaschen”

In Rußland haben sich 2014 nach Ausbruch des Krieges gegen die Ukraine gleich mehrere Verlage des Romans durch Neuausgaben erinnert. Sein russischer Originaltitel "Russland in Blut gewaschen” spricht Bände: Nicht eine Erneuerung des Landes ist gemeint, sondern ausufernde Gewalt quer durch alle gesellschaftlichen Gruppen.
Auch der Autor, zu Lebzeiten vielpublizierter Schriftsteller und Journalist, fiel der Gewalt zum Opfer. 1938 wurde Artjom Wesjoly nach mehrmonatiger Folter in der Moskauer Lubjanka erschossen, knapp ein Jahr nach Erscheinen einer vernichtenden Zeitungsrezension. Der Artikel beschuldigte Wesjoly mit Blick auf den Roman, "in der Revolution nur ein blutiges Chaos zu sehen, nur Aufruhr”.
Tatsächlich hatte Wesjoly die Bolschewiken lange unterstützt. 1899 in Samara/ Wolga als Nikolaj Kotschkurow in die Familie eines armen Analphabeten geboren (14 Geschwister starben noch im Kindesalter), schloss sich der 18-jährige den Bolschewiken an, trat bald danach in die Rote Garde ein und kämpfte an mehreren Fronten des Bürgerkriegs.

Wesjoly schrieb unablässig an dem Buch

Im April 1920 reiste Wesjoly als Redakteur der Zeitung "Roter Kosak” mit einem Agitationszug in die Gebiete der Don-und Kubankosaken – Orte und Begegnungen, die im Buch zentralen Widerhall finden.
Ungeachtet der ersten Veröffentlichung seines Romans 1932 hatte Wesjoly bis zu seiner Verhaftung 1937 unablässig weiter an dem fragmentarischen Werk geschrieben. Der Verzicht auf eine traditionelle Romanform und auf einen zentralen Helden bzw. Plot sind künstlerisches Programm: Unerbittlich rollen die historischen Geschehnisse über individuelle Schicksale hinweg.
Die Anarchie kommt auch formell und sprachlich zum Ausdruck: Wesjolys Stilistik bewegt sich zwischen hartem Naturalismus und auf Klang und Rhythmus fokussierte sogenannte ornamentale Prosa. Zu lesen sind Hoch-und Volkssprache, Folklore, Jargon und Neologismen, hyperrealistische Briefausschnitte und Plakattexte, graphisch abgesetzte treppenförmig herabstürzende Ausrufe, lange Beschreibungen sowie viel mündliche Rede und Dialogfetzen. Wechselnde Figuren tauchen ohne jegliche Vorgeschichte so unvermittelt auf wie sie wieder verschwinden.

Beschreibungen von Exzessen und Lynch-Justiz

Es folgen auktorial erzählte Beschreibungen von Exzessen und Lynch-Justiz, aber auch von der Hungersnot in der Zivilbevölkerung, die sich von Lehm und Eichenrinde ernährt.
In den zensierten Passagen, die nun erstmals übersetzt wurden, stehen neben vielen Opfern auch Täter im Zentrum. "Filkas Karriere” erzählt von jemandem, der im sowjetischen Geheimdienst Tscheka buchstäblich über Leichen geht. Die Geschichte ist eine von zwölf sogenannten "Etüden” im Roman - kurze in sich geschlossene Erzählungen, die - Zitat Wesjoly - "mit dem Romantext durch ihren heißen Atem, den Ort der Handlung, Thema und Zeit verbunden sind”.
Der große formale, stilistische und inhaltliche Reichtum des Romans "Blut und Feuer” lohnt die Lektüre - auch wenn sie zugegeben über die lange Strecke von mehr als 600 Seiten nicht ganz mühelos ist.

Artom Wesjoly: "Blut und Feuer"
Aufbau Verlag, Berlin 2017
640 Seiten, 28,00 Euro

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