Arbeitslos im Wirtschaftswunderland

Von Markus Rimmele · 23.07.2013
Sieben Millionen Uni-Absolventen strömen derzeit auf den chinesischen Arbeitsmarkt. Aber während Unternehmen dringend Facharbeiter suchen, sind die Aussichten für viele junge Akademiker düster.
Ein langer Flur. Links und rechts kleine, teils fensterlose Zimmer mit Stockbetten darin. Ventilatoren laufen gegen die drückende Shanghaier Sommerhitze. Der Tag geht zu Ende, alle kommen wieder mal von einem Bewerbungsmarathon zurück. In dem Hostel weit im Westen Shanghais wohnen vor allem Uni-Absolventen aus Chinas Provinzen, die in der großen Metropole einen Job finden wollen. Ein Bett kostet 35 Yuan, vier Euro die Nacht. San Pao ist 22 Jahre alt, stammt aus der Binnenprovinz Jiangxi, ein studierter Innenarchitekt. Seit zwei Wochen lebt er hier. Jeden Tag durchforstet er Jobanzeigen, besucht Jobmessen, stellt sich vor. Bislang ohne Erfolg:

"Früher war ich naiv. Aber jetzt habe ich verstanden, dass die Realität ziemlich grausam ist. Früher dachte ich: Mit einem Uni-Abschluss komme ich immer durch. Aber mit dem Geld, das einem geboten wird, kann man in Shanghai nicht überleben. Ich kann doch jetzt nach dem Studium meine Eltern nicht mehr um Geld bitten. Heute Nachmittag bei dem Vorstellungsgespräch, da waren so viele Bewerber."

Chinas Hochschulabsolventen finden keine Arbeit. In der Stadt Shanghai sollen erst 40 Prozent des 2013er-Jahrgangs einen Job haben, heißt es in Behördenkreisen. Dabei müssten im Juli an sich alle schon versorgt sein. Doch das klappt schon seit Jahren nicht mehr. Gut ausgebildete Arbeiter können sich vor Angeboten kaum retten. Studierte Juristen, Wirtschaftswissenschaftler und Informatiker hingegen gehen leer aus.

Chinas Wirtschaft hat sich nicht genügend modernisiert, um diese riesige Zahl von Uni-Absolventen aufzunehmen, sagt Peng Xizhe, Soziologe an der Shanghaier Fudan-Universität. Chinas Wirtschaft basiert letztlich immer noch auf Massenarbeit und Produktion. Es gibt in einigen Bereichen schon eine moderne Dienstleistungsbranche. Doch deren Entwicklung ist nicht schnell genug, um sieben Millionen neue Leute jedes Jahr zu absorbieren.

Uni-Abschluss ist das höchste Ziel
Chinas Regierung hat in den vergangenen Jahren viel Geld in die Hochschulen gesteckt. Überall im Land sind Universitäten aus dem Boden geschossen. Ein Uni-Abschluss für das Kind gilt in chinesischen Familien als höchstes Ziel. Doch die Wirtschaft braucht nicht so viele Akademiker. Zumal die Ausbildung an vielen Provinz-Unis schlecht ist und nicht auf die Arbeitspraxis vorbereitet, so die Klage der Arbeitgeber. Der Ehrgeiz treibt viele der Absolventen zur Jobsuche in die großen Metropolen Shanghai, Peking oder Guangzhou. Dort ist die Konkurrenz besonders heftig. Die Gehälter gehen in den Keller.

"Ich habe Informatik studiert", sagt San Paos Zimmergenosse A Song, 21 Jahre alt. "In Shanghai gibt es dafür ja an sich recht viele Möglichkeiten. Aber bislang ist es nicht gut gelaufen. Die bieten mir 2000 Yuan im Monat an, 240 Euro. Ich will mindestens 2500 bis 3000 Yuan. Mit 2000 Yuan ist es unmöglich, in Shanghai über die Runden zu kommen."

Oft liegen die Angebote nur bei 1500 Yuan. Chinas Wanderarbeiter verdienen heutzutage mehr als viele Uni-Absolventen. Ein Arbeiter bei Foxconn, der dort iPhones zusammenbaut, kommt mit den üblichen Überstunden schnell auf 3500 Yuan. Wer in Shanghai als Kurier oder Lieferant Waren ausfährt, kann 5000 Yuan oder 600 Euro im Monat erreichen.

"Wenn diese gut ausgebildeten Absolventen lange Zeit keine Arbeit finden, ist das eine riesige Verschwendung und schlecht für Chinas Wirtschaftsentwicklung. Denn diese Menschen sind unser Kapital", sagt Peng Xizhe. "Das könnte auch soziale Unruhen erzeugen und die Stabilität gefährden. Die Leute werden unzufrieden mit der Gesellschaft und der Regierung."

Peng hält Chinas Bildungspolitik für verfehlt. Das Land brauche weniger Uni-Abschlüsse und dafür eine professionelle Berufsausbildung, idealerweise nach dem Vorbild des deutschen dualen Systems, sagt er. Doch ein solcher Wandel dürfte, wenn überhaupt gewollt, Jahre dauern. Doch in einigen Monaten strömen schon die nächsten sieben Millionen von den Universitäten auf den Arbeitsmarkt.
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