Antiislamismus

Der Orient ist Europas Schicksal

Europa auf einem geografischen Globus
Europa auf einem geografischen Globus © picture-alliance / dpa / Felix Hörhager
Von Konstantin Sakkas · 27.03.2017
Europa und der Orient bilden seit Urzeiten eine geistige und kulturelle Einheit. Wenn Europa nicht ein entsprechendes geopolitisches Narrativ entwickelt und in praktische Politik umsetzt, wird es untergehen.
Der heutige Antiislamismus ist nichts anderes als die moderne Spielart des Antiorientalismus. Über Jahrhunderte hinweg richtete sich dieser Antiorientalismus in Europa gegen die Juden, mit Abstrichen auch gegen die Griechen. An ihre Stelle sind heute "die Moslems" getreten, und in ganz Europa sind antimuslimische Bewegungen auf dem Vormarsch.
Doch mit dem Antiorientalismus schießt sich Europa ins eigene Knie. Denn Europa und der Orient bilden seit Urzeiten eine geistige und kulturelle Einheit. Der Gegenentwurf hierzu war das Konzept der "Westernness", also eines westlichen, atlantischen Europas, das sich vom vermeintlich minderwertigen Orient hermetisch abschottet – ein ebenso uraltes Konzept, das aber bis heute nicht aufgegangen ist.

Alte Weltordnung

So erinnert der israelische Historiker Yuval Harari daran, dass bis ins 18. Jahrhundert Europa das Armenhaus der Welt war. Nordamerika gar war zu dem Zeitpunkt noch eine Wildnis – man rufe sich die grandios-schaurigen Panoramen aus Alejandro Iñárritus "The Revenant" in Erinnerung, auf denen ein geschundener Leonardo Di Caprio sich durch die Eiswüste Louisianas quält. Die industrielle Revolution katapultierte zwar für zwei Jahrhunderte den Westen an die Spitze der Weltordnung. Doch diese Weltordnung ist bekanntlich gerade am Untergehen. Digitalisierung und Krise der Mittelschicht werden hier keinen Stein auf dem anderen lassen.
Abschottung funktioniert vielleicht in den USA, die durch zwei Ozeane vom Rest der Welt getrennt sind; Europa und der Orient aber lassen sich nicht dauerhaft voneinander trennen. Und ist es verwunderlich, dass der Nahe und Mittlere Osten und Nordafrika voll Neid auf Europa als gelobtes Land schauen, während sie selber wirtschaftlich abgehängt sind, hungern und dann auch noch die Stellvertreterkriege des neuen Kalten Krieges über sich ergehen lassen müssen?

Orient ist demographisch in Europa angekommen

All das ist während der Flüchtlingskrise nicht oder nicht ausreichend kommuniziert worden – unabhängig davon, welche Fehler bei ihrer Bewältigung gemacht wurden. Immer noch ist das Orientalische in der öffentlichen Wahrnehmung entweder Gegenstand folkloristischer Sympathie auf der Linken oder kaum verhohlener rassistischer Ablehnung auf der Rechten. Dabei ist der Orient auch demographisch längst in Europa angekommen.
Das sollte endlich auch die deutsche Rechte kapieren, die sich so gern gegen Amerika positioniert, aber schizophrenerweise zugleich auf die "Kanaken" schimpft und von bedrohten "deutschen blonden Mädchen" fabuliert, die dann aber, Überraschung, orientalische Rapper und Fußballspieler heiraten. Ethnische Abschottung wird nicht funktionieren. Dieser Zug ist längst abgefahren.

Vereinigtes europäisch-orientalisches Reich

Und wirtschaftlich? Was bliebe denn übrig, wenn ein reiches Nordeuropa die Mittelmeerländer von Spanien bis Griechenland kaputtspekuliert und seine Grenzen mit Maschinengewehren dichtmacht? Vielleicht eine größere Schweiz. Dass das kein tragfähiges Konzept ist, sollte jedem einleuchten. Europa ist geographisch nichts weiter als der westliche Ausläufer Asiens. Die Vision von einem vereinigten europäisch-orientalischen Reich durchzieht unsere Geschichte wie ein roter Faden: Alexander träumte von einem griechisch-persischen Imperium, Caesar von der Union Roms mit Ägypten. Friedrich II. von Hohenstaufen verhandelte mit dem Ayyubidensultan, und Napoleon versuchte gegen den erbitterten Widerstand des atlantischen Englands, Ägypten und Griechenland zu befreien. Noch der Erste Weltkrieg entbrannte auf dem Balkan, dem orientalischen Ausläufer der K. u. k.-Monarchie.
Den großen politischen Krisen der Gegenwart, ob es um Syrien oder um Griechenland geht, begegnet man nicht mit Populismus und auch nicht mit kleinkariertem Wettbewerbsdenken. Europa muss ein gemeinsames geopolitisches Narrativ entwickeln, und die Deutschen, links wie rechts, sollten sich nicht länger hiergegen stemmen. Denn mit diesem Narrativ steht und fällt am Ende nicht nur Europa, sondern auch Deutschland.

Konstantin Sakkas, Jahrgang 1982, studierte Rechtswissenschaften, Philosophie und Geschichte und schloss sein Studium 2009 an der Freien Universität Berlin mit einer Magisterarbeit über Hannah Arendt ab. Er lebt und arbeitet als Publizist und Kommunikationsberater in Berlin.

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