Angela Merkel - überfordert und retraumatisiert

Von Astrid von Friesen · 02.11.2011
Überfordert, hilf- und ziellos, schwach, ohne Plan, vor sich hergetrieben durch die Banken, die Ratingagenturen. So muten seit Wochen die Regierungschefs Europas an in ihrem Bemühen, die Welt erneut vor dem finanziellen Abgrund zu bewahren.
Weltpolitik wird von Individuen bemacht. Werfen wir also einen Blick auf diese, auf Angela Merkel, die "mächtigste Frau der Welt". Doch sie wirkt blass und farblos, mutlos und fahrig. Sie hat ihre Führungsrolle aufgegeben. Was ist los mit ihr?

Als Traumatherapeut kann man konstatieren: Nahezu alle DDR-Bürger litten jahrzehntelang unter dem Drama der täglichen Drangsalierung, der Ohnmacht, des Ausgeliefertseins, des entwürdigenden Mangels. Frau Merkels Vater, der als Pastor freiwillig in die DDR ging, vielleicht um Christen vor der Überwältigung durch den Kommunismus zu retten, wird in seiner Gemeinde viele solcher Schicksale miterlebt haben.

Und dann das Trauma des DDR-Endes. Auf der emotionalen Ebene wiederholt es sich für Angela Merkel: Sie befindet sich politisch, bezogen auf ihre Weltsicht und ihre Handlungsmöglichkeiten in ähnlicher Situation wie damals um 1989. Auch damals waren "dunkle, undurchsichtige Mächte" am Werk: Die alten Männer der DDR-Führung ebenso wie die der russischen Nomenklatura. Auch damals brach ein Finanzsystem zusammen, wie es jetzt Griechenland, vielleicht sogar Europa droht.

Heute sind es die Ratingagenturen und Börsenspekulanten, die als "dunkle, undurchschaubare Mächte" völlig irrational walten. Es ist ihre Gier, eine gnadenlose, unmenschliche Gier, die an totalitäre Systeme erinnert und ähnliche Wirkungen zeitigt. Die Russen hätten vor 20 Jahren Panzer schicken können, die Ratingagenturen taxieren heute cool und unbeeinflussbar ein Land nach dem anderen immer näher an den wirtschaftlichen Abgrund und stoßen alle Politiker quasi täglich in neue Hilf- und Hoffnungslosigkeiten.

Beides sind Merkmale, außer der Angst vor dem Zusammenbruch, die zu Traumata führen können. Und zwei Jahrzehnte später zu Retraumatisierungen. Diese bewirken zudem emotionale Hilflosigkeit, Starre, oder verzweifeltes Agieren, getrieben von der heutigen realen und wieder aktivierten Angst, dass die Welt zerfällt - wie damals.

Das System DDR wurde zu Grabe getragen durch Demonstrationen, Lichterketten und Gottesdienste, durch eine friedliche Revolution. "Wir sind das Volk" hieß: Wir wollen mitbestimmten, das Handeln wieder in unsere Hände nehmen. Wie es heute rund um den Globus Demonstranten vor den Welt-Banken fordern.

Angela Merkel ist vor 20 Jahren dem Chaos, dem emotionalen Untergang, wie ihn viele DDR-Bürger empfanden, durch politisches Aktivwerden entkommen. Vielleicht kann man sagen, dass ihr Vater, aus dem Westen kommend, die DDR-Christen retten wollte, so wie ihr politischer Ziehvater Helmut Kohl – ebenfalls als Westler - gleich die gesamte DDR sich zu retten anschickte, und ja auch tatsächlich in vielen Bereichen "blühende Landschaften" entstehen ließ.

Doch erst wenn sich Angela Merkel ihre traumabedingten Denkblockaden und ihre emotionale Hilflosigkeit klar macht, wird sie wirklich antreten können, uns alle vor dem wirtschaftlichen Desaster zu retten. Dazu gehört, sich immer wieder die begrenzte Macht klar zu machen, die fassungslos kleinen Spielräume. Damals angesichts der Partei und des Systems, heute angesichts anonymer Finanzmärkte.

Wie Max Weber es formulierte: Sie wird diese Unmöglichkeiten nur zusammenbringen, wenn sie "charismatisch" das große Ziel uns und allen vor Augen führt. Und das ist die Begrenzung dieser gnadenlosen Gier eines losgelösten, frei um den Globus flottierenden totalitären Systems, welches sich Finanzmarkt nennt.


Astrid v. Friesen, Jahrgang 1953, ist Erziehungswissenschaftlerin, Journalistin und Autorin sowie Gestalt- und Trauma-Therapeutin in Dresden und Freiberg. Sie unterrichtet an der TU Bergakademie Freiberg und macht Lehrerfortbildung. Zwei ihrer letzten Bücher: "Der lange Abschied. Psychische Spätfolgen für die 2. Generation deutscher Vertriebener" (Psychosozialverlag 2000) sowie "Von Aggression bis Zärtlichkeit. Das Erziehungslexikon" (Kösel-Verlag 2003). Zuletzt erschien "Schuld sind immer die anderen! Die Nachwehen des Feminismus: frustrierte Frauen und schweigende Männer" (Verlag Ellert & Richter 2006).
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