Amerikas Öffnung für moderne Kunst

Von Hendrik Feindt · 17.02.2013
Mit der Eröffnung der "Armory Show" am 17. Februar 1913 wurden die Vereinigten Staaten in künstlerischer Hinsicht regelrecht aufgerüttelt. Die Ausstellung brachte Stilrichtungen wie Kubismus und Fauvismus über den großen Teich, die in den USA bis dahin fast unbekannt waren.
Mit der Armory Show in New York, so der französische Maler Jacques Villon, sei das goldene Zeitalter gekommen.

"Diese großenteils von dem amerikanischen Maler Walter Pach organisierte Ausstellung war ein Riesenerfolg. Alle Bilder wurden verkauft. Erstmals lachte uns das Glück an."

Etwa 1600 Gemälde, Grafiken und Skulpturen waren ab dem 17. Februar 1913 ausgestellt, in einem eigens zu diesem Anlass für einen Monat leergeräumten Zeughaus - englisch: armory - an der Lexington Avenue in Manhattan. Zu zwei Dritteln waren amerikanische Künstler vertreten, zu einem Drittel Europäer.

Marcel Duchamp, wie sein Bruder Jacques Villon in der Armory Show mit einer Handvoll Arbeiten präsent, erinnerte sich knapp ein halbes Jahrhundert später:

"Was in künstlerischer Hinsicht die Vereinigten Staaten aufgewühlt hatte, war die Ausstellung im Jahre 1913, zu der aus Europa alles gebracht wurde, was man damals Interessantes und Wichtiges machte: Kubismus, Fauvismus, alles, was sie in den U.S.A. über¬haupt nicht kannten, weil sich das Land im Grunde noch, gelinde gesagt, im Kolonialstadium befand."

Am Anfang des Unterfangens stand eine kleine Gruppe von Malern aus New York und Philadelphia, unter ihnen Arthur B. Davies und Walt Kuhn, deren realistische Kunstauffassung und Interesse für zeitgenössische Tendenzen in Europa keinen Widerhall in den amerikanischen Akademien fanden. Rasch wurde eine Vereinigung gegründet, deren Ziel es war,

"Arbeiten fortschrittlicher, sowohl amerikanischer als auch ausländischer lebender Maler auszustellen, unter besonderer Berücksichtigung jener Werke, die üblicherweise von der heutigen Ausstellungspraxis vernachlässigt werden und für die Öffentlichkeit von Interesse und besonderer Bedeutung sind."

Herzstück der "International Exhibition of Modern Art" , so der offizielle Titel der "Armory Show", wurde dann der Ertrag einer Reise, die Kuhn im Herbst 1912 für einen Tag zur Sonderbundausstellung nach Köln, und später, zusammen mit Davies, für zehn intensive Tage nach Paris führte. Hier bekamen die amerikanischen Maler, unter Mithilfe eben ihres Landsmanns und Kollegen Walter Pach, der die nötige Kenntnis und das Vertrauen der Sammler und Künstler hatte, zahlreiche Leihgaben und auch zum Verkauf stehende Werke von bereits arrivierten oder auch verstorbenen Protagonisten wie Matisse und Picasso sowie von Van Gogh, Cézanne und Gauguin. Die Stationen der Avantgarde, wie sie später kanonisch die Sammlung des Museum of Modern Art in New York präsentieren sollte, waren zusammengestellt. Nichts Geringeres bahnte sich an, wie auch Marcel Duchamp feststellte, als eine Institutionalisierung der Moderne:

"Es kam damals zu einem recht seltsamen Phänomen: Museen wurden geschaffen, eins nach dem anderen, Museen für Moderne Kunst, die eben die ganzen Bewegungen repräsentieren wollten, die die Ausstellung von 1913 ausgelöst hatte. So waren all die, die später Museumskonservator oder auch Kunstkritiker wurden, von dieser Ausstellung geprägt."

Legendär ist zugleich die Begeisterung, die Kuhn und Davies in den Pariser Ateliers der damals weniger bekannten Künstler zeigten:
"That’s the kind of man I’m giving the show for”,

heißt es nach einem Besuch bei Constantin Brancusi. Und in dem Vorort Puteaux, nachdem sie bei den Brüdern Duchamp geschaut und ausgewählt hatten:

"That’s the strongest expression I’ve ever seen.”

Tatsächlich wurde dann Duchamps Gemälde "Nu descendant un escalier", "Akt, eine Treppe herabsteigend", zum bekanntesten und umstrittensten Stück der Armory Show. Es gab kaum einen zeitgenössischen Kritiker, der sich nicht mit Duchamps Bewegungsstudie auseinandergesetzt hätte. Noch John Cages Komposition für präpariertes Klavier von 1947, "Music for Marcel Duchamp", war dem Treppenakt gewidmet.
Mehr zum Thema