"Am schwersten war es, Russisch zu lernen"

Alexander Gerst im Gespräch mit Klaus Pokatzky · 22.11.2010
Bereits im Kindesalter wollte Alexander Gerst zu den Sternen fliegen. Gegen 8400 Mitbewerber setzte sich der Geophysiker durch und war einer von sechs Rekruten, die die ESA-Basisausbildung für Astronauten absolvieren durften. Neugier und Ehrgeiz bezeichnet er als die wichtigsten Eigenschaften für einen guten Astronauten.
Klaus Pokatzky: 8400 Bewerber gab es, als die Europäische Weltraumbehörde ESA im letzten Jahr sechs neue Astronauten gesucht hat. Der Geophysiker Alexander Gerst war einer der Glücklichen, die am Ende ausgewählt wurden. Und Alexander Gerst ist damit der 14. Deutsche, der in das Astronautenkorps der ESA aufgenommen wurde. Mehr als ein Jahr lang hat er nun seine Grundausbildung am Europäischen Astronautenzentrum in Köln absolviert. Heute gibt es dort eine angemessene Feier, und deshalb musste ich Alexander Gerst schon vorher fragen: Herr Gerst, wie alt waren Sie denn, als Sie beschlossen haben Astronaut zu werden?

Gerst: Als ich beschlossen hatte Astronaut zu werden, oder dass ich es zumindest mal probieren will, da war ich wahrscheinlich so um die fünf oder sechs Jahre alt, als ich zum ersten Mal die Sterne gesehen hab und mich gefragt hab, was da wohl ist und ob man da hinfliegen kann.

Pokatzky: Und jetzt können Sie selber hinfliegen. Wissen Sie denn schon, wann Sie fliegen?

Gerst: Na ja, das ist noch nicht so ganz klar. Wir haben ja jetzt, das heißt ich und meine Kollegen haben unsere Grundausbildung abgeschlossen. Das heißt, wir gehen jetzt ins weiterführende Training und können dadurch dann auch jederzeit in ein wirkliches, konkretes Missionstraining berufen werden. Das entscheidet aber die ESA. In meinem Fall ist der frühstmögliche Termin 2014. Das heißt, bis dahin müssen wir noch trainieren.

Pokatzky: Was haben Sie denn jetzt im Basistraining so genau gelernt?

Gerst: Ja das sind ganz viele verschiedene Themen, um die es da ging. Hauptsächlich waren es wissenschaftliche Themen, das heißt uns wurde gezeigt, wie man im Weltraum Untersuchungen durchführen kann, zum Beispiel an Zellen, physikalische Versuche und so weiter. Und dann braucht man natürlich die entsprechenden Grundlagen, weil wir ja aus unterschiedlichen Richtungen her in diesen Beruf reinkamen, das heißt wir haben unterschiedliche Voraussetzungen. Dann ging es ...

Pokatzky: ... was, Entschuldigung, welche Berufe machen die anderen?

Gerst: Zwei Kollegen, die kommen aus dem Militärbereich, die sind da Kampfjets geflogen, einer ist Helikopter geflogen im Militär; dann haben wir einen Ingenieur und einen zivilen Luftfahrtpiloten, der auch eine Ingenieursausbildung hat.

Pokatzky: Und aus welchen Ländern kommen die?

Alexander Gerst: Zwei Leute aus Italien, einer aus Großbritannien, einer aus Dänemark, einer aus Frankreich und eben ich aus Deutschland.

Pokatzky: Was ist Ihnen denn während dieses Basistrainings, was über ein Jahr lang gedauert hat, am schwersten gefallen?

Gerst: Am schwersten war es, denke ich mal, Russisch zu lernen. Das ist natürlich eine Voraussetzung, weil wir ja, wenn der Space Shuttle ab nächstes Jahr nicht mehr fliegt, mit der russischen Sojus-Kapsel zur Raumstation fliegen werden. Und da ist die Kommunikation mit der Bodenstation auf Russisch. Und deswegen ist das für uns wichtig.

Pokatzky: Ja und alles ist auf Kyrillisch wahrscheinlich beschriftet?

Gerst: Ja, genau.

Pokatzky: Wie lange haben Sie gebraucht das zu durchblicken?

Gerst: Na ja ich will noch nicht von mir behaupten, dass ich es zu 100 Prozent durchblickt habe, aber es ist ja noch ein bisschen Training für uns. Wir hatten in unserer Ausbildung drei Monate intensiv Russischtraining. Das heißt, wir haben nichts anderes gemacht in diesen drei Monaten, als Russisch gelernt!

Pokatzky: Sagen Sie mal was auf Russisch! Sagen Sie doch mal: "Ich möchte gern in den Weltraum fliegen!"

Gerst: Ja chatschu letat w kosmos.

Pokatzky: Jetzt kommen Ihre weiteren Ausbildungsstationen ... Also wir hatten jetzt das Basistraining, jetzt kommt noch ein fortgeschrittenes Training, und dann kommt das spezifische Training für eine Mission. Was gehört alles zu diesen Ausbildungsstationen?

Gerst: Im nächsten Jahr wird es bei mir mit der Flugausbildung erst mal weitergehen, das heißt, wir lernen, wie man verschiedene Typen von Flugzeugen fliegt. Dann werde ich bei der NASA voraussichtlich ein Training anfangen um Weltraumausstiege zu üben. Das heißt, man ist in einem richtigen Raumanzug unter Wasser in einem großen Becken, in dem die Raumstation nachgebaut ist, und man übt dann dort Außenreparaturen, Außeneinsätze.

Pokatzky: Also wenn Sie jetzt in einigen Jahren tatsächlich in den Weltraum starten, dann ist das ja im Grunde erst mal eine einmalige Mission, und danach kommt ja wie bei den anderen deutschen Astronauten jahrelang überhaupt gar nichts. Was werden Sie dann machen? Reisen Sie dann durch die Lande und erzählen vor Volkshochschulen in, ja Diavorträgen werden es ja nicht mehr sein, sondern modernere Techniken, was Sie da oben gemacht haben?

Gerst: Ja, das ist eines der vielen Dinge, die wir dann danach natürlich tun werden. Es ist meiner Ansicht nach auch sehr wichtig, dass wir diesen Eindruck, den wir kriegen, diesen einmaligen Eindruck, die Erde von außen zu sehen, dass wir die auch mit der Bevölkerung teilen. Des weiteren haben wir natürlich andere Aufgaben wie zum Beispiel als Eurocom zu arbeiten, das ist die Person, die in der Bodenstation mit der Raumstation kommuniziert. Da nimmt man gerne Astronauten, weil die natürlich schon ein bisschen wissen, wie das da oben abläuft, und die natürlich dann besser auch mit den Kollegen kommunizieren können.

Pokatzky: Das ist ja auch alles nicht ganz billig und geht zulasten des europäischen Steuerzahlers. Warum muss das überhaupt heutzutage noch gemacht werden, was können sie im Weltall machen, was Roboter, Marsmobil und so weiter nicht auch leisten könnten?

Gerst: Ja, die Raumfahrt nutzt uns auf vielerlei Weise, das sieht man auch schon daran, dass insgesamt über 130 Nationen die Raumfahrt direkt für sich nutzen. Und man sieht es auch daran, dass zum Beispiel mehr als die Hälfte aller Investitionen in die Raumfahrt privat sind, das heißt, die Industrie ist daran interessiert. Dabei geht es natürlich erst mal um konkrete Anwendungen, die wir haben, zum Beispiel die Satellitennavigation, Wettervorhersagen, Klimaschutz, Satellitenfernsehen, neue Technologien und so weiter. Dann ist es natürlich die weitere Ebene, die wissenschaftliche Ebene: Da kommt eben die Raumstation mit rein. In diesem Labor im Weltraum können wir über selbst lernen und über die Erde. Das heißt, wir lernen über Krankheiten, wir haben Grundlagenforschungen, auf denen sich neue Technologien und Materialien entwickeln. Und nebenbei entwickeln wir dabei die Applikationen von morgen.

Pokatzky: Was meinen Sie mit Applikationen von morgen?

Gerst: Ja es gibt viele Nebenprodukte, die eben aus der Raumstation entstehen, und eben aber auch Produkte, die tatsächlich aus dieser Grundlagenforschung entstehen, die wir machen. Zum Beispiel wenn wir erforschen, wie sich Flüssigkeiten besser vermischen, das können wir gut erforschen in der Schwerelosigkeit. Viel besser als auf der Erde können wir dadurch zum Beispiel Brennkammern von Kraftwerken auf der Erde optimieren und somit konkret Treibstoff und CO2 machen.

Pokatzky: Und das müssen dann Menschen wie Sie machen, das könnten jetzt nicht Maschinen in irgendeiner Kapsel erledigen?

Gerst: Na ja, es ist halt so, dass man Maschinen einfach nicht darauf hintrainieren kann, dass sie wissenschaftliche Intuition haben. Man kann einer Maschine sagen, bitte bohr mir zehn Zentimeter und dann tu das, aber wenn irgendwas Unvorhergesehenes auf dem Weg passiert, dann ist die Maschine da nicht so gut wie der Mensch. Man weiß das zum Beispiel von den Viking-Sonden, die Ende der 70er-Jahre auf dem Mars gelandet sind. Die haben um die zehn Zentimeter in den Boden gebohrt, um nach Wasser zu suchen, haben dann eben aufgehört. Heutzutage weiß man: Wenn die nur ein paar Zentimeter tiefer gebohrt hätten – und das ist erst wirklich in den letzten Jahren herausgefunden worden –, wären die damals schon auf Wasser gestoßen. Da sieht man, wie die Limitation von Robotern wirklich ist. Das heißt, als Mensch kann man da sehen, hm, das kommt mir komisch vor, da probier ich es doch da noch mal und so weiter. Das heißt, diese Intuition, die uns gegeben ist, die kann man leider noch nicht ersetzen durch Roboter.

Pokatzky: Ich spreche mit Alexander Gerst, dem nächsten Deutschen im Weltall, der heute in Köln das Ende seiner astronautischen Grundausbildung feiern kann. Herr Gerst, wären Sie nicht bei der ESA, der Europäischen Weltraumbehörde, angenommen worden für diesen Astronautenberuf, dann hätten Sie sich für weitere Jahre auf Forschungsreise nach Alaska begeben, Sie sind ja Geophysiker. Und zwar nach Alaska, um dort Vulkane zu erforschen. Das klingt alles so, als wären Sie nicht unbedingt so der richtig gesellige Typ ...

Gerst: Ja doch, ich denke gerade wenn man Vulkane erforscht oder wenn man in den Weltraum fliegt, muss man ein geselliger Typ sein, weil man macht das nie alleine, man macht das immer im Team. Denn alleine würde man zu gar nichts kommen, dann würde man weder im Weltraum ordentlich arbeiten können, noch Vulkane erforschen können. Und deswegen ist es wichtig, dass man eben auf so einer Expedition zum Teil monatelang auf engstem Raum mit Leuten zusammenleben kann und sich dabei auch noch gut verstehen kann.

Pokatzky: Gibt es irgendeine Mission, an der Sie unbedingt, wahnsinnig gern teilnehmen würden? Also würden Sie gerne der erste Mensch auf dem Mars sein?

Gerst: Mir geht es nicht so sehr darum, ob ich der erste Mensch dort bin, aber ich würde natürlich riesig gern dahinfliegen. Weil der Mars kann uns sehr viele Fragen über uns selbst beantworten. Der Mars war ja mal früher so ähnlich wie die Erde, und jetzt ist er wüst und leer. Vom Mars können wir eben lernen, wie wir vielleicht vermeiden können, dass unsere Erde irgendwann mal auch mal so aussieht.

Pokatzky: Wenn Sie jetzt mal in einem Satz zusammenfassen müssen: Was muss ein guter Astronaut können? Wie würde der Satz lauten?

Gerst: Eine Sache, die man braucht, ist Neugier und Ehrgeiz seine Träume umzusetzen. Ich denke, es ist wichtig, dass man gut ist in dem, was man tut, und dass man sich nicht von dem Weg so schnell abbringen lässt.

Pokatzky: Wenn Sie dann in die unendlichen Weiten des Weltraums starten werden in einigen Jahren, was werden Sie an Persönlichem mitnehmen?

Gerst: Viel mitnehmen können wir ja nicht, weil wir da mit dem Gewicht so ein bisschen beschränkt sind. Aber eine Sache, die für mich wichtig ist, ist eben eine Kamera – die gibt es aber zum Glück schon auf der Raumstation – und ein Notizbuch, damit ich meine Eindrücke aufschreiben kann. Und nicht zuletzt einen MP3-Player, damit ich meine Musik mitnehmen kann. Auf alle Fälle "Stairway To Heaven" von Led Zeppelin!

Pokatzky: Bei Bergleuten sagt man "Glück auf", wenn man ihnen alles Gute wünscht, bei Matrosen "Immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel" und bei Piloten "Fly safe". Was wünscht man einem Astronauten?

Gerst: Eine gute Aussicht, vielleicht. Ich bin mir nicht sicher. Ich glaube nicht, dass es da schon einen wirklichen Astronautengruß gibt. Das wäre mal eine interessante Sache, das mal zu erfinden!

Pokatzky: Dann erfinden wir den jetzt hier: Sagen Sie "Gute Aussicht" auf Russisch?

Gerst: Ja schelaju wam charoschi vid.

Pokatzky: Alexander Gerst, der nächste Deutsche im Weltall. Heute feiert er in Köln das Ende seiner Grundausbildung gemeinsam mit vier weiteren zukünftigen europäischen ESA-Astronauten und einer ESA-Astronautin.