Altlast Dhünnaue

Bayers giftiges Erbe

30:35 Minuten
Nordrhein-Westfalen, Leverkusen: Eine Einhausung steht über einer Baustelle der Autobahn A1. Hier sollen unter Unterdruck Grabungsarbeiten in der Altlast Dhünnaue erfolgen. (Aufnahme mit einer Drohne) Foto: Henning Kaiser/dpa
Wegen der geplanten neuen Rheinbrücke muss die vor 20 Jahren versiegelte Giftmülldeponie Dhünnaue geöffnet werden. © picture alliance/Henning Kaiser/dpa
Von Gerhard Schröder · 08.04.2019
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Eine neue Rheinbrücke soll die marode Leverkusener Brücke ersetzen. Gebaut werden soll die Trasse auf der Dhünnaue, wo der Bayer-Konzern jahrzehntelang hochgiftige Abfälle entsorgte. Wie gefährlich ist das für Mensch und Umwelt?
"Wir stehen auf der Dhünnaue Nord, und da hat man jetzt den Panorama-Blick, da ist die A1", sagt Ingrid Obernosterer. Sie steht ganz oben auf der Anhöhe, dort, wo der Giftmüll einst besonders hoch gestapelt wurde. Von hier hat man einen guten Blick auf die marode Leverkusener Brücke, den Rhein, die Autobahn und das, was die Einheimischen den Spaghetti-Knoten nennen. Ein verwirrendes Geflecht von Autobahnrampen und Verteilerkreuzen, von Zu- und Abfahrten, die den Verkehr in Leverkusen in alle Himmelsrichtungen verteilen. Und das alles muss neugebaut werden.
"Das hier ist Autobahn, aber hier wird es eine Abfahrt geben, und deshalb brauchen wir hier wieder ein Brückenbauwerk."
Mittendrin, zwischen Autobahnen, Brücken und Stützpfeilern, jede Menge Baumaschinen. Bulldozer, die Erde wegschieben, Bagger, die Löcher graben, Lastwagen, die den Aushub wegfahren. Und Bohrtürme, die wie große Bleistifte in die Höhe ragen:
Ingrid Obernosterer vom Geotechnischen Institut Düllman hat die Fachaufsicht über diese Riesenbaustelle. Sie hat die Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden, trägt eine orangefarbene Warnweste und Sicherheitsschuhe, das ist Pflicht auf der Baustelle.

120.000 Autos passieren die Brücke pro Tag

Die Leverkusener Brücke ist so marode, dass Autos nur mit Tempo 60 darüber fahren dürfen. Schweren Lastwagen ist die Überfahrt ganz verboten. Wer es trotzdem versucht, wird vor der Brücke oder auf den Zufahrten gestoppt, durch eine automatische Schrankenanlage.
120.000 Autos donnern jeden Tag über die altersschwache Brücke. Vor 60 Jahren, als sie gebaut wurde, hatte man mit 40.000 kalkuliert. Wie lange das Bauwerk die permanente Überforderung noch aushält, ist unklar, sagt Thomas Raithel, er ist der Projektleiter von Straßen NRW:
"Das ist die eigentliche Rheinbrücke hier, man sieht auch überall die Reparaturarbeiten, die gemacht werden, damit die überhaupt am Leben bleibt."
Damit der Verkehr in Zukunft wieder ungestört rollen kann, sollen die Brücke und die Autobahn A1 von sechs auf acht Spuren erweitert werden. Einziges Problem: Brücke und Autobahn stehen mitten in einer Giftmüllablagerung. Hier, an den Ufern des Rheins in Leverkusen, hat der Bayerkonzern 50 Jahre lang seine hochtoxischen Produktionsrückstände abgekippt.

Eine Autobahn mitten durch die Deponie

"Chrom 6 findet man, andere Schwermetalle, wir finden polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe. Wir finden Lösemittel aus den Produktionen, Chlorbenzole und PCB. Das sind in Reinform hochgiftige Stoffe."
Eine Autobahn, die mitten durch eine Giftmülldeponie führt? Das ist eine Vorstellung, die auch Leverkusens Oberbürgermeister Uwe Richrath* nicht behagt. Aber was sollen wir machen, sagt er, die Brücke ist marode, die Zeit drängt:
"Wir brauchten eine Schnelligkeit. Was wir uns nicht erlauben können, und das konnte uns keiner sagen, wie lange die Brücke hält. Und das wäre ein Super-GAU gewesen. Und deshalb haben wir mit breiter Mehrheit im Stadtrat gesagt, wir wollen das Brückenbauwerk unterstützen."
Einer, der nicht zu dieser breiten Mehrheit im Stadtrat gehört, ist Erhard Schoofs, 78 Jahre alt. Die SPD verließ er im Streit und gründete die Bürgerliste. Heute streitet er gegen den Autobahnbau:
"Wenn Sie wissen, dass da Chrom liegt und Cadmium und was sonst noch an tollen Giften, und zwar völlig ungeordnet nebeneinander, dann sagt jeder: Lass am besten die Finger davon. Auch die ganzen Spezialisten. Aber das hätte viel mehr Geld gekostet. Deswegen wollten sie wieder durch die Kippe gehen, durch die sie ja schon mal mit der ersten Brücke gegangen waren."
Lokalpolitiker Erhard Schoofs im Gespräch mit unserem Autor und Redakteur Gerhard Schröder.
Lokalpolitiker Erhard Schoofs im Gespräch mit unserem Autor und Redakteur Gerhard Schröder.© Deutschlandradio / Alexander Moritz
6,5 Millionen Tonnen Müll lagern auf den Rheinwiesen in Leverkusen, davon 70 Prozent Bauschutt, Siedlungsabfälle und Klärschlämme, 15 Prozent Hausmüll und 15 Prozent Giftmüll des Bayer-Konzerns. Harald Friedrich war als Abteilungsleiter im nordrhein-westfälischen Umweltministerium mit der Altablagerung befasst.
"Wir wissen, dass da unten in dieser Altdeponie das Giftigste vom Giftigen, was in Deutschland produziert wurde, lagert. Das chemische Gedächtnis von Bayer aus fast 75 Jahren Produktion."

Eine Deponie so große wie 95 Fußballfelder

Jahrzehntelang lang hat der Bayerkonzern seine Produktionsrückstände auf die morastigen Rheinwiesen verklappt. Und zwar ganz legal. 1923 vereinbarte der Konzern mit der Stadt Leverkusen, die Flussauen in eine Mülldeponie zu verwandeln. Die Stadt lud die Abfälle der Bürger dort ab, der Bayer-Konzern die Rückstände aus der Produktion. Alles wild durcheinander gemischt, so wie der Abfall gerade anfiel. Und es fiel viel Abfall an.
"Mit dem Wirtschaftswunder wird die Deponie mehr denn je gebraucht – und rückt weiter nach Norden. Erdaushub, Bauschutt und Produktionsrückstände müssen entsorgt werden. 1955 rollen werktäglich bis zu 600 Lastkraftwagen auf die Deponie. Sechs bis acht Schuttzüge aus dem Werk kommen dazu."
So steht es in einer Dokumentation, die der Bayer-Konzern und die Stadt Leverkusen gemeinsam herausgegeben haben. Die Deponie wuchs von Jahr zu Jahr auf insgesamt 68 Hektar, das entspricht 95 Fußballfeldern. Für ein Problem hielt das damals offenbar niemand. Anfang der 60er-Jahre wurde die Autobahn A1 gebaut, mitten durch die Mülllandschaft hindurch. Aber warum auch nicht, schließlich hatte man ja auch Wohnhäuser auf die Deponie gebaut:
"Mehr als 800 Menschen führen auf der abgedeckten und begrünten Dhünnaue ein ganz normales Leben; die Deponie gerät in Vergessenheit."
Aber nur vorübergehend.

Tote Fische am Rheinufer

Mitte der achtziger Jahre ist nicht mehr zu übersehen, welchen Gefahren Stadt und Bayer-Konzern die Bevölkerung ausgesetzt haben.
"Das muss hier ungefähr gewesen sein, die Straße. Und dann waren die ganzen Wohnhäuser hier. Da habe ich als kleines Kind gewohnt", sagt Petra Fabrizius. Sie steht auf dem Neulandpark am Rhein, hier hat sie gewohnt, in den achtziger Jahren, mitten auf der Giftmüllhalde.
"Wir sind immer über die Schnellstraße gelaufen, hier auf die Rheinseite, haben am Wasser gespielt, Buden gebaut. Und ganz oft wurden tote Fische angeschwemmt, die haben wir dann ins Spiel einbezogen, wir haben ja nicht darüber nachgedacht, warum sind hier so viele tote Fische. Jetzt im Nachhinein weiß man, die sind einfach vergiftet ans Ufer geschwemmt worden, und wir haben dann damit gespielt."
Die braunhaarige Petra Fabricius steht auf einer Wiese an der ehemaligen Giftmülldeponie.
Petra Fabrizius wohnte als Kind in einem Haus auf der Giftmülldeponie, heute ist sie Gegnerin des Autobahnbaus auf der Giftmülldeponie© Deutschlandradio / Alexander Moritz
Niemand ahnte, dass die Fische starben, weil im Boden unter den Häusern tonnenweise Gift lagerte. Gift, das auch viele Menschen krank machte.
"Wie viele Menschen sind erkrankt… Freunde von mir, die sind auch erkrankt, die eine kann keine Kinder kriegen, bei den anderen sind die Eltern gestorbe. Meine Mutter ist vor zwei Jahren gestorben an Leukämie. Ich habe zwei Knoten an der Schilddrüse."
Das kommt von den Bayer-Giften, glaubt die 42-Jährige, aber beweisen kann sie das natürlich nicht.
"Wir haben da mal Umfragen gemacht, haben geklingelt an den Türen, da war in jedem zweiten Haushalt eine Krebserkrankung. Vor dreißig Jahren. Unserer Meinung nach ist das schon so, dass da viele Menschen krank geworden sind von dem Gift."

In den 1980ern gerät der Bayer-Konzern unter Druck

Detlef Stoller hat nur ein paar hundert Meter entfernt gewohnt, in der Niederfeldstraße, am Rand der Giftmüllablagerung. Die langen Haare sind inzwischen grau geworden, er trägt eine zerschlissene Lederjacke und zeigt auf einen Busch hinter dem Haus, in dem er einst gewohnt hat:
"Dann wollte ich hier, ziemlich genau, wo diese kleine Kuhle ist, wollte ich ein Bäumchen pflanzen. Und habe dann das ganze giftige Zeug ausgebuddelt. So Knubbel, so groß, gelb und rot und weiß. Und da stellte sich raus, da sind 45 g pro Kilo Chrom."
Die Stadt lässt die Häuser auf der Giftmüllhalde abreißen, die Fläche wird für die Öffentlichkeit gesperrt. Auch der Bayer-Konzern gerät unter Druck. Werksleiter Dietrich Rosahl räumte Anfang der neunziger Jahre im Interview mit dem WDR ein:
"Sie sagen also, dass Sie es jahrelang darauf haben ankommen lassen, ob Gift in den Rhein kommt?" – "Jawohl, so ist es gewesen, Sie liegen vollkommen richtig."
Endlich wird ein Sanierungsplan entworfen. Die naheliegende Idee, den Giftmüll auszugraben und fachgerecht zu entsorgen, wird schnell verworfen – zu teuer. Stattdessen werden provisorische Sicherungsmaßnahmen beschlossen, die verhindern sollen, dass die Schadstoffe weiter in die Umwelt gelangen können. Eine knapp vier Kilometer lange Sperrwand wird gebaut, die die Altlast zum Rhein hin absichern soll. Oben drauf wird eine dicke Schutzschicht aufgetragen, sie soll verhindern, dass Gase austreten. 110 Millionen Euro* kostete das insgesamt, den Großteil übernimmt der Bayer-Konzern.

Eine ungefährliche Altablagerung, meint Bayer

"Die gesicherte Altablagerung ist heute nicht mehr gefährlich. Die Umweltauswirkungen sind gesichert", sagt Bayer-Manager Josef Schiffer, er ist heute für die Sicherung der Altlast Dhünnaue zuständig.
"Die Stoffe, die darin sind, sind kritisch, ja. Deshalb ist die Altablagerung auch gesichert, mit Oberflächenabdichtung und Grundwasserbarriere, sodass der Kontakt zum Grundwasser, zur Luft, zum Menschen unterbunden ist."
Harald Friedrich, einst Abteilungsleiter im nordrhein-westfälischen Umweltministerium, ist da zurückhaltender. Man habe getan, was man konnte, um die Altlast abzusichern, sagt der gelernte Chemiker. Aber ein Grundproblem sei einfach nicht zu lösen: Die Giftmüllablagerung sei nicht dicht, giftiges Sickerwasser könne austreten.
"Das, was man vorgefunden hat und saniert hat, natürlich würde das heute nicht mehr genehmigt. Weil, der Altbereich ist ohne Basisabdichtung. Das heißt, es muss jedem deutlich sein: Natürlich kann diese Deponie in Richtung Grundwasser ausbluten."
Heißt im Klartext: Schadstoffe können ins Grundwasser gelangen, sagt Friedrich. Um das zu verhindern, hat Bayer tiefe Brunnen gebohrt. Dort wird das hochbelastete Sickerwasser aufgefangen und in die benachbarte Kläranlage gepumpt. Im Jahr rund 3,5 Millionen Kubikmeter.
"In dem Wasser befinden sich die Schadstoffe, die aus der Altablagerung ausgewaschen werden, da ist mehr oder weniger alles drin. Sie finden Schwermetalle darin, Chlorbenzole."
Bayer muss nachweisen, dass die Sicherungssysteme so funktionieren, dass keine Schadstoffe ins Grundwasser oder in den Rhein ausgeschwemmt werden.
"Da sind wir ganz sicher, dass kein belastetes Wasser aus dem Sicherungsbereich der Altablagerung in Richtung Rhein abfließt. Das wird jedes Jahr dokumentiert, regelmäßig gemessen. Da sind wir ganz sicher, ja."

Der Altlastenexperte hat Zweifel

Die Grundidee ist eigentlich ganz einfach: Der Wasserspiegel in der Deponie wird abgesenkt, und zwar unter das Niveau des Rheinpegels. Das führt dazu, dass das Wasser immer vom Rhein in die Deponie fließt. Nicht umgekehrt. Ein sicheres System, sagt Bayer-Manager Schiffer. Zumindest in der Theorie. Der Schweizer Geologe und Altlastenexperte Walter Wildi ist da nicht ganz so sicher:
"Sie haben natürlich viele toxische und kanzerogene Stoffe in so einer Deponie. Das ist langfristig das große Problem. Weil, wenn die in kleinen Mengen ins Grundwasser kommen, dann ist das eine Gefährdung der Bevölkerung."
Das ist die entscheidende Frage: Dringen tatsächlich keine Schadstoffe ins Grundwasser, in den Rhein? Auch dann nicht, wenn der Rhein Hochwasser führt und das Wasser tief in die Deponie eindringt – und mit sinkendem Rheinpegel wieder abfließt? Wird alles in den Brunnen aufgefangen? Walter Wildi hat die jährlichen Überwachungsberichte der Bayer-Tochter Currenta studiert. Und hat Zweifel:
"Wenn der Rhein rasch absinkt, dann müsste der Grundwasserspiegel auch rasch abgesenkt werden. Da sieht man in der Simulation, dass hin und wieder der Wasserfluss von der Deponie zum Rhein geht. Im Überwachungsbericht sagen sie, das ist nur kurzfristig. Da ist noch nichts passiert. Soweit ich das sehe, ist das eine Abschätzung, an die glauben nur die, die das glauben wollen."
Blick auf den Rhein und dahinter die Grabungsstelle an der Deponie Dhünnaue, die von einem langgestreckten weißen Zeltbau abgedeckt ist.
Ein luftdichtes Zelt soll vor austretenden giftigen Dämpfen schützen. © imago / Manngold
Von der Anhöhe nördlich der Autobahn sieht man ein weißes Zeltdach. Eine Leichtbauhalle, sie steht direkt neben der Autobahn. Und das bedeutet: Hier wird gerade Giftmüll ausgebaggert. Die Arbeiter tragen weiße Schutzanzüge und Atemmasken, um sich vor giftigen Gasen zu schützen. Zwei Stunden dauert eine Schicht, dann wechselt das Personal. Aus Sicherheitsgründen.
Die Luft im Zelt wird abgesaugt und gefiltert, damit keine Schadstoffe in die Umwelt gelangen können. Bislang lief alles glatt, sagt Andre Volmert. Er überwacht die Arbeiten in der Einhausung:
"Wir messen verschiedene Sachen, wir haben ein Sechs-Gas-Messgerät in Betrieb, das misst anorganische Gase, und noch ein Messgerät, das organische Gase misst. Und diese Geräte sind so kalibriert, dass, wenn irgendwas passiert, ein Alarm ausgelöst würde, aber das hatten wir bislang nicht."

Droht auch durch Blindgänger eine Gefahr?

Er habe keine Angst, wenn er im Zelt sei, sagt Volmert. Man wisse ganz gut, was zu erwarten sei, habe das Gelände vorher erkundet und Proben genommen, um herauszufinden, welche Stoffe im Boden liegen, sagt er:
"Ich sehe da keine Gefahr, es gibt eine Reihe an Schutzmaßnahmen, sodass die Arbeiter vor Ort, die an der Front sind, maximalen Schutz erfahren."
Aber es bleiben Risiken. Der Giftmüll wurde ungeordnet abgekippt, niemand weiß ganz genau, was sich wo befindet, was auch daran liegt, dass die Dhünnaue nicht sehr konsequent erkundet wurde, kritisiert der Umweltchemiker Harald Friedrich. Nicht einmal fünf Prozent der Proben, die im Vorfeld genommen wurden, seien ausgewertet worden, hat Friedrich in einem Gutachten festgestellt.
Für Gefahr könnten auch Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg sorgen, warnt Helmut Hesse, ein erfahrener Bauingenieur aus Hannover. Er hat über 35 Jahre bei großen Straßenbaukonzernen gearbeitet. Heute ist er als selbständiger Berater aktiv:
"In diesem Bereich waren Verteidigungsstellen aufgebaut. Da weiß niemand, ob das vollständig geräumt wurde. Und wenn man auf so eine Granate trifft, dann hilft die schönste Leichtbauhalle nichts mehr."

Mahnendes Beispiel: die Schweizer Deponie Bonfol

Wie real solche Gefahren sind, zeigt das Beispiel Bonfol, eine Giftmülldeponie in der Schweiz. Bei der Sanierung der Deponie kam es zu einer Explosion, sagt Walter Wildi. Er hat die Sanierung in Bonfol wissenschaftlich begleitet.
"Eine ziemlich starke Explosion, die kam von Stoffen, von denen man offiziell nichts wusste. Das waren irgendwelche Phosphate, die dann zündeten und die zu einer Explosion führten. Also wenn Sie so wollen: primitive Sprengstoffe. Und die große Schwierigkeit liegt darin, dass man die Sicherheitsmaßnahmen so weit plant, dass man auch bei solchen Ereignissen nicht schlimmere Folgen hat."
In Bonfol kam bei der Explosion niemand zu Schaden, weil die Einhausung der Baustelle so massiv war. Eine Leichtbauhalle, wie sie in Leverkusen eingesetzt wird, hätte der Druckwelle kaum standgehalten. Ingrid Obernosterer vom Büro Düllmann bleibt dennoch gelassen:
"Wir sind da sehr guter Dinge. Wir können das ausschließen, wir haben keine Angst, dass wir in Situationen kommen, wo wir brennbare Materialien in entsprechender Menge antreffen werden."
Die Anwohner machen sich dennoch Sorgen. Detlef Stoller wohnt einen Kilometer Luftlinie von der Dhünnaue entfernt. Das ist nicht weit, sagt er:
"Wenn da was passiert, dann ist das Gift in zwei Minuten bei mir. Da gibt es kein Schutzkonzept gegen. Ich fühl mich als Hauptbetroffener."

Lässt sich eine Autobahn auf Müll bauen?

Es gibt noch mehr offene Fragen. Ist es wirklich eine gute Idee, die neue Autobahntrasse einfach auf den Giftmüll aufzulegen? In den 60er-Jahren, als die Autobahn A1 gebaut wurde, hatte man den Giftmüll unter der Trasse noch komplett ausgeräumt. Das sei auch nötig, um ein tragfähiges Fundament für die Autobahn zu schaffen, sagt der Bauingenieur Helmut Hesse.
"Ich seh das als äußerst problematisch an. Mir ist kein Beispiel bekannt, in dem man ein wertvolles Bauwerk auf einer Deponie errichtet hat. Und alle Erfahrungen zeigen auch, dass das zu großen Setzungsschäden führt."
Die Müllablagerung sei eine schlechte Grundlage für eine Autobahn, sagt Hesse. Nicht nur, weil sie so giftig ist, sondern auch, weil sie unterschiedlich fest ist. Es lagern dort harte Materialien wie Bauschutt neben weichen und flüssigen Rückständen aus der Chemieindustrie. Die Folge: Dort, wo der Untergrund weich ist, gibt die Straße nach.
"Dann wird die Straße nicht stabil liegen bleiben, sie wird sich bereichsweise setzen. Es kann zu Muldenbildung kommen, kann zu größeren Sackungen kommen. Es entstehen Hohlräume, und wenn die groß genug sind, dann kann es plötzlich zu Sackungen kommen, ja, es können Löcher entstehen, die so groß sind, dass da drin ein Auto drin verschwindet."

"Ein Sicherheits- und Kostenrisiko"

Ingrid Obernosterer, die Fachfrau der nordrhein-westfälischen Straßenbauverwaltung, hält das für abwegig. Bauen auf weichem Grund sei heute kein Problem mehr, sagt sie:
"Denken Sie einfach mal an die Niederlande, da haben wir ganz viel Schwemmland. Das hat keine höhere Tragfähigkeit als die Dhünnaue. Und auch da werden große Verkehrsprojekte gebaut. Also, das Bauen auf weichem Untergrund ist nichts Neues."
Rolf Kraneis ist ein altgedienter Bauingenieur aus Leverkusen, er hat über 40 Jahre lang Autobahnen gebaut. Und ist entsetzt über die Planungen von Straßen NRW:
"Ja, das ist ein Sicherheitsrisiko, ein Kostenrisiko und letzten Endes eine Verkehrseinschränkung, denn wenn sie die Fahrbahn wieder sanieren müssen, alle zwei, drei Jahre, dann müssen sie die Autobahn sperren."
Riskant sei das auch deshalb, weil durch den Straßenbau die Schutzschicht, mit der die Altlast Dhünnaue vor 20 Jahren versiegelt wurde, zerstört werde, sagt Harald Friedrich:
"Deponieabdeckung nach Stand der Technik, das ist schon komplizierter, als einfach eine Straße zu bauen. Keine Asphaltdichtung ist so dicht, dass sie den Kriterien, die ich für eine ordnungsgemäße Sicherung für eine Sondermülldeponie haben muss, entsprechen kann. Ich sage es in aller Deutlichkeit: Wenn da gesagt wird, dass nach Aufbringen der Straße auf den Sonderabfallkörper, dass die Deponie genauso gesichert sei wie vorher, dann ist das barer Unsinn."

Wurden die Kosten künstlich niedrig gerechnet?

Friedrich fürchtet, dass giftige Gase durch den Asphalt nach außen gelangen und zu einer Gefahr für die Umwelt werden könnten. Ein Einwand, den Ingrid Obernosterer kühl beiseite wischt.
"Wir haben da Gussasphaltschichten, die sind technisch quasi dicht", sagt sie. "Und wenn die Materialien Schaden nehmen, was jeder Fahrbahnbelag im Lauf der Jahre tut, dann wird er ersetzt, das machen wir mit allen Fahrbahnen."
Der Vorteil dieser Methode liegt auf der Hand: Es muss weniger Giftmüll ausgebaggert und anschließend entsorgt werden. Dadurch fallen weniger Kosten an.
Straßen NRW hat für die Deponiearbeiten 41 Millionen Euro eingeplant. Helmut Hesse hält das für viel zu gering. Er hat nachgerechnet und kommt auf Ausgaben von 1,28 Milliarden Euro, also dreißigmal so viel. Ein Grund: Hesse geht davon aus, dass mehr Giftmüll ausgebuddelt werden muss.
"Das ist ein verbreitetes Gesellschaftsspiel, dass man die Kosten niedrig rechnet, um einen Baubeginn zu erreichen, und hinterher sagt, das haben wir nicht gewusst, jetzt kostet es mehr, tut uns leid. Hier aber besteht die Gefahr, dass die Kostensteigerung so ungewöhlich ist, dass alles, was wir in Deutschland kennen, die Elbphilharmonie, der Flughafen in Berlin, das wird hier in Leverkusen voraussichtlich getoppt."
Blick auf die Giftmüllentsorgungsanlage der Bayer-Tochter Currenta, im Hintergrund ein rauchender Schornstein.
Für die Bayer-Tochter Currenta sei der Autobahnbau ein gutes Geschäft, sagen Kritiker des Projekts.© Deutschlandradio / Alexander Moritz
Ziemlich gut kommt bei der ganzen Sache der Bayer-Konzern weg. Den Teil der Altlast, der für den Autobahnbau gebraucht wird, tritt der Konzern an den Bund ab. Und er kann den Müll, den er einst selbst auf den Rheinwiesen verklappt hat, jetzt kostenpflichtig auf Steuerzahlerkosten entsorgen, sagt Erhard Schoofs von der Bürgerliste:
"Das heißt, die verdienen doppelt. Einmal werden sie eine große Sorge los, weitestgehend. Und darüber hinaus verdienen sie noch Geld mit dem Abraum. Das ist ein super Geschäft."
Bei der Bayer-Tochter Currenta, die die Sondermülldeponie betreibt, sieht man das ganz anders.
"Wir haben unsere Angebote so kalkuliert, dass wir schlicht kostendeckend arbeiten können", sagt Sebastian Reißner, der Leiter der Sondermülldeponie. Der Konzern verzichte auf Gewinn, damit der Brückenbau schnell vorankomme, sagt er:
"Da es eine Investition in die Zukunft ist, reicht uns ein kostendeckendes Angebot, weil wir durch die neue Rheinquerung wieder einen Wettbewerbsvorteil generieren können."

Auf der Suche nach einer nachhaltigen Lösung

Giftmüll im Überschwemmungsgebiet, direkt am Rhein, durchschnitten von Autobahnen. Alles kein Problem, wir haben das im Griff, das ist die Botschaft der Straßenplaner um Ingrid Obernosterer. Das mag für den Augenblick stimmen. Aber ist das auch eine Lösung auf Dauer, eine Lösung für nachfolgende Generationen?
Am 25. August 2017 endete im Schweizer Kanton Jura mit einem lauten Knall die Sanierung der Giftmülldeponie Bonfol. Es war kein Unfall, sondern die fachgerechte Sprengung der Halle, die die Baustelle während der Grabungsarbeiten abgeschirmt hatte. Die Explosion, mit der die Halle zum Einsturz gebracht wurde, war der Schlusspunkt einer erfolgreichen Sanierung, die im Jahr 2000 angestoßen und knapp 20 Jahre später abgeschlossen wurde. 114 Tausend Tonnen Giftmüll wurden unter strengen Sicherheitsvorkehrungen ausgebuddelt, in Containern verschlossen und in Hochtemperaturöfen entsorgt.
"Das kann man vergleichen mit allen Deponien von Bayer, Novartis, Roche. Da sind immer die gleichen Substanzen drin, chlorierte Substanzen, Aniline, Schwermetalle. Die sind alle vom gleichen Typ", sagt Walter Wildi. Er ist Geologe, hat als Professor an der Universität Genf gelehrt und die Fachgruppe geleitet, die die Beseitigung des Giftmülls in Bonfol geplant hat.

Bonfol - heute ein Modell für Nachhaltigkeit

Eine große Kraftanstrengung, die die acht beteiligten Chemiefirmen, darunter Novartis, Roche und BASF eine halbe Milliarde Euro kostete. Bonfol gilt heute als Modell für einen anderen, einen nachhaltigen Umgang mit Giftmüll. Nicht mehr reparieren, abdichten, abpumpen heißt die Devise in der Schweiz, sondern den Giftmüll rausholen und entsorgen. Möglich wurde diese Wende durch die neue Deponieverordnung, die die Schweiz Ende der neunziger Jahre verabschiedet hatte. Innerhalb einer Generation, so der Leitgedanke, müssen die Spuren des Giftmülls beseitigt werden:
"Das hat zur Folge, dass Sicherungsmaßnahmen, die während mehr als einer Generation aufrechterhalten werden müssen, sind nicht gesetzeskonform. Ja, der Giftmüll muss raus."
Ein nachhaltiger Umgang mit Giftmüll, wäre das nicht auch ein Vorbild für Deutschland. Ein Vorbild auch für den Umgang mit dem Giftmüll in der Dhünnaue in Leverkusen? Bayer-Manager Josef Schiffer zuckt irritiert mit den Schultern.
"Die Altablagerung Dhünnaue ist nach damaligem und heutigem Stand gesichert. Und auch heute wüssten wir keine bessere Lösung, die Altablagerung zu sichern. Für die Ewigkeit."
Also wird in Leverkusen weiter abgedichtet und abgepumpt, in der Hoffnung, dass keine Schadstoffe in den Rhein oder ins Grundwasser geschwemmt werden. Walter Wildi hält das auf Dauer nicht für den richtigen Umgang mit dem Giftmüll:
"Von Nachhaltigkeit kann keine Rede sein. Das sind provisorische Notmaßnahmen, und es ist nicht eine Lösung, es ist das Problem auf die nächste Generation hinausschieben. Es ist das Gegenteil von Nachhaltigkeit."

Vor Gericht scheiterten die Gegner

So sehen das auch einige in Leverkusen.
Das Forum, ein Kulturzentrum in der Leverkusener Innenstadt, sonst Anlaufpunkt von Theater- und Opernfreunden. Heute treffen sich hier Umweltaktivisten, Kommunalpolitiker und engagierte Bürger, um zu beraten, ob der Autobahnbau durch die Giftmülldeponie noch zu stoppen ist.
"Die Sachlage ist, wie sie ist. Und sie ist für uns Leverkusener leider beschissen", sagt Erhard Schoofs, der Mann von der Bürgerliste. Er hat zu dem Treffen eingeladen, die Stimmung ist gedrückt.
"Wir haben Befürchtungen für unsere Kinder und Enkelkinder, dass die später, wenn zwei Autobahnen hier durch die Stadt gehen, dass das sehr ungesund wird für die Menschen, die hier leben."
"Ich rege mich endlos darüber auf, und ich kriege jedesmal einen Zorn, wenn ich da drüber fahre und das sehe. Aber ich weiß nur nicht, wie ich das ändern soll."
Gemeinsam mit einigen Umweltverbänden hatte Schoofs gegen das Autobahnprojekt geklagt, ist bis vor das Bundesverwaltungsgericht gezogen. Vor anderthalb Jahren wies das Gericht die Klage zurück:
"Wir waren mit fünf Leuten angetreten, ein Rechtsanwalt, und die anderen hatten 173. 173. Und alles bestens finanziert und vorbereitet. Und wir saßen dann da. Ja, das hätten wir besser gelassen, aber wir hatten ja keine Ahnung."

Tunnel statt Brücke - die Lösung?

Ein langer Tunnel, der den Autobahnverkehr unter den Rhein und unter Leverkusen hinweg führt, knapp sechs Kilometer lang. Das war der Plan, der einen Eingriff in die Giftmülldeponie überflüssig gemacht hätte. Und Leverkusen von den 120.000 Autos befreit hätte, die täglich durch die Stadt rasen. Erhard Schoofs:
"Unser Konzept war ganz einfach. Durchgangsverkehr in die Tunnel, weg damit, die Tunnel auch noch mit guten Filteranlagen ausrüsten, und wir haben einen großen Schritt in Sachen Gesundheit gemacht. Und nur der örtliche Verkehr bleibt auf der alten Brücke."
Und die Giftmülldeponie hätte nie geöffnet werden müssen. Allerdings hat diese Variante in den Planungen von Straßen NRW nie eine größere Rolle gespielt. Das sei technisch nicht machbar, sagt Projektleiter Thomas Raithel. Ein langer Rheintunnel sei jedoch nie ernsthaft geprüft worden, entgegnet Karl Lauterbach, der SPD-Gesundheitsexperte. Er setzt sich seit langem für einen Tunnelbau ein:
"Das wäre für die Bevölkerung eine massive Entlastung, was Verkehrsbelastung angeht, was Feinstaub angeht und was Stickoxide angeht. Das würde pro Jahr 200 Todesfälle vermeiden, das habe ich mit einem Lungenfacharzt ausgerechnet, weil der Feinstaub viel gefährlicher ist, als wir denken."
In der Bevölkerung gibt es für diese Variante große Sympathien, die Leverkusener Bürgerinitiativen haben 23.000 Unterschriften gegen die Autobahn und für die Tunnellösung gesammelt und dem nordrhein-westfälischen Verkehrsministerium übergeben.
Ob das reicht, um die Politik zum Nachdenken zu bewegen? Auch der Kommunalpolitiker und Umweltaktivist Erhard Schoofs ist da skeptisch. Aber aufgeben, sagt der 78-Jährige, sei für ihn auch keine Alternative:
"Solange ich der Überzeugung bin, das ist richtig, werde ich auch weitermachen Geschlagen geben wir uns nicht. Geschlagen geben wir uns erst, wenn nichts mehr geht."

*An dieser Stelle haben wir einen inhaltlichen Fehler korrigiert.
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