Altes Hühnervolk

Von Lutz Reidt · 30.03.2013
Alte Nutztierrassen bieten einen reichen Fundus an genetischen Ressourcen, die unwiederbringlich verloren sind, sollten diese Landrassen aussterben. Daher wird versucht, die genetischen Schätze auf Weiden und in Ställen zu bewahren, und zwar auf sogenannten Arche-Höfen.
Kunterbunt geht es zu im Hühnerstall auf dem Arche-Hof Ibing bei Wetter an der Ruhr. Goldfarbene Hühner wuseln durchs Stroh, sie picken und scharren, während die beiden Hähne aristokratisch umherstolzieren. Mit ihrem prächtigen Federkleid könnten die Tiere einem Bilderbuch entsprungen sein:

"In der Mitte goldfarben; die Schwanzfedern und der Kopf sind tiefschwarz mit roten Anhängen und weißen Ohrscheiben. Ist ein gedrungenes Landhuhn, ungefähr zweieinhalb Kilo schwer, bis drei Kilo und da drüber die Hähne."

Sonja Gehlen-Bremer hält auf ihrem Arche-Hof seltene, vom Aussterben bedrohte Nutztiere. Bentheimer Landschafe und belgische Bartkaninchen zum Beispiel, aber auch schwarzgoldene Vorwerks, die aber nur gut halb so viele Eier legen wie die heutigen Hochleistungshühner:

"Die Vorwerk-Hähne sind eine alte, sehr robuste Rasse mit einer Eileistung von ungefähr 160 Eiern im Jahr, 170 Eiern; aber es ist zum Vorteil: Es ist ein Zwienutzungshuhn. Das heißt, man kann die Eier nehmen, … aber man kann die Hähnchen auch gut mästen. Und das Fleisch ist ein sehr, sehr schmackhaftes Fleisch, wenn man es - wie man es sollte - draußen hält und im Auslauf mästet."

Zwölf Vorwerk-Hühner und zwei Hähne hält Sonja Gehlen-Bremer. Sie sollen aber nicht als schöne Ausstellungstiere auf ihrem Arche-Hof ihr Dasein fristen. Vielmehr ist es das Ziel, alte Landrassen für einen Nischenmarkt interessant zu machen. "Erhalt durch Nutzung" ist das Credo von Agrarwissenschaftler Steffen Weigend vom Friedrich-Löffler-Institut für Nutztiergenetik in Mariensee bei Hannover:

"Was nicht genutzt wird, läuft Gefahr, verloren zu gehen. Alte Rassen tragen genetische Varianten, genetische Eigenschaften, die für zukünftige Nutzung interessant sein könnten. Wir kennen nicht alle Eigenschaften, aber wir wissen, dass eine Reduktion von Rassen, eine Reduzierung dazu führt, dass weniger Variation vorhanden ist."

Und mit weniger Variation könnte dann auch eine größere Anfälligkeit einhergehen. Deswegen sind die Erbanlagen alter Landrassen vielleicht einmal wichtig, um überzüchtete Hochleistungsrassen wieder etwas robuster zu machen - und zwar, indem man sie miteinander kreuzt.

Das geschieht bereits - zunächst allerdings mit dem Ziel, die seltenen Vorwerkhühner zu erhalten - was nicht so einfach ist. Selbst bei moderaten Ansprüchen eines Arche-Hofes legt ein Vorwerkhuhn für eine halbwegs rentable Nutzung nicht genug Eier:

"Es legt halt nur 160 Eier im Jahr; das ist ein bisschen wenig für jemanden, der Eier produzieren möchte; sie fressen zwar etwas weniger, die Vorwerk-Hühner, aber nichtsdestotrotz fressen sie so viel, dass die Futterkosten halt hoch sind und die Eileistung dann relativ gering; damals sah es ganz anders aus: Da war das ein ganz tolles Huhn mit einer sehr großen Eileistung um 1900; aber heute ist die Eileistung halt eher geringer."

Deswegen verpaart Sonja Gehlen-Bremer ihre Vorwerkhähne kurzerhand mit leistungsfähigen Hühnern, wie sie heutzutage in vielen Legebatterien und auch im Freiland gehalten werden.

Auf dem Arche-Hof Ibing sind 15 dieser schneeweißen Hennen unterwegs. Das sind die Mütter jener Kreuzungstiere, die dann deutlich mehr Eier legen sollen als die reinrassigen Vorwerks. Und das tun sie auch: Im Schnitt knapp 250 cremefarbene Eier pro Huhn und Jahr - und damit immerhin 80 bis 90 mehr als bei den reinrassigen Vorwerk-Hennen und nur noch 30 bis 40 Eier weniger als das, was die Hochleistungshühner schaffen:

"Das ist eine Möglichkeit, ad hoc eine höhere Leistung bei diesen Kreuzungstieren zu kriegen, sodass der Halter dieser Tiere dann zumindest einen Teil seiner Aufwendungen über den Verkauf von Eiern auch wieder zurückführen kann. Vorteil ist, dass wir auf die Art Produkte anbieten können, die anders sind als das was Sie herkömmlich im Supermarkt kaufen können. Man kann diese Produkte unter verschiedenen Aspekten der Besonderheit vermarkten; aber auch der Frage eines Regionsbezuges. Also, eine Geschichte damit verkaufen und die alten Rassen damit auch entsprechend dafür Werbung machen."

Sonja Gehlen-Bremer hat keine Absatzprobleme. Spitzenköche aus dem Ruhrgebiet nehmen ihr die Freiland-Hähnchen ab Hof ab. Die lange Mast trägt dazu bei, dass das Fleisch später schön saftig ist.

Die Eier verkauft sie auf zwei Wegen. Einmal als Speiseeier direkt ab Hof. Und zum anderen als Bruteier an Interessierte, die selbst eine Erhaltungszucht betreiben. Auf diese Weise wird der Zuchtring größer und damit schwindet auch die Gefahr, dass alte Landrassen aussterben:

"Und wenn man sich das ganz einfach in einem Ring vorstellt, dann entsteht eine Rotation der Genetik; und das hat den Vorteil, dass Inzucht - zumindest für den einzelnen Zuchtstamm - minimiert wird und damit zur Erhaltung beiträgt."