Als Kleinkind auf den Thron

Von Kersten Knipp |
Die Herrschaftszeit Ludwig XIV. gilt als Epoche der zentralen und vollkommenen Macht. Und wirklich verbarg sich hinter der verspielten Fülle seines neuen Schlosses in Versailles der Anspruch auf totale Kontrolle.
Viereinhalb Jahre war Ludwig, als er den französischen Thron bestieg. Doch lange Zeit übernahmen andere die Regierungsgeschäfte, allen voran sein politischer Ziehvater Jules Mazarin, der regierende Minister am Königshof. Einen Tag, nachdem Mazarin gestorben war, am 10. März 1661, übernahm der junge König selbst die Macht – und verdeutlichte von Anfang an, dass er sie auch gebrauchen wollte.

"Ich begann meine Regierung damit, dass ich die vier Staatssekretäre nichts mehr unterzeichnen ließ, worüber sie nicht vorher mit mir gesprochen hatten. Ebenso stand es mit dem Finanzintendanten. Der gleiche Befehl ging an den Kanzler. Vor allem beschloss ich, keinen Premierminister zu wählen. Denn nichts ist unwürdiger, als wenn auf der einen Seite ein Mann die ganzen Herrschaftsfunktionen ausübt und auf der anderen ein König steht, dem nur der Titel geblieben ist."

Diese Standfestigkeit hatte Ludwig XIV. bereits in jungen Jahren erworben. Sein Lehrer Mazarin hatte recht genaue Vorstellungen davon, welche Schwerpunkte bei der Ausbildung angehender Herrscher zu setzen waren.

"Es gibt viele Dinge, die Prinzen unbedingt wissen müssen. Die Kenntnis des Lateinischen ist darunter nicht eben die wichtigste. Ihr Einmaleins, dasjenige, das sie studieren müssen, ist das der Politik, außerdem die Geschichtsschreibung, die ihnen Beispiel aus vielerlei Ländern geben kann."

Ludwig hatte seine Lektionen gelernt, und er konnte sie brauchen: Das Land durchlief nach innen und außen eine unruhige Zeit. Der Eintritt Frankreichs in den Dreißigjährigen Krieg und der sich daran anschließende Krieg gegen Spanien hatten das Staatsbudget erschöpft. Die Steuern waren immer weiter erhöht worden, was zu Aufständen der Bevölkerung vor allem in Paris geführt hatte. Gegen jede Form von Opposition ging der junge Herrscher mit harter Hand vor. In seinen Erinnerungen schrieb er:

"Es gab damals, 1661, keine Unruhen im Königreich, aber alles, was nur im Entferntesten nach Ungehorsam aussah, wurde gleich im Keim unterdrückt, ohne dass dazu irgend etwas verheimlicht wurde. Hierzu gaben mir der Friede und die Truppen, die ich auf einem hohen Stand zu halten beschlossen hatte, hinreichende Mittel an die Hand."

Kriege, Friedensschlüsse, neue Kriegsanlässe, neue Kriege; dazu die außereuropäische Expansionspolitik in Nord- und Südamerika, in Afrika und Asien: Der Monarch verteidigte die französischen Interessen mit harter Hand. Unter seiner Regierungszeit verzeichnete das französische Königreich an seiner Nordgrenze und in Übersee erhebliche Gebietszuwächse. Und es löste den Erzrivalen Spanien als führende europäische Großmacht ab. Diesen Erfolgen standen heute kaum mehr nachvollziehbare innenpolitische Entscheidungen gegenüber: die Rücknahme des Edikts von Nantes etwa, die zahllose Hugenotten zur Auswanderung zwang, betrachtete Ludwig XIV. als probates Mittel, das Reich weltanschaulich zu einen. Auch der Ausbau des Schlosses von Versailles, Symbol absolutistischer Macht schlechthin, erschien aus Sicht des Königs politisch durchaus sinnvoll.

Hier konnte er den bislang über ganz Frankreich verstreuten Adel an einem einzigen Ort konzentrieren. Bis zu 13.000 Adlige und Bedienstete lebten in der weitläufigen Palastanlage und ihrer unmittelbaren Umgebung. Mit verschwenderischen Festen hielt der "Sonnenkönig" seinen Hofstaat bei Laune, Kunst und Kultur erlebten eine Blütezeit. Doch hinter der barocken Pracht, so ein italienischer Gesandter, verbarg sich vor allem der Wille zur Kontrolle.

"Er will über alles informiert sein. Durch seine Minister erfährt er die Staatsangelegenheiten; durch die Präsidenten diejenigen der Parlamente; durch die Richter die kleinsten Vorfälle; durch die Damen seines Herzens die neuesten Moden – mit einem Wort, es gibt im Laufe des Tages kaum einen Vorfall, von dem er nicht erfährt, und es gibt kaum einen Menschen, dessen Namen und Gewohnheiten er nicht kennt."

Ludwigs absolutistischer Herrschaftsanspruch hatte seinen Preis. Der Monarch hatte Frankreich zum mächtigsten Staat, zum kulturellen Zentrum Europas gemacht. Doch die Kriege, an denen das Land sich beteiligte, verschlangen gewaltige Summen. Vor allem der Spanische Erbfolgekrieg trieb den Staat an den Rand des Ruins. Als Ludwig XIV. 1715 nach über fünf Jahrzehnten Regentschaft starb, hinterließ er ein Reich, das nach außen hin prächtig, doch in seinem inneren Kern marode war.