Als die Araber den Dezimalbruch erfanden

13.06.2011
Mathematik, Medizin, Geografie: Etliche wissenschaftliche Errungenschaften verdanken wir den Arabern des Mittelalters. Der irakischstämmige Physiker Jim Al-Khalili hat nun eine ebenso profunde wie eingängige Einführung in das Thema geschrieben.
Die Frage, welche Errungenschaften wir den Arabern und Muslimen verdanken, ist mittlerweile ein Politikum. Mit dem nun erschienenen Buch des irakischstämmigen britischen Physikers Jim Al-Khalili liegt erstmals eine zugleich profunde und eingängig geschriebene Einführung zu den Leistungen der arabischen Wissenschaftler des Mittelalters vor.

Der Autor räumt mit positiven wie mit negativen Mythen gleichermaßen auf. Ein Beispiel: Verdanken wir den Arabern, deren ursprünglich aus Indien stammende Zahlen wir übernommen haben, das Dezimalsystem? Nur zum Teil. Die entscheidende Frage lautet, wer die Null, also einen leeren Platzhalter in der Dezimalstelle, eingeführt hat. Auch die Araber taten dies noch nicht. Aber sie nahmen einen entscheidenden Schritt auf diesem Weg, indem sie zum ersten Mal Dezimalbrüche mit einem Dezimalkomma einführten.

Zahlreiche der wegweisenden Errungenschaften der Araber liegen auf dem weiteren Gebiet der Mathematik. Al-Khwarizmi (780-850) lautet der Name des vermutlich größten arabischen Mathematikers. Einer Verballhornung seines Namens verdankt sich unser Wort "Algorithmus". Tatsächlich war al-Khwarizmi jedoch der Erfinder der Algebra – ein Begriff, der wiederum von dem arabischen Wort "al-Jebr" abstammt, was ursprünglich das Einrenken der Knochen meinte.

Entscheidendes verdankt die Menschheit den Arabern auch in Medizin, Geometrie, Astronomie – wovon die zahlreichen aus dem Arabischen stammenden Sternnamen zeugen – sowie der Geografie. Dass die Erde eine Kugel war, ist den Arabern, wie im übrigen auch den meisten Griechen, immer schon klar gewesen. Aber es gelang den Arabern als ersten, den Erdumfang mit großer Genauigkeit zu berechnen.

Die Begeisterung für sein Thema merkt man dem Autor an. Das Buch ist flüssig zu lesen und lädt mit zahlreichen Illustrationen zum Mitdenken ein, ohne zu überfordern. Warum die wissenschaftlichen Errungenschaften in der islamischen Welt seit der Renaissance versiegten und sich die Erkenntnisproduktion nach Europa verlagerte, kann freilich auch Al-Khalili nicht abschließen klären. Vermutlich gab es einfach nicht mehr genug einflussreiche und finanzkräftige Herrscherhäuser, die die Wissenschaften wertschätzten und pflegten.

Das dürfte weniger mit dem Islam als Religion zu tun gehabt haben – dieser hatte ja mehr als ein halbes Jahrtausend lang seine Vereinbarkeit mit dem wissenschaftlichem Denken bewiesen – als mit geopolitischen Verschiebungen. Diese führten zu einem zunehmenden Macht- und Einflussverlust der islamischen Reiche – und damit auch zu einem Verlust von finanziellen Mitteln und Interesse an der Wissenschaft.

Besprochen von Stefan Weidner

Jim al-Khalili: Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur Aus dem Englischen von Sebastian Vogel
S. Fischer Verlag, Frankfurt 2011
432 Seiten, 22,95 Euro