Allein gelassen: Schulen in Problemvierteln

Von Regina Mönch · 27.05.2008
Schon lange gibt es, nicht nur in Berlin, viele Schulklassen, in denen kein Kind die deutsche, die Unterrichtssprache richtig beherrscht. Es hat Jahre gedauert, bis die ersten Studien zum Sprachvermögen, richtiger wäre Unvermögen, der Migrantenkinder vorlagen. Seitdem sind Millionen Euro für Förderstunden, für die Qualifizierung der Lehrer, für Sozialstationen, Sozialarbeiter, für Müttersprachkurse und vieles mehr ausgegeben worden.
Es war nicht umsonst, aber der durchschlagende Erfolg ist trotzdem ausgeblieben. Denn nicht jede Fehlentwicklung ist mit Geld auszubügeln und nicht jedes Bildungsdefizit ist mit dem Verweis auf soziale Verwerfungen, Diskriminierung oder mit der Ablehnung der Mehrheitsgesellschaft zu erklären. Zumal sich die Mehrheitsverhältnisse dort, wo es die größten Schulprobleme gibt, längst umgekehrt haben.

In den Niederlanden nennt man sie "schwarze Schulen". Gemeint sind Schulen, in denen etwa neunzig Prozent der Kinder aus Einwandererfamilien kommen. Es gibt sie auch in Berlin, nur sagt man hier eher vorsichtig, an dieser oder jener Schule lernten Kinder aus zehn Nationen. Das klingt bunt und nach Vielfalt.

Doch als bunt und vielfältig könnte man dann auch die Berliner Europaschulen beschreiben, an denen von Anfang an in zwei Sprachen unterrichtet wird, in Deutsch und Englisch, Deutsch und Französisch, Spanisch, Italienisch, Portugiesisch, Polnisch.

Nur ist die Vielfalt der so genannten "schwarzen Schulen" und die der Europaschulen nicht miteinander zu vergleichen, es sei denn, man will die Unterschiede klar benennen. Denn die Europaschulen, deren begehrte Plätze sich Eltern für ihre Kinder sogar vor Gericht zu erstreiten versuchen, sind Schulen für das bildungsnahe Milieu; immer erfolgreich, egal aus wie vielen Nationen die Schüler stammen.

Die Migrantenschulen der Berliner Problemviertel aber haben es mit sehr vielen Eltern zu tun, die nicht nur in prekären sozialen Verhältnissen leben und sich kaum für das Fortkommen ihrer Kinder interessieren oder damit überfordert sind. An diesen Schulen kämpft man gegen enorme Sprachnot, immer wieder, mit jeder neuen Schülergeneration. Die problematischste, zugleich größte Gruppe dieser Kinder kommt aus der türkischen und arabischen muslimischen Unterschicht. Die Welt, in der sie leben, hat der niederländische Schriftsteller Gert Mak einmal den "unzugänglichsten Erdteil" der modernen europäischen Stadt genannt. Eine Welt, die parallel zur Schulwelt existiert - und zwischen beiden pendeln Tag für Tag diese Kinder.

Ihre Bildungsdefizite sind auch die Folge einer kulturellen Differenz, aus dem Herkunftsland der Eltern und Großeltern in die neue Welt implantiert. Es sind Eltern, deren einer Teil, zumeist noch minderjährig, zur Heirat hierher geholt wird, meist sprachlose Mütter ohne Recht, die - wenn überhaupt - nur wenige Jahre eine Schule besucht haben. Den Jahrhundertschritt, etwa vom anatolischen oder libanesischen Dorf in die deutsche Großstadt, bewältigen sie zu selten mit Erfolg.

Natürlich wirkt sich das auf den Schulerfolg (oder Misserfolg) ihrer Kinder aus, natürlich leiden darunter auch die Schulen. Nicht jeder hält das aus, und so sind mit den meisten deutschen Familien die Polen, Griechen, die Italiener und Spanier und auch die türkische Mittelschicht weggezogen. Im Berliner Wedding, wo es inzwischen mehr Moscheen als Schulen gibt, verließen einmal innerhalb von nur drei Jahren vierzig Prozent der angestammten Bewohner ein bestimmtes Viertel. Eine Abstimmung mit den Füßen als Reaktion auf die Zumutungen verfehlter Einwanderungspolitik. Inzwischen gibt es im Wedding nur noch zwei Gymnasien, einst waren es vier - ein Indiz dafür, dass vor allem bildungsbewusste Familien gingen.

Die meisten Schulen aber sind geblieben und sie haben ausreichend Schüler. Viel zu spät wurden sie Ganztagsschulen - für die Kinder also acht Stunden jeden Tag eine deutsche Insel, mitten im "unzugänglichen Erdteil". Es sind meist schöne Schulen, mit fabelhaften Höfen, viele haben eine Bibliothek, eine Mensa, fantasievoll geschmückte Flure, und neben der Sprachförderung wird auf Kunsterziehung allergrößter Wert gelegt.

Trotzdem sind Klassenfahrten an diesen schönen Schulen oft nicht mehr möglich, weil der Imam davon abrät. Trotzdem haben vor allem die Kinder säkularer muslimischer Familien unter den Sittenwächtern der Moscheevereine zu leiden, was auch den Schulalltag beeinträchtigt. Und es gibt immer noch zu wenige Lehrer, die den Mut haben, zum Beispiel einen türkischen Vater anzuzeigen, der seinen Sohn noch auf dem Schulhof verprügelt, obwohl das verboten ist.
Immer noch werden die Schulen mit diesen Problemen ziemlich allein gelassen, von den Schulbehörden, von der Politik. Denn es ist nicht nur die Sprachnot, die den Erfolg vieler engagierter Pädagogen schmälert. Es ist eben auch das Identitätsproblem dieser Kinder, die kulturelle Differenz. Sie äußert sich in vielen Familien in der gewalttätigen Erziehung zum absoluten Gehorsam, in der Verachtung der westlichen, säkularen Gesellschaft, und sie verhindert, dass diese Kinder selbständig werden und nicht schon in der Schule scheitern. Wenn es uns nicht gelingt, dieses Identitätsproblem zu lösen, dann wird uns nichts gelingen.

Regina Mönch, geboren 1953 in Pirna (Sachsen), studierte Journalistik in Leipzig und Sozialtherapie an der HU Berlin; bis 1989 war sie Gerichtsreporterin bei der Jugendzeitschrift "Neues Leben", anschließend tätig für verschiedene alternative ostdeutsche Zeitungen, dann Redakteurin beim "Tagesspiegel". Seit 1999 ist sie Redakteurin (Bildung, Berlin, Kulturpolitik) im Feuilleton der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".
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