Alexander Graf Lambsdorff

"Martin Schulz hat das Parlament nach vorne gekämpft"

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz spricht bei einer EU-Pressekonferenz.
Wer kommt nach Martin Schulz an die Spitze des Europäischen Parlaments? © Emmanuel DUNAND / AFP
Moderation: Liane von Billerbeck · 12.01.2017
Wer wird neuer Präsident des EU-Parlaments? Für Alexander Graf Lambsdorff, EU-Abgeordneter der Liberalen, steht fest: Der Sozialdemokrat Martin Schulz habe viel zur besseren öffentlichen Wahrnehmung des Parlamentes beigetragen - und auch sein Nachfolger müsse in diesem Sinne agieren.
Der scheidende Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz (SPD), bekommt Lob aus den Reihen der europäischen Liberalen: EU-Politiker Alexander Graf Lambsdorff bescheinigt dem Sozialdemokraten, er habe "das Parlament unheimlich nach vorne gekämpft".
Als Lambsdorff vor zwölf Jahren erstmals als Abgeordneter im Europäischen Parlament saß, "gab es wenig auch mediales Interesse an dem, was da geschah. Seitdem Martin Schulz da die Präsidentschaft übernommen hatte, hat er das geändert dahingehend, dass man wirklich sich interessiert, welche Debatten werden da geführt, welche Gesetzesvorhaben sind da gerade in der Pipeline, wie betrifft einen das oder wie betrifft es einen nicht."
Der Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff (FDP)
Der Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff (FDP)© dpa / picture-alliance / Roland Weihrauch
Das Parlament werde öffentlich nun auch von den Bürgern viel stärker wahrgenommen. Er freuen sich auf einen guten und offenen Wettbewerb um das Amt des Parlamentspräsidenten. Und es sei zu hoffen, dass es auch unter einem Schulz-Nachfolger ein Ort des konstruktiven demokratischen Streits bleibe, an dem rechts- wie linksextreme Kräfte in der Minderheit blieben.

Das Interview im Wortlaut:

Liane von Billerbeck: Noch fünf Tage, dann wählt das EU-Parlament sich einen neuen Präsidenten und damit den Nachfolger des deutschen Sozialdemokraten Martin Schulz, der ja in die Bundespolitik wechseln will, und was da in den letzten Tagen so zu hören war, das hörte sich so ein bisschen nach Hinterzimmerpolitik an, Geheimabkommen und gebrochene Versprechen – all das eben nicht so geeignet für Vertrauen in die europäischen Abgeordneten und ins Parlament zu setzen, aber jetzt sieht das irgendwie anders aus. Dieser Tage präsentieren sich die Kandidaten, gestern Abend gab es da so eine Art Schaulaufen vom US-Magazin "POLITICO". Alle sieben Kandidaten waren da. Ich möchte sprechen über diese Kandidaten und die Frage, welche Rolle, welche Macht eigentlich das Europäische Parlament in Zukunft haben soll und braucht, mit Alexander Graf Lambsdorff. Der Liberale sitzt im Europäischen Parlament und ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!
Alexander Graf Lambsdorff: Guten Morgen, Frau von Billerbeck!
Billerbeck: Gestern Abend sind die Kandidaten präsentiert worden. Das war ja ein richtiges Schaulaufen, und man kann sagen, mit ziemlicher Sicherheit, also wenn es so läuft wie früher, wird der nächste Parlamentspräsident ein Italiener, oder?
Lambsdorff: Es sieht ein bisschen so aus, weil die beiden Kandidaten der großen Fraktion, der größeren Fraktion, Christdemokraten und Sozialdemokraten, aus Italien kommen und auch noch die Linkspartei eine Italienerin ins Rennen geschickt hat. Hinzukommt, dass die Liberalen, also meine Fraktion, mit Guy Verhofstadt, einen Kandidaten haben, der ständig in Italien ist und auch fließend italienisch spricht also mit anderen Worten …
Billerbeck: Und italienischen Wein macht, wie er gestern sagte.
Lambsdorff: Und italienischen Wein macht, ganz genau. Also mit anderen Worten, nach einer fünfjährigen deutschen Dominanz durch Martin Schulz, wird es jetzt vermutlich ein bisschen Richtung Italien gehen.

Ein offener Wettbewerb

Billerbeck: Einen Belgier zum Italiener machen – ich weiß nicht, ob den Belgiern das gefällt, aber gut! Die Frage ist ja nur, Guy Verhofstadt, ist sicher ein interessanter Kandidat, aber bisher lautete die Regel ja, um andere Kandidaten zu verhindern, wählt man jeweils den Kandidaten der anderen großen Fraktion – das bezog sich also auf die Sozialdemokraten und auf die Konservativen. Wir das in diesem Jahr auch wieder so sein, oder ist dieses Abkommen, diese Übereinstimmung längst aufgekündigt?
Lambsdorff: Dieses Abkommen war ja immer ein bisschen eine, wie soll man sagen, nicht so glückliche Geschichte. Es war ein Geheimabkommen, das war nicht öffentlich gemacht worden, zwischen Christdemokraten und Sozialdemokraten. Die haben sich das gegenseitig in die Hand versprochen, dann haben sie es unterschrieben, dass sie sich sozusagen im Wechsel da das Parlament, ich sage es mal salopp, krallen, so, unabhängig davon, ob die Qualität des Kandidaten wirklich gut ist. Das hat in den vergangenen Jahren also dazu geführt, dass es natürlich auch Unmut gab, denn da hängen ja eine ganze Menge anderer Sachen dran.
Sie haben dann den Zugriff auf einen großen Apparat, auf so eine Parlamentsverwaltung, das macht ja auch was aus. Jetzt haben wir zum ersten Mal – und das finde ich eigentlich eine ganz glückliche Entwicklung – einen wirklich offenen Wettbewerb, das heißt, die Kandidaten auch der kleineren Fraktionen – die Grünen haben ja interessanterweise eine Engländerin aufgestellt, also auf die Idee muss man erst mal kommen nach dem Brexit-Votum –, aber auch die Liberalen, die Linkspartei, die europäischen Konservativen, also die Vertreter von den Torys und einiger anderer konservativer Parteien, schicken Leute ins Rennen, und es gibt einen echten Streit, und zwar einen positiven, einen konstruktiven Streit darum, wie das Europäische Parlament in Zukunft arbeiten soll, welche Rolle es haben soll. Insofern Ende mit dem Geheimabkommen, stattdessen offener Wettbewerb. Ich finde das unter dem Strich positiv.
Billerbeck: Nun war es ja früher so, dass wenn man die Bürger in Europa gefragt hatte, also ich spreche jetzt von der Zeit vor Martin Schulz, dann hätten viele gar nicht gewusst, wer ist eigentlich der Präsident des Europäischen Parlaments. Jetzt ist das anders. Weshalb wird der Kampf um diesen Präsidentenposten denn so hart ausgetragen, und wir haben uns vor dem Interview kurz unterhalten, und da haben Sie gesagt, man merkt den Kandidaten die Aufregung an. Woran liegt das?

Aufregung vor der Wahl des Nachfolgers

Lambsdorff: Das hat ganz … Das sage ich jetzt auch mal ganz objektiv als demokratischer Mitbewerber, aber Martin Schulz hat das Parlament unheimlich nach vorne gekämpft. Als ich vor 12 Jahren zum ersten Mal dorthin gewählt worden bin, gab es wenig auch mediales Interesse an dem, was da geschah. Seitdem Martin Schulz da die Präsidentschaft übernommen hatte, hat er das geändert dahingehend, dass man wirklich sich interessiert, welche Debatten werden da geführt, welche Gesetzesvorhaben sind da gerade in der Pipeline, wie betrifft einen das oder wie betrifft es einen nicht. Also mit anderen Worten, das Parlament hat eine viel stärkere Rolle in der öffentlichen Wahrnehmung, in den öffentlichen Debatten bekommen, und da die Nachfolge jetzt anzutreten, das ist natürlich eine aufregende Sache.
Deswegen sind die Kandidaten auch aufgeregt, und deswegen, mein Wunsch ist, dass der nächste Präsident, ähnlich wie man Martin Schulz das getan hat, dafür sorgt, dass das Europäische Parlament wirklich in den Köpfen der Menschen, der politisch interessierten Bürgerinnen und Bürger ist, damit man eben auch diese demokratische Volksvertretung in der Europäischen Union als das wahrnimmt, was sie ist, nämlich wirklich die Volksvertretung auf der europäischen Ebene.
Billerbeck: Wer wäre denn für sie der oder die Richtige?
Lambsdorff: Also ich habe mir gestern, na ja, einige der Kandidaten angehört: Antonio Tajani von den Konservativen ist ein sehr erfahrener Mann. Ich arbeite mit ihm auch schon zusammen, er ist ja auch wie ich Vizepräsident von Martin Schulz. Gianni Pittella, der Vorsitzende der Sozialdemokraten, hat darauf verwiesen, dass zwischen Sozialdemokraten und Liberalen es ganz viele Übereinstimmungen gibt, gerade was Bürgerrechte, was Migrationspolitik, Integrationspolitik angeht, da hat er natürlich auch recht, aber wenn ich ehrlich bin und nicht nur, weil ich der Fraktion der Liberalen bin, der mit Sicherheit beste, rhetorisch gewiefteste und erfahrenste Mann ist Guy Verhofstadt, langjähriger Premierminister von Belgien. Der war neun Jahre Premierminister und insofern auch im Europäischen Rat aktiv. Das ist jemand, der das tun könnte, was Schulz angefangen hat, nämlich das Parlament weiter in der öffentlichen Wahrnehmung stärken. Also unter dem Strich, ganz klar, der beste Kandidat ist Verhofstadt.

"Die Rechtspopulisten haben einen überschaubaren Einfluss"

Billerbeck: Das ist jetzt nicht verwunderlich für mich gewesen, aber was könnte er denn tun, um das zu verhindern, was ja viele Demokraten befürchten, nämlich den Einfluss der Rechtspopulisten auch im Europäischen Parlament etwas einzuhegen?
Lambsdorff: Nun, ich glaube, die Rechtspopulisten haben einen überschaubaren Einfluss. Ich glaube, das muss man wirklich deutlich sagen. In der öffentlichen Debatte ist natürlich der Rechtspopulismus, übrigens teilweise auch der Linkspopulismus, wenn wir auf Bewegungen wie Podemos oder Syriza schauen in der Europäischen Union, stark im Europäischen Parlament, aber es ist so, dass die Kräfte der Mitte, und das sind Christdemokraten, Grüne, Sozialdemokraten und Liberale, eine so überwältigende Mehrheit haben, dass der Einfluss im Parlament selber eher überschaubar ist.
Es ist aber viel wichtiger, glaube ich, dafür zu sorgen, dass er auch in der öffentlichen Debatte wieder zurückgedrängt wird, dieser populistische Einfluss, der ja – das muss man sagen – einfach mit leeren Versprechungen arbeitet, wenn Sie sich anschauen, was beim Brexit jetzt da geschieht, also dass ein populistischer Sieg errungen worden ist, aber dass dahinter überhaupt keine Substanz ist, dass es ein völlig leeres Versprechen war, dass es Großbritannien besser gehen würde nach dem Austritt. Genau das sollten wir in der öffentlichen Debatte, alle politischen Parteien machen, dass wir versuchen, leere Versprechungen zu vermeiden und stattdessen gemeinsam an Lösungen zu arbeiten, gerne auch im produktiven demokratischen Streit über den besten Weg, aber eben nicht mit leeren Versprechungen, mit Angstmache und mit Hetze gegen Minderheiten.
Billerbeck: Der liberale Europaabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff war das während der Debatten um die Nachfolge von Martin Schulz als Präsident des Europäischen Parlaments. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Lambsdorff: Danke Ihnen! Tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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