Alexander Fischer: "Manipulation"

Manipulation als legitimes Mittel

Alexander Fischer: "Manipulation"
Alexander Fischer: "Manipulation" © Suhrkamp / Imago / Gary Waters
Von Eike Gebhardt · 22.01.2018
Manipulation ist Entmündigung. Aber muss sie immer schlecht sein, fragt Alexander Fischer in dem Sachbuch "Manipulation. Zur Theorie und Ethik einer Form der Beeinflussung". Wie sieht es beispielsweise aus, wenn man sein Kind mit kleinen Tricks zu Wohlverhalten erzieht?
Wer manipuliert wird, fühlt sich entmündigt – so er oder sie es überhaupt wahrnimmt. Im strikten Sinne stimmt das wohl, das räumt auch der Philosoph Alexander Fischer in seinem neuen Buch "Manipulation" ein. Um sogleich zu fragen: Muss Manipulation immer nur böse Zwecke verfolgen? Wenn wir mit kleinen Tricks Kinder zu Wohlverhalten erziehen oder schüchterne Verliebte in eine günstige Lage stupsen: Ist das wirklich zum Schaden der Betroffenen, ist es nicht vielmehr legitim zum höheren Zweck? Und: Ist das nicht Alltag?
Die Frage birgt Sprengstoff, denn sie zielt auf ethische Voraussetzungen des sozialen Lebens, auf die Grenzen der Selbstbestimmung, auf Begriffe wie Menschenwürde gar. Zwar kennen wir alle die kleinen Notlügen, die Menschen helfen, das Gesicht zu wahren oder Lebensmut zu behalten. Auch die gezielte Irreführung, zum Beispiel bei Überraschungspartys, scheint uns legitim.

"Manipulation ist ein legitimes Machtmittel"

Aber wie weit dürfen wir gehen? Wie ist es beispielsweise mit der Reklame? Fast immer wissen wir, es sind Lügen – und doch schwelgen wir in suggestiven Bildern, in denen der karibische Rum das Leben zu einer Dauerparty macht. Ist das schon Entmündigung? Inwieweit bleibt uns die Wahlfreiheit, wenn solche Bilderfluten in unsere "psychische Ökologie", so Fischers geschickte Wortprägung, eingreifen?
Freilich, zu den "Formen der Beeinflussung" gehört auch, dass wir "jemanden in rational argumentierender Art von etwas überzeugen wollen". Aber handelt es sich noch um eine Einsicht, wenn auch Argumente vor allem auf Affekte zielen? Fischers Grundsatz: "Manipulation ist ein legitimes Machtmittel, wenn die Manipulierten respektvoll behandelt werden", ist sicher konsensfähig, scheint allerdings allzu dehnbar, um eine wirkliche Deutungshilfe in konkreten Lebenslagen zu sein. Unter Respekt versteht er, dass dem Betroffenen eine "grundlegende Wahlfreiheit" zugeschrieben und zugestanden wird.

Korrektiv zur sehr deutschen moralischen Ablehnung

Was jedoch jemandem wünschenswert erscheint, ist oft von der Kultur vorgegeben, sodass, wie Erich Fromm einst spottete, die meisten Menschen glauben, etwas zu wollen, das sie im Grunde nur müssen.
Die Willensfrage klammert Fischer klugerweise aus, ihm als Handlungstheoretiker geht es um das Abwägen der jeweiligen Zwecke. Zweckfreie Manipulation wird nicht thematisiert. Wären Spieltrieb oder Neugier aber nicht auch als Motive vorstellbar, gespeist aus Wohlwollen oder erzieherischem Missionseifer? Woran würden diese appellieren?
Gleichwohl bietet das Buch eine klare, nachvollziehbare Taxonomie, gespickt mit vielen meist der Literatur entnommenen Beispielen verschiedener Manipulationstypen sowie ihrer jeweiligen Rechtfertigungen – und ein erfrischendes Korrektiv zur sehr deutschen moralischen Ablehnung einer ganz natürlichen Kommunikationsform.

Alexander Fischer: "Manipulation. Zur Theorie und Ethik einer Form der Beeinflussung"
Suhrkamp, Berlin, 2017
265 Seiten, 18 Euro

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