"Aktenzeichen XY... ungelöst"

Ein Fernsehdino wird 50

Moderator Eduard Zimmermann im April 1970 in der Kulisse der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY ungelöst".
Moderator Eduard Zimmermann im April 1970 in der Kulisse der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY ungelöst". © dpa/picture alliance
Klaudia Wick im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 20.10.2017
Verbrechensaufklärung durchs Fernsehen - dafür stand und steht "Aktenzeichen XY... ungelöst". Zu Spitzenzeiten sahen die Sendung 30 Millionen Menschen, heute sind es immerhin noch fünf bis sechs Millionen. Mit der Journalistin Klaudia Wick gratulieren wir dem ersten Reality-Format im deutschen TV zum 50.
Liane von Billerbeck: Es ist 50 Jahre her, als erstmals die Fernsehsendung "Aktenzeichen XY … ungelöst" ausgestrahlt wurde. Die Titelmelodie, die hat sich ja inzwischen geändert, und auch der Moderator ist nicht mehr Eduard Zimmermann, sondern Rudi Cerne. Zur Erinnerung ein paar Eindrücke aus einem halben Jahrhundert.
((Einspieler))
Das war eigentlich noch mal so ein Blick ins alte Fernsehen. 50 Jahre "Aktenzeichen XY … ungelöst". Klaudia Wick ist jetzt im Studio, Sachbuchautorin, Journalistin, Fernsehkritikerin. Guten Morgen!
Klaudia Wick: Guten Morgen!

"Eine gute Idee, das Fernsehen zu benutzen"

Billerbeck: Heinrich Böll hat die Sendung mal ein "muffiges Grusical für Spießer" genannt. Der Präsident des BKA München indes sagte, "Aktenzeichen XY" habe bahnbrechende Pionierarbeit geleistet. Was stimmt denn nun?
Wick: Beides letztlich. Also man muss schon sagen, das ist ja 1967 gegründet worden. Da war einerseits das Fernsehen ganz modern, und auf der anderen Seite aber auch war die Studentenbewegung am Start. Das heißt also, dieses Gefühl, man ist umzingelt von Verbrechen und man müsste das alles aufklären, da war, glaube ich, die Studentenbewegung eher ambivalent mit der Gewaltdarstellung, und auf der anderen Seite hatte das Fernsehen eine Durchschlagskraft wie heute das Internet, und das war eine gute Idee, dieses Medium zu benutzen, um Verbrechen aufzuklären.
Billerbeck: Man kann es sich gar nicht mehr vorstellen, aber in der Hochphase haben 30 Millionen Menschen eingeschaltet. Heute sind es immerhin auch noch fünf bis sechs Millionen. Was also die Quote betrifft, da ist "Aktenzeichen XY" ein Erfolg. Wie sieht es denn nun mit der Aufklärung aus?
Wick: Sie sagen selbst 40 Prozent Aufklärung, also fast jeder zweite Fall, der vorgestellt wird. Jetzt muss man natürlich auch sagen, dass das jetzt nicht nur durch die Hinweise von "Aktenzeichen XY" oder den Zuschauern kommt, sondern es hat auch Fälle gegeben, da ist gedreht worden – es gab ja immer schon Reenactments, also dass dieser Fall vorgestellt wurde –, und dann war er schon aufgelöst, bevor das ausgestrahlt worden ist, aber Aufklärungsquote hoch. Das ist natürlich das, was man heute Schwarmintelligenz nennt.

"Ich könnte Teil dieses ganzen Vorgangs sein"

Billerbeck: Was ist denn nun das Erfolgsrezept der Sendung, und was macht die ja bis heute noch so attraktiv?
Wick: Ich glaube, das ist das allererste Reality-Fernsehen. Heute ist es irgendwie gewohnt, dass Fiktionales und Echtes so ineinander übergeht, dieses Gefühl, dabei zu sein, selber auch Ursache für etwas sein zu können, also anrufen zu können, selbst wenn es einen selbst nicht betraf. Wenn es kein Fall aus Berlin war, hatte man doch das Gefühl und hat das auch bis heute, ich könnte Teil dieses ganzen Vorgangs sein. Das ist das Wesen, glaube ich, auch von Fernsehen: Es findet bei uns zu Hause statt, aber es zeigt die Welt, und das hat Eduard Zimmermann und "Aktenzeichen XY" vor 50 Jahre präzise festgestellt, dass man damit Fernsehen machen kann.
Billerbeck: Diese Sendung gibt ja auch Einblicke in die bundesdeutsche Zeitgeschichte. Wie hat sich denn die Inszenierung und auch die Präsentation von "Aktenzeichen XY" geändert über die Jahre?
Wick: Das, was die Kritiker ja immer kritisiert haben, nämlich, dass es so komisch gestellt aussah, dass immer weggeblendet wurde, wenn es an das eigentliche Verbrechen ging, das war damals der Tatsache geschuldet, dass man gesagt hat, wir wollen ja Aufklärung betreiben und nicht spektakulär sein. Heute ist das Fernsehen immer spektakulär, die Inszenierungen sind sehr viel authentischer. Wir haben ja auch jetzt 50 Jahre "Tatort". Wir sind daran gewöhnt, dass es etwas blutrünstiger zugeht. Das kann man schon daran erkennen. Die Fälle sind immer noch von kleiner Kriminalität bis Mord, aber wir haben zum Beispiel keine RAF-Taten mehr. Das war ja damals in den 70er-Jahren auch ein großer Diskussionspunkt.

"Es hat nicht mehr diesen Grundaufreger"

Billerbeck: Der 2009 verstorbene Eduard Zimmermann, der die Sendung ja sehr lange moderiert hat bis 97, der hat das ja auf eine, sagen wir: sehr nüchterne Art getan, um es mal vorsichtig auszudrücken. Wie macht es denn Rudi Cerne jetzt? Ist das ein Nachfolger, der würdigsten Sorte?
Wick: Ja, dadurch, dass sich alles verändert hat, muss sich natürlich auch die Moderation verändern, wenn es sportlicher ist und wenn es mehr in das Programm passt, wie es jetzt heute bei Rudi Cerne ist, dann ist das dem Fernsehprogramm angemessen. Sie haben aber eben auch die Einschaltquoten gesagt, das ist ja jetzt auch sozusagen Alltagsfernsehen. Es kommt, fünf Millionen Menschen schauen sich das an. Das sind nicht mehr die 30 Millionen von damals. Es hat auch nicht mehr diesen Grundaufreger, den man dann in der Moderation vielleicht ein bisschen dimmen muss, sondern jetzt ist es eher umgekehrt.
Billerbeck: Gab es sowas eigentlich auch in der DDR?
Wick: Also meines Wissens nicht. Ich habe noch mal nachgeschaut, aber es gab eine ganz interessante, kleine Schnurre dabei, als dann die Mauer gefallen war – man hatte ja damals auch noch das Schweizer Fernsehen dabei, das österreichische Fernsehen dabei –, ist man auf die Idee gekommen, auch in Adlershof nachzufragen. Da gab es dann Schalten nach Adlershof, und dann hatte man auch das DDR-Fernsehen mit im Boot.

Durch Veränderung über die Zeit gebracht

Billerbeck: Mit 50 Jahren gehört "Aktenzeichen XY" ja zu den Fernsehdinosauriern. Es gibt noch andere Urgesteine, denken wir an "Wetten, dass ..?" Die haben sich alle irgendwie totgelaufen. Wie ist das hier?
Wick: Ja, man hat, glaube ich, einerseits natürlich diesen tollen Inhalt, der immer wieder neu bleibt – es gibt immer wieder neue Verbrechen, es gibt ja auch manchmal prominente Verbrechen, die da auftauchen –, und dann ist es eben so, dass das ZDF an dieser Sendung gearbeitet hat und es auch verändert hat und es deswegen über die Zeit gebracht hat. Sie haben ja jetzt gerade selber "Wetten, dass ..?" erwähnt. Das ist ja sehr lange sehr ähnlich geblieben, und dann hat man einmal ein Problem damit gehabt, dass jemand da verunfallt ist, dann ist so ein Format tot. Also das ständige Arbeiten an Formaten gehört auch zum Fernsehen. Die Veränderung ist dann auch eine Idee, sich treu zu bleiben.
Billerbeck: Klaudia Wick war das, Fernsehkritikerin, über 50 Jahre "Aktenzeichen XY … ungelöst".
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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