Ärztevertreter: Kritik an privater Krankenversicherung ist "politisch unklug"

Günther Jonitz im Gespräch mit Gabi Wuttke |
Der Präsident der Landesärztekammer Berlin, Günther Jonitz, verteidigt die privaten Krankenkassen und hält sie bei Ärzten und Patienten für die bessere Versicherung. Das staatliche System werde zunehmend schlechter und mangelhafter, erklärt Jonitz.
Gabi Wuttke: Alles, was die moderne Medizin zu bieten hat, auf dem Silbertablett für die, die es sich leisten können. Dagegen, nach Stunden im Wartezimmer für Notwendiges extra zahlen müssen, wenn der Geldbeutel es denn zulässt. So stellt sich das Verhältnis zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung für viele da. Gerade streiten die Konkurrenten mal wieder miteinander und damit über Sinn und Unsinn dieses dualen Systems in Deutschland. Am Telefon begrüße ich Günther Jonitz, den Präsidenten der Landesärztekammer Berlin. Guten Morgen!

Günther Jonitz: Guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Warum ist die PKV für Sie kein Auslaufmodell?

Jonitz: Weil die PKV für den Patienten grundsätzlich die bessere Versicherung ist, weil die private Krankenversicherung dem Patienten den direkten und unmittelbaren Zugang zum Arzt gewährt, weil sie praktisch keine oder nur sehr, sehr wenige Leistungseinschränkungen hat, weil der Patient Transparenz über die Leistungen hat, weil der eine Rechnung kriegt und in der Regel auch zum Teil selber erst mal bezahlt, und – und das ist mir besonders wichtig – sich die Krankenkasse nicht einmischt in das, was zwischen Arzt und Patient passiert. Der gesetzlich Versicherte kriegt seine Pillen mittlerweile ja durch Verträge der Krankenkassen verschrieben und nicht mehr vom Arzt, und auch die Politik kann das System nicht missbrauchen.

Wuttke: Das alles ist prima, auch mit Hinblick auf die Gebührenordnung für die Ärzte, können sich aber mehrheitlich die Menschen in Deutschland nicht leisten.

Jonitz: Wir haben in der Beziehung einen Systemfehler, und der Systemfehler hat eine historische Wurzel. Die historische Wurzel war am Beginn der Gründungsphase der Bundesrepublik Deutschland. Damals gab es wenig Geld und die Leute waren relativ arm, und das Prinzip der solidarischen Versicherung im Bezug auf Rente und Krankenkasse war so geregelt, dass man all denjenigen das Privileg der Solidarität gewährt hat, die relativ wenig Geld verdient hatten. Und alle die, die nach Aussagen der damaligen Gesetzgeber genügend Geld hatten, um sich selber zu versichern, wurden praktisch von der Solidarität ausgeschlossen.

Und diejenigen, die damals praktisch zu den sogenannten Besserverdienenden gehörten, haben dann gesagt, okay, dann versichern wir uns halt selber im Bereich Rente und im Bereich der Krankenversicherung. Jetzt, fast 60 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland kriegt man mit, dass dieses System, das vom Staat organisiert wird, zunehmend schlechter und mangelhafter wird, aber anstatt das schlechte staatliche System zu reformieren, wird deswegen das noch relativ gut funktionierende private System angegriffen. Das halte ich für politisch unklug.

Wuttke: Aber die Zeiten haben sich nicht nur an dieser Stelle wiederholt, die Sie gerade genannt haben, sondern private Krankenkassen sind inzwischen auch nicht mehr unbedingt das medizinische Paradies. Vergleichbares haben auch gesetzliche Krankenkassen, für die, die Zusatzleistungen zahlen können.

Jonitz: Es leiden alle momentan unter den Problemen, die eine schlechte Politik und gleichzeitig die Fortschritte der Medizin mit ausgelöst haben. Und das manifestiert sich daran, dass die Kosten immer mehr werden. Das heißt, Versicherte, Krankenkassen, auch private Krankenkassen müssen permanent mehr zahlen, auch die Krankenhäuser ihren Mitarbeitern und, und, und. Und diese Kostensteigerung ist derzeit politisch ungelöst. Das betrifft die private wie die gesetzliche. Und dieses Kostenproblem wird keinen Deut dadurch besser, dass sie entweder die eine oder die andere Versicherung abschaffen.

Wuttke: Das heißt, Ihrer Meinung nach sind die Ausgaben der PKV in den vergangenen zehn Jahren im Vergleich zu den gesetzlichen Krankenkassen nicht um 100 Prozent gestiegen?

Jonitz: Doch, selbstverständlich, das ist ja eines der interessanten Dinge, dass genau in dem Bereich der Gesellschaft, wo ich eigentlich am ehesten mündige, akademische, wohlhalbende Patienten habe, die dem Arzt widersprechen könnten, die eine Rechnung kriegen, also Transparenz über ihre Leistung kriegen, die Ausgabensteigerung deutlich höher ist als im Bereich der gesetzlichen. Man muss sich dann aber überlegen, woher kommt das? Und das hat zwei Ursachen.

Das eine ist, dass die private Krankenversicherung bis zum heutigen Tage keinen Weg gefunden, geschweige denn gesucht hat, mit den Ärzten gemeinsam Wege zu finden, um die Kostensteigerung zu bremsen, und gleichzeitig im Bereich der Gesetzlichen, der Vater Staat dermaßen viele Zwangsmaßnahmen, den Krankenkassen, auferlegt hat, dass dort die Qualität der Leistung durch gesetzliche Vorgaben mittlerweile deutlich eingeschränkt ist. Das heißt, wenn die Kostensteigerung im Bereich der gesetzlichen weniger stark ausgefallen ist, dann liegt das auch daran, dass die Patienten mittlerweile nicht mehr auf dem Niveau versorgt werden, das in den 80er- und 90er-Jahren noch normal war.

Wuttke: Aber dass eine 100-prozentige Steigerung durch hohe Provisionen, aber auch durch die Gebührenordnung für die Ärzte der Privatpatienten ein Faktor ist, haben Sie jetzt nicht erwähnt.

Jonitz: Nein, das sind zwei – aber Sie haben die beiden Stichworte gegeben, da bin ich Ihnen sehr dankbar. Das erste ist das Thema Provision: Es ist – Entschuldigung – pervers, wenn die privaten Krankenversicherungen für Provisionen für ihre Außendienstmitarbeiter praktisch das gleiche Geld bezahlen wie für Honorare für die niedergelassenen Ärzte. Das ist, das kannst du niemandem erklären, dass jemand, der eine Versicherung verkauft, praktisch ähnlich finanziert wird wie der Arzt, der nachts um drei den Hausbesuch macht, das geht nicht.

Und das zweite Thema war das Thema Gebührenordnung: Die Gebührenordnung ist eine staatliche Gebührenordnung, die wird von Bundesministerium für Gesundheit erlassen und hat das Ziel, den Patienten vor – ich sage mal – unsachgemäßen Rechnungen zu schützen. Viele Länder beneiden uns da auch. Österreich zum Beispiel hat in der Beziehung keine Gebührenordnung, dementsprechend hoch sind die Rechnungen, wenn Sie einen Skiunfall in Tirol haben. Diese Gebührenordnung ist seit über 20 Jahren nicht reformiert.

Das heißt, sie finden dort die gesamte moderne Medizin, die gesamte moderne Augenheilkunde zum Beispiel, überhaupt nicht wieder, und der Patient kriegt dann eine Rechnung, da wird nach Analog-Ziffern abgerechnet, in denen eben drinsteht, dass praktisch eine Augenoperation hinten an der Netzhaut – das ist hochgradig diffizil – verglichen wird mit beispielsweise Kniegelenks- oder anderen Operationen. Das heißt, da haben wir wiederum ein staatliches Problem, dass der Gesetzgeber es nicht geschafft hat, diese Gebührenordnung zu modernisieren, die Ärzte wären selbstverständlich bereit, darüber zu verhandeln, um eine neue Gebührenordnung zu vereinfachen ...

Wuttke: Aber Herr Jonitz, an der Stelle muss ich Sie jetzt doch mal unterbrechen, denn wir müssen uns ja mal vor Augen halten, dass dieses System, das Sie so preisen, eben mit Blick auf die private Krankenversicherung, für den Rest der Welt nicht akzeptabel ist. Es ist so gut wie unbekannt beziehungsweise abgeschafft. Das wird doch Gründe haben?

Jonitz: Nein, das ist falsch, da muss ich Ihnen widersprechen. Sie finden selbst in den Systemen, die komplett staatlich finanziert sind – England, skandinavische Länder –, haben Sie zum Beispiel fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung, die sich komplett selbstständig privat versichern und sich auch privat versorgen lassen.

Wuttke: Die haben aber zumindest kein Zwei- beziehungsweise Dreiklassensystem.

Jonitz: Und wir haben sogar, wenn Sie wollen, auch ein Vierklassensystem, wenn Sie in den Bereich der berufsgenossenschaftlichen Unfallversicherungen drin haben. Aber dann ist die Überlegung, wenn man das Ganze – erstens, ich möchte nicht falsch verstanden werden: Die PKV, so wie sie jetzt ist, ist nicht auf Dauer lebensfähig. Das muss man auch klar sagen, sie ist im Prinzip grundsätzlich die bessere Versicherung für den Patienten und dann auch für den Arzt, das hat aber nichts damit zu tun, dass sich die PKV umstellen muss, um tatsächlich zukunftsfähig zu bleiben.

Das zweite Thema ist dann: Wie löse ich denn die Probleme? Wenn Sie jetzt zwei Versicherungen haben und die eine Versicherung ist nachgewiesenermaßen gut und hat für den Patienten, wenn er eine Leistung braucht, die wesentlich bessere Leistung als der andere, dann halte ich es für politisch fragwürdig, dass man ausgerechnet die Versicherung, die – ich sage mal – eine hohe Beliebtheit hat, weil sie für den Patienten leicht und praktisch ist, abschaffen möchte, und eine gesetzliche erhalten. Und in Holland, das ist eine klassische Fehlinformation, wurden nicht die privaten Krankenversicherungen abgeschafft, es wurden die gesetzlichen Krankenversicherungen abgeschafft.

Wuttke: Es besteht dort kein duales System, das habe ich auch gesagt.

Jonitz: Richtig, es gab eins, aber es gab da eine entsprechende eigentümliche Meldung in der Presse, es wurde eben nicht die Private abgeschafft ...

Wuttke: Nicht bei uns.

Jonitz: ... , sondern man hat praktisch den Gesetzlichen gesagt, ihr dürft Versicherungen anbieten, auch nach unterschiedlichen Kriterien. Und das halte ich für den richtigen Weg. Wir haben derzeit eine Pflichtversicherung für 90 Prozent, und zehn Prozent haben das Privileg, sich was raussuchen zu dürfen ob oder ob nicht. Das halte ich nicht für richtig.

Wir brauchen eine Versicherungspflicht, wo sich jeder Bürger und jede Bürgerin in Deutschland versichern muss, aber eine Versicherung auswählen darf, die praktisch für ihn nach Maß ist: mit Eigenbeteiligung, ohne Eigenbeteiligung, mit Homöopathie, ohne Homöopathie, und genau diese Wahlmöglichkeiten haben wir in der PKV nicht.

Wuttke: Ein starkes Plädoyer, warum es in Deutschland weiter ein zumindest Zweiklassensystem geben sollte, von Günther Jonitz, dem Präsidenten der Landesärztekammer Berlin. Ich danke Ihnen, Herr Jonitz!

Jonitz: Vielen Dank, Frau Wuttke!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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