Ach, Europa…

Von Annette Riedel, Korrespondentin in Brüssel |
Der Streit um das EU-Waffenembargo gegen Syrien hat es wieder gezeigt: Von einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitk ist Europa noch weit entfernt, meint Brüssel-Korrespondentin Annette Riedel und seufzt über fehlende Gemeinsamkeit.
"Ach Europa", war man in dieser Woche häufiger geneigt zu seufzen, in Anlehnung an den entsprechenden Titel eine Buches von Hans Magnus Enzensberger.

Beispielsweise beim Abschied der EU-Länder von einer gemeinsamen EU-Syrien-Politik. Um zu retten, was zu retten war, haben die EU-Außenminister nach zähem Ringen wenigstens einen Weg gefunden, die Wirtschaftssanktionen aufrechtzuerhalten, wenn das gemeinsame EU-Waffenembargo in Kürze ausläuft. Der GAU für die EU-Außenpolitik ist damit zwar abgewendet worden. Aber selbst wenn der größte anzunehmende Unfall vermieden wurde – ein ausgesprochen großer ist es gleichwohl.

Gemeinsamkeit ist nicht immer allen gleichviel wert
Die GASP bleibt an vielen Stellen eine NASP: die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik eine im Kern nationale Außen- und Sicherheitspolitik. Beispiele neben Syrien: Mali und vor allem Libyen. Das Prinzip der Einstimmigkeit in der Außenpolitik zwingt 27 Staaten unter einen Hut: 27 nationale Selbstverständnisse, 27 unterschiedliche Historien, 27 Regierungen mit teilweise konträren politischen Philosophien, kleine Länder, große Länder, militärisch starke und militärisch unbedeutende.

Im Idealfall gelingt ein Konsens, der alle mitnimmt. Im Regelfall gibt es einen mehr oder weniger gelungenen Kompromiss. Im schlimmsten Fall kann schon ein einziges Mitgliedsland die anderen 26 in politische Geiselhaft nehmen. Oder eben sich aus der Gemeinsamkeit verabschieden. Einer Gemeinsamkeit, die nicht allen Ländern, bei jedem Thema gleich viel wert ist. Auch Deutschland nicht immer.

Gemeinsamkeit als Wert an sich darf man getrost in Frage stellen. Aber dass Europa global neben China und den USA nur gemeinsam Gewicht haben kann – wirtschaftlich, sicherheitspolitisch, umweltpolitisch – das dürfte dem Letzten klar sein. Oder müsste es zumindest. Es ist aber immer wieder viel leichter gesagt als dementsprechend getan.

Oettinger und die Sanierungsfalle
Ein weiterer Grund zum Stoßseufzen: die Äußerungen von EU-Kommissar Günther Oettinger vom "Sanierungsfall Europa" und seine harsche, nahezu vernichtende Kritik an einzelnen Mitgliedsländern. Manch einer wird ihm applaudieren – zumindest hinter vorgehaltener Hand. Unter dem Motto: Man wird doch wohl nach sagen dürfen…Man darf, man muss aber nicht. Jedenfalls nicht so.

Der EU-Kommissar, mag sogar im Kern beim einen oder anderen Punkt recht haben. Nur weil Worte undiplomatisch sind, qualifiziert es sie noch nicht per se als "erfrischend offen". Manche schroff formulierte Halb-Wahrheit, unklug dem Licht der Öffentlichkeit ausgesetzt, mutiert zur sinnlosen, kontraproduktiven Provokation, die nur zu entsprechendem Abwehrverhalten der dergestalt verbal Angerempelten führt. Oder solche Polemik löst im Gegenzug vergleichbare am Absender aus, an der EU-Kommission selbst.

Die kam diese Woche prompt vom französischen Präsidenten Hollande. Er kritisierte die Kommission dafür, dass diese eigentlich nichts anderes getan hat, als ihren vertragsgemäßen Aufgaben nachzukommen: Sie hat den Mitgliedsländern, auch Frankreich, Empfehlungen gegeben, wie sie ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern können. Dagegen verwahrte sich Hollande heftig – auch das ein Grund zum Seufzen. Denn es kann nicht oft genug gesagt werden: Es gibt kein europäisches Gesetz, keine Verordnung, keine Richtlinie, die allein von "Brüssel" gemacht wird. "Brüssel" schlägt vor.

Politiken bleiben allzu oft national
Aber beschlossen wird von den Mitgliedsländern und dem EU-Parlament. Fast paradox, dass derselbe Hollande, kaum dass seine rüde Brüssel-Kritik verklungen ist, im Duett mit Bundeskanzlerin Merkel in einem gemeinsamen Papier über die Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion mehr Koordinierung der europäischen Wirtschafts-, Arbeitsmarkt und Sozialpolitik anregt. Einmal umgesetzt, würden alle Euro-Länder, auch Paris, genau das bekommen, was Hollande gerade vorher so vehement zurückgewiesen hat, und zwar ein gerüttelt Maß mehr davon: Empfehlungen für ihre nationale Regierungspolitik.

Die Europäische Union kann nur so erfolgreich, so schlagkräftig sein, wie ihre Mitgliedsstaaten es wollen. Wenn die Politiken allzu oft national bleiben, wenn sich Kommission und Mitgliedsländer gegenseitig bezichtigen, unfähig und ein Sanierungsfall zu sein, dann wird man aus dem Seufzen à la Enzensberger gar nicht mehr herauskommen: Ach, Europa!
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