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"Das ist alles voller Zuversicht"

Der Schriftsteller Rafael Seligmann hat die Weihe der neuen Synagoge in München als Zeichen der Zuversicht gewertet. "Das Judentum wird sich gesellschaftlich integrieren", sagte er. Trotz der steigenden Zahl rechtsextremistischer Gewalttaten, der Antisemitismus in Deutschland nehme ab.

Moderation: Karin Fischer | 09.11.2006
    Karin Fischer: Herr Seligmann, wofür steht dieser Bau in Ihren Augen?

    Rafael Seligmann: Für einen Neuanfang, für einen offenen Beginn, für einen Versuch, und - das hat auch Israel Singer, einer der Ehrengäste gesagt - für einen Test. Das Judentum öffnet sich wieder. Und Charlotte Knoblauch hat richtig gesagt, wir haben etwas gebaut, wir haben unser Zentrum ins Herz der Stadt gebaut, und jetzt sind wir bereit, hier zu bleiben. Es hat lange gedauert, bis man die Angst überwunden hat. Jetzt öffnet man sich der deutschen Gesellschaft, und jetzt sehen wir, wenn wir die Hand reichen, ob diese Hand ergriffen wird.

    Fischer: Das war ja lange nicht selbstverständlich in Deutschland. Dieser Satz, den Sie gerade zitiert haben, hieß ursprünglich: "Wer baut, will bleiben." Charlotte Knoblauch hat ihn jetzt uminterpretiert und sagt, wir haben gebaut, wir bleiben. Ich will gar nicht von Normalität sprechen, aber gibt es so etwas wie ein Gefühl, dass in der jüngeren jüdischen Generation, dass Deutschland doch vielleicht auch Heimat sein könnte?

    Seligmann: Ja, selbstverständlich. Sonst baut man kein solches Zentrum, sonst baut man keine Synagoge. Man darf mit der Zukunft nicht spielen. Das Zutrauen ist da. Ich war soeben in Israel. Da gibt es viele Israelis auch, deren Eltern aus Deutschland kamen, die sagen, wieso sollen wir nicht auch mal nach Deutschland gehen und sehen, wie jüdisches, wie demokratisches, wie freiheitliches Leben in Deutschland ist. Das ist alles voller Zuversicht, und ich hoffe, dass wir alle zusammen, das können nicht nur Juden, das können nicht nur Nicht-Juden, das müssen wir alle zusammen versuchen und gelingen lassen.

    Fischer: Sie haben am Festakt teilgenommen, Herr Seligmann, der ja auch die jüdische Tradition, wie sie in Deutschland gepflegt wird, einem ganz großen Publikum via Fernsehübertragung vermittelt hat. Die Schofar, das Widderhorn, wurde geblasen, die Menora gezeigt, eine Mesusa angebracht. Wie wichtig ist es, dass dieses neue Gemeindezentrum auch ein offenes Haus für Gäste nichtjüdischen Glaubens ist?

    Seligmann: Das ist ganz entscheidend, weil Synagoge heißt ja nicht Gotteshaus, das heißt Versammlungshaus, Beth ha-knesset, ein Gemeindehaus. Man kann nicht und soll nicht und will nicht ein modernes Getto errichten, sondern ein Teil dieser möglichst humanen deutschen Gesellschaft sein. Die zehn Gebote, auf die unsere Verfassung auch im Grunde, auf die die Aufklärung, auf die die Humanität zurückgehen, predigt ja Nächstenliebe. Und die soll gelebt werden, und Nächstenliebe kennt keine Beschränkung auf Judentum oder auf Christentum, die ist allgemein. Die gilt für alle Menschen.

    Fischer: Judentum in Deutschland soll sich nicht im Getto abspielen, sagen Sie. Es war heute verschiedentlich zu hören, dass das Judentum mit diesem neuen Bauwerk aus den Hinterhöfen in die Mitte der Stadt zurückkommt. Und dennoch, in vielen Städten in Deutschland ist ja die Synagoge dennoch bis heute eine gut bewachte Festung. Der latente Antisemitismus scheint auch nicht im Abnehmen begriffen, und rechtsextreme Gewalttaten nehmen eher zu. Gibt es politische Defizite Ihrer Meinung nach im Umgang mit der jüdischen Minderheit in Deutschland?

    Seligmann: Sicher gibt es die, aber wir wollen jetzt nicht mit Gewalt die hoch reden. Der Antisemitismus nimmt eindeutig ab. Es gibt vermehrte rechtsradikale Gewalttaten. Aber das ist ein winziger Sektor der Gesellschaft. Und selbst, wenn es in einzelnen Bundesländern Erfolge der NPD gibt, die überwiegende Mehrheit der deutschen Gesellschaft will von diesen politischen und menschlichen Gangstern nichts wissen. Und wir sollten, finde ich, auch mal das Positive herausstreichen, dass eben dieser Versuch gemacht wird, ins Herz der Gesellschaft zurückzukehren und das gemeinsam zu leben.

    Fischer: Was ist dafür kulturell noch notwendig, Herr Seligmann, dass die Juden in Deutschland in Herz der Gesellschaft kommen?

    Seligmann: Es ist gar nicht so viel notwendig. Ein Wort: Offenheit. Man kann nicht nur sagen, Einstein war ein großer Deutscher oder von mir aus Jude, oder Lion Feuchtwanger, sondern wissen, dass die ein Teil der deutschen Gesellschaft sind. Dass das deutsche Judentum eine Tradition von 1600 Jahren hat, das wissen die wenigsten. Also wir haben eine deutsch-jüdische, eine gemeinsame Geschichte, eine gemeinsame Kultur. Dessen muss man sich bewusst werden. Dann werden sich die meisten Probleme von selbst lösen.

    Fischer: Diese jüdische Tradition, Herr Seligmann, ist ja aber nicht ganz ungefährdet durch den Zwang der Integration vieler jüdischer Mitbürger aus der ehemaligen Sowjetunion. Glauben Sie, dass das die große Herausforderung der nächsten Jahre und Jahrzehnte sein kann?

    Seligmann: Der nächsten Jahre. Also wenn ich mir die Schüler ansehe, wir haben in der zweiten Generation von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion bereits mehr Abiturienten als im Schnitt der Bevölkerung. Im Judentum gibt es eine sehr starke Tradition des Lernens, die Tugend des Fleißes. Da habe ich wenig Sorgen. Das Judentum wird sich gesellschaftlich integrieren. Und heute ist für mich ein Tag der Zuversicht und nicht des Bedenkens. Das ist ja ein Zug in unserem Land, dass wir große Bedenkenträger sind, aber was Neues errichtet man eher mit Zuversicht.

    Fischer: Dann danke ich Ihnen, Herr Seligmann, für dieses Gespräch direkt im Anschluss an die Eröffnung der jüdischen Synagoge und des Zentrums Jakobsplatz in München. Herzlichen Dank.

    Seligmann: Danke auch, auf Wiederhören.