Dienstag, 19. März 2024

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Mögliche Reparationen an Griechenland
Historiker hält Forderungen für kontraproduktiv

Dass die griechische Regierung die Frage von Reparationen für deutsche Verbrechen im Zweiten Weltkrieg im Schuldenstreit auf die Tagesordnung gesetzt hat, hält Ulf Brunnbauer für wenig klug. Der Direktor des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung an der Universität Regensburg sagte im Deutschlandfunk, das werde nicht dazu führen, dass Deutschland die griechischen Opfer anerkenne.

Ulf Brunnbauer im Gespräch mit Friedbert Meurer | 12.03.2015
    Luftaufnahme von mehreren Kampfflugzeugen über der Akropolis in Athen. Schwarzweiß-Aufnahme.
    Deutsche Kampfflugzeuge vom Typ DO 17 überfliegen 1941 die Akropolis in Athen. (dpa)
    Brunnbauer nannte die griechische Argumentation im Deutschlandfunk "durchaus nachvollziehbar". Es gebe ein moralisches Argument zugunsten der Griechen, die durch die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg sehr gelitten hätten. Unter Bezug auf die griechische Regierung sagte Brunnbauer: "Man sollte mal verstehen, warum sie glaubt, diese Forderungen vorbringen zu können." Er glaube aber nicht, dass sie diese im Schuldenstreit durchgesetzt bekomme, deswegen seien sie kontraproduktiv.
    Von der Bundesregierung wünschte er sich eine stärkere Anerkennung der Beschäftigung mit den deutschen Verbrechen in Griechenland. Er sieht in der historischen Aufarbeitung eine Leerstelle und wünscht sich einen Dialog mit griechischen Historikern. "Das fände ich sehr sehr förderlich", sagte Brunnbauer im DLF.
    Historiker verweist auf äußerst grausamen Partisanenkrieg in Griechenland
    Der Geschäftsführende Direktor des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung an der Universität Regensburg erläuterte, dass der deutsche Überfall auf Griechenland 1941 kein Ergebnis einer besonderen Strategie gewesen sei, sondern eine Reaktion auf das Scheitern Italiens, Griechenland zu erobern. Daraufhin sei der Handel weitgehend zum Erliegen gekommen. Griechenland habe damals stark von der Landwirtschaft gelebt und vor allem Rosinen und Tabak exportiert.
    Dass die deutschen Verbrechen heute noch so stark im Gedächtnis seien, begründete Brunnbauer mit dem Partisanenkrieg, der "äußerst grausam" gewesen sei, vergleichbar mit der Art und Weise, wie Hitlerdeutschland Partisanen in Jugoslawien und der Sowjetunion behandelt habe. Dabei wurden in Vergeltungsaktionen für wenige getötete deutsche Soldaten hunderte bis tausende Zivilisten wahllos erschossen und ganze Dörfer ausgerottet. Diese Dörfer spielen Brunnbauer zufolge heute für die kollektive Erinnerung eine wichtige Rolle. Vor allem dort werde beklagt, dass diese Erinnerung von deutscher Seite so wenig unterstützt werde.

    Das Interview in voller Länge:
    Friedbert Meurer: Griechenland droht, deutsche Besitztümer zu pfänden als Entschädigung für Kriegsverbrechen, die Deutschland zwischen 1941 und 45 in Griechenland auf dem Festland und auf den Inseln begangen hat. Mit dieser Drohung hat jetzt der Justizminister Griechenlands, Nikos Paraskevopoulos, den Streit zwischen Athen und Berlin noch einmal verschärft. Ist das ein Bluff, nur eine verbale Attacke, um die Anhänger von Syriza zu bedienen? Vielleicht ist es das auch. Aber Griechenland fordert ja schon seit Jahren eine Entschädigung und Reparationen von Deutschland. Die Haltung der Bundesregierung lautet demgegenüber weiterhin: Die Reparationsfrage ist für uns abgeschlossen.
    Ulf Brunnbauer ist geschäftsführender Direktor des Instituts für Ost- und Südosteuropa-Forschung an der Universität Regensburg. Wir erreichen ihn jetzt in Athen, weil dort seine Studierenden tagen und das deutsch-griechische Verhältnis passenderweise diskutieren. Guten Tag, Herr Brunnbauer, nach Athen!
    Ulf Brunnbauer: Guten Tag!
    Meurer: Fangen wir mal mit der Vergangenheit an? Wie grausam und rücksichtslos war denn die Besatzung der Deutschen im Zweiten Weltkrieg in Griechenland?
    "Äußerst traumatische Besatzungserfahrung"
    Brunnbauer: Sie war äußerst grausam. Von allen Besatzungsgebieten war Griechenland jenes, das neben den slawischen Ländern am brutalsten besetzt wurde mit zahlreichen Massenerschießungen, einer großen Hungersnot, die über 100.000 Tote forderte, der Vernichtung fast der gesamten jüdischen Bevölkerung. Die Besatzungserfahrung war für Griechenland eine äußerst traumatische.
    Meurer: Warum waren wir Deutschen gerade gegenüber Griechenland so brutal?
    Brunnbauer: Nun, das ist tatsächlich eine sehr gute Frage, die auch noch nicht hinlänglich untersucht wurde, weil ja die Griechen auf der Rassenhierarchie der Nationalsozialisten sicherlich über den Slawen angesiedelt waren. Ein wichtiger Faktor war, dass in Griechenland sich relativ rasch nach der deutschen Besetzung ein doch massiver Widerstand gebildet hat, den die Deutschen äußerst brutal mit Versühnungs- und Vergeltungsmaßnahmen zu bekämpfen versuchten.
    Meurer: Bevor wir über den Partisanenkrieg reden, Herr Brunnbauer, war Griechenland 1941 - der Überfall geschah ja im April 1941, also zwei Monate vor dem Überfall auf die Sowjetunion -, war Griechenland damals eigentlich ein wohlhabendes Land, das sozusagen wirtschaftlich ausgepresst werden konnte?
    Brunnbauer: Griechenland war kein besonders wohlhabendes Land. Die griechische Ökonomie basierte ja vor allem auf Landwirtschaft in dieser Zeit, und ich denke, die wichtigsten Exportprodukte waren Rosinen und Tabak. Der deutsche Überfall erfolgte ja auch nicht als Ergebnis einer besonderen Strategie, sondern als Antwort auf das Scheitern Italiens, Griechenland zu erobern.
    Meurer: Welche Rolle spielte Italien in diesem Zusammenhang?
    Brunnbauer: Italien hatte ja im Oktober 1940 versucht, Griechenland zu besetzen, und ist dabei militärisch gescheitert.
    "Über 100.000 Menschen fielen dem Hunger zum Opfer"
    Meurer: Deutschland und Italien haben dann beide Griechenland besetzt. Diese Hungersnot, von der Sie vorhin gesprochen haben, war das eine Folge davon, dass die Deutschen Lebensmittel exportiert und nach Deutschland geholt haben?
    Brunnbauer: Unter anderem. Es wurden Lebensmittel und auch andere Produkte aus Griechenland abgezogen. Der Handel kam auch weitgehend zum Erliegen und die Besatzungsmacht ist ihren Verpflichtungen auch gegenüber der Zivilbevölkerung nicht nachgekommen. Vor allem im Winter 1941/42 herrschte eine fürchterliche Hungersnot, insbesondere in den großen Städten, hier wiederum insbesondere in Athen, der als direkte Folge des Hungers über 100.000 Menschen zum Opfer fielen, und die langfristigen auch gesundheitlichen Probleme, die lassen sich ohnehin nur sehr schwer beziffern, waren aber enorm.
    Meurer: In der zweiten Hälfte kam es dann in der Besatzungszeit zum Partisanenkrieg. Wie grausam ist dieser Partisanenkrieg geführt worden?
    Brunnbauer: Nun, äußerst grausam, vergleichbar mit der Art und Weise, wie Hitler-Deutschland Partisanen im besetzten Jugoslawien oder auch in der besetzten Sowjetunion bekämpft hat. Insbesondere hervorzuheben sind die Vergeltungsaktionen, dass für wenige getötete deutsche Soldaten Hunderte oder teilweise auch Tausende Zivilisten wahllos erschossen wurden. Ganze Ortschaften wurden ausgerottet, männliche, weibliche Bevölkerung, Kinder, Alte, also die gesamte Bevölkerung, und diese Orte gelten heute im griechischen kollektiven Gedächtnis natürlich als jene Orte, wo die Besatzungsherrschaft besonders nicht nur brutal ausgeübt wurde, sondern die auch für die griechische kollektive Erinnerung eine wichtige Rolle spielen.
    Meurer: Wie präsent, Herr Brunnbauer, ist diese kollektive Erinnerung in Griechenland noch an die Taten der deutschen Besatzungszeit?
    Brunnbauer: Das ist jetzt natürlich in der aktuellen Situation wieder sehr, sehr präsent geworden. Die kollektive Erinnerung erfährt auch immer bestimmte Konjunkturen und ist kein stabiles Ding, das einmal geformt wird und dann so bleibt, sondern unterliegt natürlich auch politischen Einflüssen beziehungsweise es werden bestimmte Erinnerungsmomente dann auch wieder stärker in den Vordergrund gerückt, wenn entsprechende mediale Aufmerksamkeit dafür herrscht. Aber generell und vor allem natürlich in den betroffenen Orten gibt es bis heute eine sehr starke Erinnerung, die auch verbunden ist mit dem Gefühl, dass diese Verbrechen eigentlich von deutscher Seite nie wirklich nicht im Sinne von geleugnet, aber auch nicht wirklich sehr aktiv erinnert werden.
    "Die griechische Argumentation ist durchaus nachvollziehbar"
    Meurer: Diese Erinnerung, die mal stärker und schwächer wird, viele, glaube ich, in Deutschland denken im Moment ja, das ist jetzt alles eine Forderung, um Deutschland unter Druck zu setzen im Eurostreit. Was meinen Sie, Sie persönlich?
    Brunnbauer: Na ja. Grundsätzlich muss man sagen, dass diese auch rechtlichen Forderungen in Bezug auf Reparationsleistungen und auch Entschädigungsleistungen seitens Griechenlands seit vielen, vielen Jahren artikuliert werden. Das ist tatsächlich nicht neu und hat jetzt auch nicht unmittelbar mit der aktuellen Situation zu tun. Dass jetzt die aktuelle griechische Regierung diese Forderungen wirklich sehr stark politisch artikuliert, das hat tatsächlich mit Tagespolitik zu tun und ist vermutlich auch nicht sehr klug. Es ist politisch nicht sehr klug und, glaube ich, auch für die Anerkennung der Opfer von deutscher Seite auch eher kontraproduktiv. Aber generell, denke ich, gibt es da zumindest ein durchaus legitimes moralisches Argument. Wie das völkerrechtlich zu beurteilen ist, das müssen Juristen entscheiden, aber die griechische Argumentation ist da durchaus nachvollziehbar.
    Meurer: Ist das eigentlich ein Thema, diese Reparationsfrage, Entschädigungsfrage, die Ihre Studentinnen und Studenten jetzt mit griechischen Studierenden in Athen bereden und diskutieren?
    Brunnbauer: Auch, weil diese Fragen begegnen einem, wenn man sich mit der deutsch-griechischen Beziehungsgeschichte und insbesondere der deutschen Besatzungszeit während des zweiten Weltkriegs beschäftigt, auch ständig. Das ist eine Frage, der man sich weder von deutscher, noch von griechischer Seite nicht stellen kann.
    Meurer: Was hören Sie da in der Diskussion?
    Brunnbauer: Von Seiten der Studierenden würde ich sagen, von Seiten der griechischen Studierenden eigentlich ein sehr differenziertes Bild und von Seiten der deutschen Studierenden habe ich schon auch den Eindruck, dass sie die moralische Legitimität dieser Forderung schon auch anerkennen oder zumindest auch verstehen, warum die griechische Seite so denkt. Darum geht es in unserem Projekt und darum sollte es ja auch generell gehen, in dieser Situation einmal etwas Empathie für vor allem jetzt die griechische Seite auch aufzubringen. Man muss ja nicht deren Meinung teilen, aber man sollte verstehen, warum sie glaubt, diese Forderungen dann vorbringen zu können.
    Meurer: Gäbe es jenseits der materiellen Forderungen, weil Sie sagen, Empathie zeigen, eine Idee, die Sie oder die Studenten hätten, wie Deutschland diese Empathie gegenüber Griechenland zeigen könnte?
    Brunnbauer: Nun, einerseits durch eine stärkere Anerkennung und auch eine stärkere Beschäftigung mit den deutschen Verbrechen in Griechenland während des Zweiten Weltkriegs. Auch wenn man deutsche Schulbücher ansieht und die Art und Weise, wie in Deutschland an den Zweiten Weltkrieg erinnert wird, dann stellt Griechenland und eigentlich generell Südosteuropa fast eine Leerstelle dar, obwohl die Wehrmacht massive Verbrechen und die SS massive Verbrechen verübten und diese Verbrechen auch noch heute sehr präsent sind in den kollektiven Erinnerungen dieser Länder. Hier eine intensivere Beschäftigung, idealerweise im Dialog mit griechischen Historikern und Historikerinnen zu beginnen, das fände ich wirklich sehr, sehr förderlich.
    Meurer: Der Historiker Ulf Brunnbauer, zurzeit in Athen, Direktor des Instituts für Süd- und Südosteuropa-Forschung an der Uni Regensburg, hält die Reparationsforderung Athens für kontraproduktiv, aber empfiehlt doch etwas mehr Empathie auf deutscher Seite, wenn ich das richtig verstanden habe. Herr Brunnbauer, danke schön nach Athen, gute Tage noch mit Ihren Studenten. Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.