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"A Perfect Day"
Horror, Sarkasmus, Humor

Benicio del Toro hat einen Lauf, der es in sich hat - und das seit Jahren. Seine Aura von Bedrohlichkeit, Kälte oder dunklem Charisma wird in Fernando León de Aranoas Film "A Perfect Day" allerdings um eine Seite erweitert: Hier zeigt er ein eindrucksvolles Talent für das Komödienfach.

Von Hartwig Tegeler | 21.10.2015
    Der puerto-ricanische Schauspieler.Benicio del Toro als Mambrú in einer Szene des Kinofilms "A Perfect Day" von Fernando León de Aranoa
    Benicio del Toro als Mambrú in einer Szene des Kinofilms "A Perfect Day" von Fernando León de Aranoa (picture alliance / dpa / X-Verleih)
    "Seil reißt ab!"
    Fast war die Leiche des fetten Mannes schon oben. Und dann krieg mal ein neues Seil in diesem Land, irgendwo in diesem undurchdringlichen Berglabyrinth, Bosnien, vielleicht ein anderes Land, vielleicht ist noch Krieg, vielleicht nicht mehr. Aber die Gewalt und die Leichen und das Chaos und die Absurdität, das alles verbindet sich in Fernando León de Aranoas Film "A Perfect Day" mit einer verstörenden Intensität.
    Also, was haben wir? Seil gerissen. Mambrú - wunderbar verknittert, unausgeschlafen, weise und verpeilt: Benicio del Toro - , Mambrú ruft Kollege B - einfach nur "B" genannt - über Funk. Tim Robbins als durchgeknallter Hilforganisations-Veteran, Schrägstrich, Ex-Hippie. Mambrú: Wir brauchen ein Seil. Mambrú in seinem SUV, zusammen mit Damir, dem Dolmetscher; B im anderen zusammen mit Sophie - gespielt von Mélanie Thierry.
    Was folgt ist eine Odyssee durch das Chaos. Wo könnte ein Seil sein? Die Zeit läuft, bald ist das Wasser im Brunnen nicht mehr zu trinken. Wo ist das Problem, fragt B seinen Dolmetscher Damir, während er in einem Laden in der Einöde vor all den dicken Seilen steht:
    "Es gibt kein Seil."
    "Was heißt, es gibt kein Seil, hier ist jede Menge, ich ..."
    "Bitte die Ware nicht anfassen, sagt er."
    Ob die, die kein Seil verkaufen wollen, die waren, die die Leiche in den Brunnen warfen, das wird sich in "A Perfect Day" nicht aufklären. Muss es auch nicht, weil die Atmosphäre von Bedrohung und Gewalt, die uns in dieser Szene anspringt, alles sagt:
    "Sagt, sie brauchen Seil zum Leute Aufhängen."
    "Das ist ein Scherz? Oder?"
    "Tja, ich weiß nicht."
    Und weiter geht es auf den engen Straßen durchs Absurdistan zum nächsten Ort, wo ein Seil sein könnte. Inzwischen ist das Quartett in ihren SUVs erweitert um Katya - Olga Kurylenko -, die für die NGO überprüfen soll, ob der Einsatz der NGO finanziell noch tragbar ist.
    "Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, sahst du anders aus."
    "Klar, ich bin angezogen."
    Katya, die mal was mit Mambrú hatte:
    "Stimmt ja, du bist angezogen. Aber dein Haar war anders. - Mein Kopf war anders."
    Vielleicht sind Screwball-Einlagen, die Ferndando León de Aranona zwischen Mambrú und Katya inszeniert, notwendig, weil Komik und Tragik sich in großen Filmen die Hand reichen müssen. Als tiefe Einsicht über das Leben. Horror, Sarkasmus, Humor, abgrundtief schwarz, ein Lachen angesichts der Hölle und ein Gefühl für die Absurdität der Welt sind in diesem wunderbaren Film "A Perfect Day" so perfekt ausbalanciert. Irgendwann ist da dann da auf diesem verlassenen Hof ein Seil. Perfekt, meint B. Mambrú hat verständliche Einwände.
    "Perfekt wäre es, wenn kein Hund dran wäre."
    "Du hier bist zu helfen. Ja? Jetzt du helfen."
    Meint Nikola, das Kriegskind, das irgendwann auch mitfährt auf der Suche nach dem Seil.
    Zur eindrucksvollen Montage dieses Horror-Irrgartens, in dem all die Teilnehmer eines Krieges präsent sind - Soldaten, Zivilisten, Blauhelme, Journalisten, NGO -, kommt der Soundtrack des Films: The Velvet Underground, The Ramones, Marilyn Manson, und Marlene Dietrich singt irgendwann diesen Klassiker eines Antikriegsliedes.
    "Where Have All The Flowers Gone"
    Am Ende fahren die Helfer-Profis weiter zum nächsten Brunnen oder zum nächsten Dorf in diesem Krieg, Nichtkrieg oder Nachkrieg. Das Leben geht weiter. Aber für diese scheinbare Plattitüde hat Regisseur Fernando León de Aranoa ein grandios intensives, existentialistisches Bild gefunden mit diesem toten Mann, der nicht aus dem Brunnen rauszukriegen ist und an die Geschichte von Sisyphos erinnert, dem der Stein immer wieder den Berg runterrollte.