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"Jesus von Texas" am Metropol Theater München

Der Tatort: Eine riesige Leinwand, auf der die wüste Weite von Texas gemalt ist, legt sich im Halbrund um die kleine Bühne des Münchner Metropol-Theaters. Davor häuft sich der total verdreckte Wohlstandsschrott: vom ausgemusterten Kühlschrank bis zum abgewrackten Chevrolet, aus dem schon das Gras wächst, Plastik- und Papiermüll. Wie hingegossen in diese amerikanische Road-Movie-Landschaft liegen verstreut einige Leichen. 16 Tote. Kein Drama. Sondern ein Medienspektakel.

Von Rosemarie Bölts | 14.01.2006
    Vernon God Little heißt der arme Kerl in dem Buch von DBC Pierre, dem sie nun mindestens Beihilfe zu diesem Massaker anhängen wollen, obwohl er doch zur Tatzeit weitab im Gebüsch seine Notdurft verrichtete. Die – das sind Mama und ihre Diätsüchtigen Freundinnen, Nachbarn, Polizisten, Psychiater und Pfarrer und – dank der sensationslüsternen Medien – bald das ganze Land. Sie alle, konsumgeil, durch Fernseh-Dauerberieselung verdorben, wollen nicht die Wahrheit wissen, sondern Unterhaltung um jeden Preis, und wenn dabei ein unschuldiger 15-Jähriger wie Vernon draufgeht.

    Die Klischees in dieser grimmigen Satire mit der Totalen in die Seelendürre der Barbecue- Saucen-Gesellschaft greift Regisseur Konstantin Moreth betont beiläufig auf. Statt auf drastische Sprachwut und Klamauk setzt er auf den Rhythmus des alltäglichen Horrors in Trivialmustern.

    Das erste Verhör als B-Movie-Persiflage, Mamas Freundinnen als Homeshopping-Palaver, die Gerichtsverhandlung nach der Dramaturgie des Wer-wird-der-Superstar? – das alles ist zu komisch, wenn einem das Lachen nicht im Halse stecken bliebe.

    Betont beiläufig spielen auch die Schauspieler die wattrige Oberflächlichkeit der medial inszenierten Beziehungsmuster, die als Reality-TV demaskiert werden:

    Wenn ein Schauspieler in bis zu sechs Rollen schlüpfen muss, hat das nicht nur mit der chronischen Finanznot des kleinen Metropol-Theaters zu tun, sondern macht die Stereotypen deutlich und zeigt hervorragende Schauspielkunst. Man kann dieser kraftvollen Inszenierung mit ihrer Adaption an legendäre Kinofilm-Einstellungen und harschen Gesellschaftskritik kaum entkommen.

    Tatsächlich fehlt jegliche Distanz zwischen Zuschauerraum und Bühne. Sinnbildlich sitzt man hier wie bei ARD und ZDF "in der ersten Reihe" und damit mitten drin in der Chose.

    Absolut Hit-verdächtig und, wenn die Abstimmung mit den Eintrittskarten ausschlaggebend ist, ganz vorn in den Charts.