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Ausländische Wissenschaftler in Deutschland
Keine Begegnung auf Augenhöhe?

"Wissen auf der Flucht" war der Titel einer Konferenz, zu der der Historikerverband gemeinsam mit der Max-Weber-Stiftung und dem Deutschen Historischen Institut Washington nach Berlin eingeladen hatte. Wie wurden aus Nazideutschland emigrierte Wissenschaftler im Ausland aufgenommen? Und wie ist der Umgang mit Wissenschaftlern heute, die vor Verfolgung aus ihrem Heimatland fliehen?

Von Claudia van Laak | 18.12.2015
    Philipp Schwartz war ein Pathologe jüdischen Glaubens. 1933 floh er vor den Nazis nach Zürich, gründete dort die "Notgemeinschaft Deutscher Wissenschaftler im Ausland". Philipp Schwartz ist der Namensgeber eines neuen Förderprogramms für heute verfolgte Wissenschaftler. Die Alexander-von-Humboldt-Stiftung gibt zunächst 20 Forscherinnen und Forschern die Möglichkeit, ihre Arbeit an deutschen Universitäten weiterzuführen. Bewerben können sich Hochschulen und Forschungsinstitute, die diese Wissenschaftler bei sich aufnehmen wollen. Damit sei gesichert, dass diese Forscher auch in Deutschland gebraucht würden, sagt Ulrike Albrecht von der Humboldt-Stiftung.
    "Dass der Aspekt des Nutzens ein sehr wichtiger ist. Weil wir davon wegkommen müssen von der - ich überspitze jetzt mal - mitleidigen sympathisierenden Art und Weise mit Wissenschaftlern, die in Gefährdung sind, umzugehen."
    Ein Austausch auf Augenhöhe soll es werden, ohne die prekären Umstände der verfolgten Wissenschaftler zu vergessen.
    "In dem wir nicht sagen, der Syrer hat die gleiche Publikationsliste wie der Amerikaner. Wir sagen aber damit nicht, dass es "second best" ist. Wir werfen nicht unsere Kriterien über Bord. Die gefährdeten Wissenschaftler müssen die Möglichkeit bekommen, das Beste zu zeigen."
    Es führt zu einer Identitätskrise
    Wenn europäische Universitäten Wissenschaftlern aus dem Nahen Osten Schutz gewährten, sei dies mitnichten eine Begegnung auf Augenhöhe, widerspricht Mohammad Mojahedi. Der iranischstämmige Politikwissenschaftler lehrt momentan an der Freien Universität Berlin und kennt die Vorurteile auch unter Akademikern.
    "Wir erkennen Dich als Akademiker nicht an, bevor Du nicht unsere Sprache sprichst. Vielleicht nicht Deutsch, aber Englisch. Du musst Dich auf die Denkweise einlassen, die hier gepflegt wird und nicht die, die an Deiner Heimatuniversität üblich war. Das führt zu einer Identitätskrise."
    Carola Dietze teilt diese Kritik. Die Historikerin hat über Geisteswissenschaftler geforscht, die zur Nazi-Zeit ins Ausland, vornehmlich in die USA emigrieren mussten. Das Wissenschaftssystem in den USA sei flexibler und weniger starr als das deutsche und deshalb besser geeignet, geflüchtete Forscher aufzunehmen. Außerdem sei die wissenschaftliche Gemeinschaft in Deutschland weniger international als behauptet.
    "So funktioniert Wissenschaft. Dass bestimmte Fragen nur als wichtig anerkannt werden, dass nur bestimmt Bezugspersonen als wichtig anerkannt werden. Und wenn man mit anderen Fragen in diesen Diskurs hinein will, wenn man sich auf andere Literatur, auf andere Denker bezieht, dass das sehr wenig gesehen wird, dass das auch sehr wertvoll sein kann und sehr sehr produktiv."
    Doch keine Willkommenskultur?
    Der Politikwissenschaftler Mohammad Mojahedi spitzt seine Kritik zu. Von der in Deutschland behaupteten Willkommenskultur hält er wenig, spricht sogar von einem Desaster für Forscher aus dem Nahen Osten, die nach Europa emigriert sind.
    "Als Erstes und Wichtigstes sollen sie sich selber verleugnen. Sie sollen das zerstören, was sie sich aufgebaut haben. Sie sollen vergessen, was sie über ihr Fachgebiet wissen. Weil es zu einer merkwürdig fremden Welt gehört. Es gehört eben zum Nahen Osten."
    Die gastgebenden Universitäten und Forschungsinstitute sollten ihre Wissenschaftskultur nicht den emigrierten Forschern aufzwingen. Besser sei es, Plattformen bereitzustellen, auf denen sich die Geflüchteten untereinander austauschen könnten - um ihre eigene Kultur nicht verleugnen zu müssen.