Dienstag, 19. März 2024

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Urteil zum Kopftuchverbot
"Wir werden jetzt Konsequenzen ziehen"

Die SPD-Bildungsexpertin im NRW-Landtag, Renate Hendricks, hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Kopftuchverbot begrüßt. Die Entscheidung der Karlsruher Richter mache deutlich, dass sich die Gesellschaft verändere und die vier Millionen Muslime zu Deutschland gehörten, sagte sie im Deutschlandfunk.

13.03.2015
    Hendricks erklärte nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe, dass es jetzt Rechtssicherheit gebe. Die SPD habe bereits vor einem pauschalen Kopftuchverbot gewarnt, als dies 2006 von der schwarz-gelben Landesregierung eingeführt worden war, sagte Hendricks im Deutschlandfunk. "Wir werden jetzt die Konsequenzen ziehen." Vor einer Gesetzesänderung habe man das Urteil aus Karlsruhe abwarten wollen.
    Sie sei der Meinung, dass das Tragen eines Kopftuchs an Schulen ermöglicht werden müsse. Allerdings werde es auf den Einzelfall ankommen. Wenn der Schulfrieden gestört werde, müsse die Lehrerin möglicherweise auch versetzt werden, sagte sie.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Es war ein ungewöhnlicher Vorgang, der sich gestern abspielte. Durch eine Computerpanne wurde bereits gestern die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Kopftuchverbot für Lehrerinnen in Nordrhein-Westfalen bekannt. Da hat offenbar jemand die falsche Taste gedrückt oder zu früh gedrückt. Seitdem war die Entscheidung des Gerichts bereits in der Welt. Aber die Interpretationen gingen einigermaßen auseinander.
    Mitgehört hat Renate Hendricks. Sie ist bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Landtag von NRW. Schönen guten Tag.
    Renate Hendricks: Guten Tag, Herr Heckmann.
    Heckmann: Frau Hendricks, hat Nordrhein-Westfalen jahrelang, jahrzehntelang die Religionsfreiheit mit Füßen getreten?
    Hendricks: Nein, das haben wir mit Sicherheit nicht. Aber wir haben, als in der schwarz-gelben Regierungszeit dieses Gesetz geändert worden ist, damals schon sehr gewarnt und haben gesagt, wir sehen mit diesem Gesetz erhebliche Probleme auf uns zukommen, wussten dann ja auch, dass das Verfahren wahrscheinlich bis zum Bundesverfassungsgerichtshof geht, und werden natürlich jetzt die Konsequenzen ziehen, wenn wir uns ausführlich mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts beschäftigt haben. Aber Herr Detjen hat ja gerade schon mal klar gemacht, dass es da eine ganze Reihe von unterschiedlichen Regelungen gibt, was die Frage des Einzelfalles angeht, dass es das Pauschalverbot nicht geben kann, dass es keine Privilegierung, sage ich mal, der christlich-jüdischen abendländischen Symbolik geben kann. Alles das wird man jetzt bei der Frage der Gesetzgebung mit berücksichtigen müssen und wir stehen da als Gesetzgeber vor einem spannenden Prozess.
    Heckmann: Sie sagen, Sie werden jetzt die Konsequenzen ziehen, Frau Hendricks. Sie haben es aber auch erwähnt: Im Jahr 2006 ist das Gesetz von Schwarz-Gelb erlassen worden, geändert worden. Das ist jetzt neun Jahre her und Sie sind jetzt auch schon ein paar Jahre am Ruder. Weshalb haben Sie das nicht schon längst getan?
    Hendricks: Wir werden doch nicht eingreifen, wenn es ein laufendes Verfahren gibt. Das wussten wir doch. Wir haben immer gesagt, wir warten darauf, dass das Urteil kommt, damit wir dann auch rechtssicher gucken können, was wir im Schulgesetz wirklich verändern können.
    Heckmann: Aber man hätte doch eine politische Entscheidung treffen können, dass man sagt, die Religionsfreiheit ist uns natürlich wichtig und deswegen ändern wir dieses Gesetz sofort.
    Hendricks: Die politische Entscheidung, die wir in Nordrhein-Westfalen in der Zwischenzeit getroffen haben und das auch mit der Religionsfreiheit natürlich begründet haben, ist, dass wir den muslimischen Religionsunterricht in Nordrhein-Westfalen eingeführt haben, dass die Lehrerinnen bei der Unterrichtung des Religionsunterrichts das Kopftuch tragen konnten. Sie konnten es allerdings nicht tragen, wenn sie den übrigen Unterricht erteilen. Auch das gibt ja jetzt eine Sicherheit, dass das nicht pauschal verboten ist. Mit anderen Worten: Wir haben versucht, auf anderem Wege die Religionsfreiheit und die Pluralität der Gesellschaft abzubilden.
    "Es wird auf den Einzelfall ankommen"
    Heckmann: Sind Sie denn jetzt dafür, Frau Hendricks, dass allen Lehrerinnen muslimischen Glaubens das Kopftuchtragen - die, die es wünschen - in den Schulen ermöglicht wird?
    Hendricks: Ja. Ich bin der Meinung, dass wir das ermöglichen müssen. Allerdings und darauf hat ja auch gerade mein Vorredner hingewiesen, dass es nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts auf den Einzelfall ankommen wird, und wenn der Schulfriede dadurch gestört ist, dass dann möglicherweise auch eine Versetzung vorgenommen wird. Das genau wird aber jetzt gerade für den Gesetzgeber ganz spannend werden, dass man allgemeine Regelungen fasst, die auf diese dezidierten Äußerungen des Bundesverfassungsgerichts eingehen.
    Heckmann: Ich will das noch mal bekräftigen. Das ist ja in der Tat völlig zutreffend: Ein pauschales Kopftuchverbot ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Aber wenn der Schulfriede gestört ist, dann sieht die Sache wieder anders aus. Könnte das möglicherweise in der einen oder anderen Schule auch in Nordrhein-Westfalen als Hebel benutzt werden, um dann doch noch ein Kopftuchverbot durchzusetzen?
    Hendricks: Ich glaube, das kommt sehr auf die Regionen an. Ich hoffe sehr, dass das Kopftuch oder das Kopftuchverbot nicht zum Streitfall in den Schulen wird. Aber ich glaube, dass man jetzt auch mit der Schulaufsicht und mit den Schulleitungen darüber sprechen muss, dass man mit diesem Thema sensibel umgeht und dass man einvernehmliche Lösungen vor Ort findet, die nicht in eine Konfrontation einmünden, weil das tut uns nicht gut.
    Heckmann: Sie hoffen, dass es nicht in Konfrontationen enden wird, aber es ist ja durchaus eine Möglichkeit, dass der Streit und der Konflikt in die Schulen getragen wird, in den Schulen ausgetragen wird.
    Hendricks: Das kann man nie bei fast 7.000 Schulen in Nordrhein-Westfalen verhindern, dass das möglicherweise an der einzelnen Schule passiert. Aber man kann natürlich auch über das, was man als Message an die Schulen herausgibt und was man als Gesetz formuliert, entsprechende Regelungen, die dann auch Regelungen für den Konfliktfall vor Ort mit auf den Weg geben, formulieren, die dann hoffentlich den Konfliktfall beilegen lassen.
    Heckmann: Inwieweit wird das Urteil auch Konsequenzen haben über die Schulen hinaus?
    Hendricks: Ich glaube, dass das Urteil sehr stark auch in den gesellschaftlichen Bereich hineinwirken wird, und ich bin auch sicher, dass mit dem Urteil es natürlich auch Gesellschaftsschichten sind, die damit nicht einverstanden sind, weil es natürlich noch mal deutlich macht, dass sich unsere Gesellschaft zurzeit verändert. Das Wort von Wulff, der Islam gehört zu Deutschland, hat ja auch schon zu Unmut geführt, ist aber ja in der Zwischenzeit in einer modifizierten Form, glaube ich, gesellschaftlich anerkannt worden, dass nämlich die islamischen oder muslimischen Menschen zu Deutschland gehören, und das sind sie mit vier Millionen in Deutschland und darauf müssen wir reagieren und wir müssen ihnen die Möglichkeit geben, ihren Glauben genauso auszuleben, wie das für den christlichen oder für den jüdischen Glauben auch in Deutschland möglich ist.
    "Rechte der Frauen und Selbstbestimmung stärken"
    Heckmann: Muss die nicht-muslimische Mehrheitsbevölkerung ihre Einstellung gegenüber muslimischen Frauen, die Kopftuch tragen, ändern?
    Hendricks: Ich glaube, ja, weil nämlich bis dato immer davon ausgegangen ist, dass das Kopftuch ein Symbol der Unterdrückung ist. Aber die beiden Lehrerinnen, die hier geklagt haben, haben ja sehr deutlich gemacht, dass sie das Kopftuch nicht als Symbol der Unterdrückung, sondern als Symbol für den islamischen oder muslimischen Glauben tragen, und das ist natürlich auch ein Spagat, der sich hier jetzt in der Argumentation auftut. Aber selbstbewusste Frauen, die sagen, wir tun das aus Glaubensgründen, die haben natürlich auch mit Unterdrückung nichts zu tun.
    Heckmann: Man toleriert also das Tragen des Kopftuches bei einer Vielzahl von Frauen und nimmt dabei aber auch in Kauf, dass es darunter Frauen gibt, die das Kopftuch tragen, weil sie unterdrückt werden?
    Hendricks: Ja. Das, denke ich, ist aber gleichzeitig auch anzuprangern, weil ich glaube, man muss gleichzeitig dafür sorgen, dass man hier Rechte der Frauen und auch die Selbstbestimmung der Frauen, ob man ein Kopftuch tragen kann oder nicht, natürlich auch stärkt.
    Heckmann: Wie würden Sie unterm Strich das Urteil von heute historisch betrachtet bezeichnen?
    Hendricks: Ich glaube, das ist historisch eine weitere Öffnung dieser Gesellschaft, auch hin in eine stärkere pluralistisch ausgebildete Gesellschaft, die auf die Wirklichkeit dieser Gesellschaft Bezug nimmt.
    Heckmann: Renate Hendricks war das, bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Landtag von NRW. Frau Hendricks, ich danke Ihnen für das Gespräch und die Einordnungen.
    Hendricks: Ja, bitte. Bis dann, Herr Heckmann.
    Heckmann: Danke, schönen Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.