Dienstag, 07. Mai 2024

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Reihe: In den Reparaturbetrieben der Gesellschaft
Mit Gewaltsituationen richtig umgehen

Erst wird gepöbelt, dann geschubst: In Gewaltsituationen sind die meisten Menschen hilflos – auch oft jene, die als Lehrer oder Sozialarbeiter häufig damit konfrontiert sind. Anti-Gewalt-Kurse und Anti-Mobbing-Coachings sollen helfen. Eine standardisierte Ausbildung gibt es jedoch nicht.

Von Mirko Smiljanic | 20.01.2017
    Symbolbild zum Thema Randgruppen bzw. gewaltbereite Jugendliche, Gewalt bei Jugendlichen: Ein 14-jähriger Jugendlicher hat einen nur ein Jahr älteren Jungen am Hals gepackt und drückt ihn in eine Ecke. Aufgenommen am Sonntag (10.12.2006) in Lichtenfels (Oberfranken). Foto: Marcus Führer dpa/lby
    Gewalt unter Jugendlichen: In speziellen Kursen lernen beispielsweise Lehrer oder Sozialarbeiter, wie sie die streitenden Kontrahenten richtig voneinander trennen. (picture alliance/dpa/Marcus Führer)
    Katholische Familienbildungsstätte Bonn, ein heller, freundlich eingerichteter Übungsraum, in dem es an diesem Sonntagvormittag gar nicht freundlich zugeht: "Ich finde auch, Du stinkst ein bisschen."
    "Wir haben jetzt die Situation, dass zwei junge Männer sich aneinander reiben werden", erläutert Ulrich Krämer, der Geschäftsführer von Krämer-Trainings im nordrhein-westfälischen Bedburg: "Die Körpersprache hat sich schon verändert, der Blickkontakt ist starrer geworden, Adrenalin steigt auf, die verbale Phase startet langsam."
    Mit aggressivem Blick umtänzeln sich die Männer: "Was hast du denn für eine Glatze, hast Du keine Haare mehr." Krämer analysiert: "Auch hier ist die Körpersprache spannungsgeladen, und vielleicht starten gleich auch schon die ersten Berührungen, das heißt, die taktile Phase 1, das heißt, die ersten Schubsereien finden statt, Gleichgewicht brechen ist angestrebt, bis wir zur taktilen Phase 2 kommen, was der eigentliche Kampf ist, so weit wollen wir es aber nicht kommen lassen, wir gehen dazwischen spätestens wenn die ersten Berührungen stattfinden, versuchen wir hier die Situation zu trennen."
    Eine Kurteilnehmerin schreitet ein, versucht die Kontrahenten zu trennen. Diese Übung und viele weitere sind Teil eines Ausbildungsprogramms für Anti-Gewalt-, Anti-Aggressions- oder Coolnesstrainer. Die Auswahl der Berufsnamen belegt, dass auf diesem Feld Wildwuchs herrscht, die Ausbildung ist nicht reguliert, der Andrang aber vergleichsweise hoch. Was lernen die Kursteilnehmer?
    Wie kann ich mich anders verhalten?
    Swantje Ahrens erläutert: "Das ist ein präventives Konzept, die Übungen sind nicht, da tritt jetzt eine Gewaltsituation auf und die lösen wir auf, sondern wir erarbeiten mit der Gruppe, was es für Strukturen in einer Gewaltsituation gibt, wer ist beteiligt, es geht um Sensibilisierung, Bewusstwerdung von Strukturen, um Handlungsalternativen zu bekommen, wie kann ich mich anders verhalten."
    Swantje Ahrens, Ende 20, arbeitet als Sozial-Pädagogin bei Chance e.V in Münster, einem Verein, der unter anderem Haftentlassene betreut. Weil ihre Schützlinge nicht immer ein Ausbund der Friedfertigkeit sind, finanziert ihr Arbeitgeber die mit 300 Stunden ziemlich lange und 2.000 Euro vergleichsweise teure Fortbildung bei Krämer-Trainings. Benannt nach dem Chef:
    "Krämer-Trainings gibt es seit 2002, hat sich gegründet als Ich-AG, ich war also ganz alleine als Freelancer unterwegs, hab angefangen ursprünglich aus der Schauspielrichtung kombiniert mit Sozialpädagogik die ersten Kurse zu geben, zuerst waren es Schauspieltrainings, dann waren es thematische Schauspieltrainings zum Thema Gewalt und Aggression."
    Ein Thema, das Ulrich Krämer nicht mehr losgelassen hat. Nach und nach änderte der große, respekteinflößende Mann sein Kursangebot in Richtung Anti-Gewalttraining. Was Anti-Gewalttrainer genau machen und welche Methoden sie nutzen, wusste damals allerdings niemand so genau. Also entwickelte Krämer ein eigenes Konzept. Wer bei ihm eine Ausbildung durchläuft, braucht eine dreijährige Berufserfahrung in einem pädagogischen Beruf, Psychologe etwa, Pädagoge, Lehrer oder Erzieher. Die Ausbildungsinhalte, so Krämer, seien ein Spiegelbild gesellschaftlicher Bedürfnisse:
    "Momentan haben wir das Thema Trauma mit drin, das Thema Radikalisierung ist dabei, weil das natürlich aktuell auch Trendthemen sind, habe es dann auch irgendwann geschützt mit der Marke "SysAGT", des systemischen Anti-Gewalttrainings, weil natürlich systemische Techniken mit zum Einsatz kommen und wir die Möglichkeit brauchen, ein einheitliches System zu haben."
    "Den Jugendlichen einen guten Weg ermöglichen"
    Ulrich Krämer gibt seinen Absolventen Methoden an die Hand, angemessen mit Gewaltsituationen umzugehen. Der Blick auf das "System", in dem sich jemand befindet, sei dabei entscheidend, meint Krämer:
    "Wer hängt da eigentlich mit dran? Da hängt ein Verein mit dran, da hängt die Schule mit dran, da hängt eine Peergroup mit dran, wer hängt da jeweils mit dran als System, um letztendlich zu schauen, wie können wir möglichst effektiv arbeiten, um tatsächlich den Jugendlichen einen guten Weg zu ermöglichen."
    Der Bedarf an Gewaltprävention – und damit an gut ausgebildeten Anti-Aggressionstrainern - ist groß, immer mehr Behörden und private Organisationen lassen Mitarbeiter fortbilden. Drei festangestellte und 30 freiberufliche Trainer arbeiten bundesweit für Ulrich Krämer. In Luxemburg hat er auf Bitten der dortigen Behörden eine Zweigstelle für die Trainerausbildung aufgebaut. Genaue Umsatzzahlen verrät Krämer zwar nicht, gut ein Dutzend Menschen können von der Arbeit bei ihm mittlerweile aber gut leben.
    Ortswechsel: "Toby, Toby, Toby, hey man, ich wollte Dir sagen.." Eine Kursteilnehmerin versucht sich an Deeskalation. Die aggressive Trainings-Situation ist entschärft.
    "Ich hab das Prinzip "Sehen, Urteilen, Handeln angewendet", erläutert sie, "ich habe mir eine Person rausgeguckt, bin lautstark drauf zu gegangen, hab versucht, Augenkontakt aufzubauen, als ich Augenkontakt hatte, hab ich ihn sofort aus der Situation rausgenommen und bin mit ihm weg."
    Die Schlägerei bleibt aus, gut gemacht, zumindest in der Theorie.