Dienstag, 14. Mai 2024

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Präventionsprojekt für Pädophile
"Wir können gute Erfolge verzeichnen"

Ein Projekt der Berliner Charité hilft Pädophilen, nicht straffällig zu werden. Weil die Betroffenen freiwillig kämen, könne man ihnen auch gut helfen, sagte der Therapeut Hannes Gieseler im Dlf. Zudem habe man auch eine Strategie, wie man bei akuten Fällen mit der ärztlichen Schweigepflicht umgehe.

Hannes Gieseler im Gespräch mit Claudia Hennen | 16.10.2018
    30.01.2018, Berlin: Die Charité-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Eine Person mit Kaputzenpulli steht vor einer Mauer in einem Garten.
    Blick in den Hof der Charité-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie: Für die Behandlung von Pädophilie lassen sich auch Medikamente erfolgreich einsetzen, sagt der Therapeut Hannes Gieseler (dpa / picture alliance / Maurizio Gambarini)
    Claudia Hennen: "Kein Täter werden" – ein Präventionsprojekt für Pädophile, das durchaus umstritten ist. Ich habe dazu mit Hannes Gieseler gesprochen. Er ist Therapeut an der Berliner Charité. – Dass Pädophile nicht zwangsläufig straffällig werden, das hörten wir gerade in der Reportage. Aber ich wollte wissen, wie hoch die Gefahr ist, dass sie es doch werden.
    Hannes Gieseler: Das hängt immer vom individuellen Risiko ab. Zunächst möchte ich aber mal sagen, dass es "den Pädophilen" eigentlich gar nicht gibt. Das sind immer Menschen mit einer sexuellen Ansprechbarkeit für Kinder oder für Frühpubertäre. Das heißt, das sind natürlich Menschen, die noch ganz viele andere Aspekte haben und bei denen Pädophilie vielleicht ein Aspekt dieser Menschen ist.
    "Wir arbeiten präventiv"
    Hennen: Haben Sie denn ein Frühwarnsystem, was Ihnen irgendwie zeigt, die Grenze ist überschritten?
    Gieseler: Das Frühwarnsystem besteht hauptsächlich darin, dass es natürlich vor allem aus dem Hellfeld, von justizbekannten Straftätern Instrumente gibt, mit denen man das Risiko bewerten kann. Jetzt arbeiten wir ja präventiv, das heißt auch mit Menschen, die noch nie einen Übergriff begangen haben, oder die noch nie Missbrauchsabbildungen genutzt haben, und können dann individuell gucken, wie hoch ist möglicherweise deren Risiko, individuell abhängig von der Situation und von anderen Eigenschaften, die diese Menschen mitbringen.
    Hennen: Sie haben gerade von Missbrauchsabbildungen gesprochen. Sie meinen Kinderpornos konsumieren?
    Gieseler: Genau. Das wird verharmlosend oft als Kinderpornographie bezeichnet. Von Pornographie kann man da nicht sprechen. Wenn Kinder involviert sind in sexuelle Handlungen mit Erwachsenen oder mit anderen Kindern und dabei gefilmt werden und das verbreitet wird, dann ist das natürlich abgebildeter Missbrauch.
    Der heikle Umgang mit der Schweigepflicht
    Hennen: Ich komme noch mal auf die Reportage, denn der Betroffene, der dort interviewt wurde, der hat gesagt: Ja, das habe ich mir angesehen. – Wenn Sie nun in der Therapie, im Gespräch so was hören, was können Sie dann tun? Sie stehen ja unter Schweigepflicht. Sie haben sich verpflichtet, zu schweigen und nicht solche Fälle an die Polizei zu melden?
    Gieseler: Genau. Was natürlich eine Möglichkeit wäre, ist, dass derjenige sich selbst anzeigt. Die Möglichkeit gibt es. Wir dürfen das aufgrund der Schweigepflicht nicht, aber wir können natürlich alles dafür tun, dass derjenige keine weitere Missbrauchsabbildung nutzt, und dafür gibt es natürlich die therapeutischen Möglichkeiten, die wir haben.
    Hennen: "Therapeutische Möglichkeiten" – heißt das auch Medikamente?
    Gieseler: Ja. Das heißt im Falle, dass die sogenannten sexuellen Impulse oder die sexuelle Befasstheit sehr hoch ist und derjenige damit schwer umgehen kann und sich dort Hilfe wünscht zur Reduktion des sexuellen Verlangens, dann kann man durchaus auch Medikamente einsetzen, die übrigens sehr gut wirken.
    Hennen: Wie oft ist das denn der Fall?
    Gieseler: Ich denke, bei uns im Projekt wünschen sich das schätzungsweise 20 Prozent. Sinnvoll ist es vor allem dann, wenn derjenige tatsächlich ein hohes Risiko hat für einen sexuellen Übergriff oder für die Nutzung von Missbrauchsabbildungen und selber nicht die Fähigkeiten mitbringt, das kontrollieren zu können oder das kontrollieren zu lernen. Dann empfehlen wir auch oft die Einnahme von Medikamenten, was natürlich immer am Ende an der Entscheidung des Betroffenen hängt, ob der diese nehmen möchte oder nicht.
    Wie wird der Erfolg der Methode gemessen?
    Hennen: Wie messen Sie aber den Erfolg Ihrer Prävention?
    Gieseler: Der Erfolg lässt sich relativ schwer messen, muss man sagen. Man kann gucken, ob sich im Laufe der Therapie das Risiko verringert, die psychologisch gemessenen Risikofaktoren weniger werden. Das geht zum Beispiel. Und man kann natürlich in unserem Fall, weil wir ja nur im Dunkelfeld tätig sind, keine Strafregisterauszüge zum Beispiel sich besorgen, um das genau zu validieren. Aber wir können die Betroffenen fragen, hat es Ihnen geholfen, haben Sie weiterhin Missbrauchsabbildungen genutzt oder haben Sie nach der Therapie welche genutzt und gab es möglicherweise sexuelle Übergriffe. Das haben wir in den letzten Jahren auch getan und eine Studie durchgeführt und können da im Vergleich zu anderen Psychotherapien auch gute Erfolge verzeichnen.
    Man darf ja auch nicht vergessen: Alle, die zu uns kommen, kommen freiwillig. Die wollen Kinder schützen, die wollen Kindern kein Leid zufügen, kriegen das nur allein unter Umständen nicht so gut hin und brauchen dabei Hilfe, und deswegen kommen die zu uns.
    Hennen: Der Therapeut Hannes Gieseler vom Projekt "Kein Täter werden". Vielen Dank für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.