Im Jenseits der Sinne

Von Sibylle Tamin · 30.04.2010
"Dort in Schwaben, als der Zug auf freier Strecke plötzlich hielt und ich lange hinausstarrte auf dieses kleinteilige, schwingende Land, ist mir diese ganz und gar merkwürdige Gestalt des Dichters Christian Wagner (1835-1918) in den Sinn gekommen, dessen Sprachwunder Hermann Hesse 'aus den Wiesen steigen' sah, dessen Gedichte dem Spötter Tucholsky reine Liebe waren, dessen Person und Werk Gustav Landauer in die Nähe Tolstois rückte.
Dieser Kleinbauer und Dichter aus dem Schwäbischen, der Vieh aufkauft, um es vom Schlachttod zu bewahren, der winters nicht hinterm Ofen sitzt, um zu schreiben, sondern als Waldarbeiter sich verdingt, der ewigen Geldknappheit aufzuhelfen, und der sich doch reich fühlt, wegen der 'Wertsachen im feuerfesten und diebessicheren Kassenschrank der Seele', mit deren Hilfe er dann hochdeutsche, nie mundartliche Gedichte und Prosa verfasst. Aus der Beobachtung der Natur wächst ihm Weite zu, eine kosmologische Verbundenheit von Geist und Natur, kirchenfern und gottesgläubig. Er ist ein zu Unrecht versunkener Dichter, dessen Leben eben jene Einheit mit dem Werk herstellt, die wir uns als Leser so sehr wünschen."

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