Hörspielmagazin Extra:

Alte Meister: Mort Garson

27:44 Minuten
April 20, 2019 - New York City, New York, U.S. - ANALOG SYNTHESIZER by MOOG owned by KEITH EMERSON on display at the Play It Loud: Instruments of Rock and Roll exhibit held at the Metropolitan Museum of Art. New York City U.S. PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY - ZUMAk03_ 20190420_zaf_k03_104 Copyright: xNancyxKaszermanx
Mort Garsons "The Zodiac: Cosmic Sounds" ist die erste Platte, auf der ein Moog-Synthesizer zu hören ist. © www.imago-images.de
Von Ulrich Bassenge · 14.11.2020
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Der kanadische Komponist, Dirigent und Arrangeur Mort Garson gilt als Pionier der elektronischen Musikkultur, der unter anderem ein Album für Pflanzen aufnahm und die Mondmission der NASA vertonte. Ulrich Bassenge über den außergewöhnlichen Klangzauberer, dessen vielseitiges Werk durch mehrere Neuveröffentlichungen gerade wieder in den Blickpunkt gerät.
Ausschnitt The Zodiac: "Cancer"
Ausschnitt Mort Garson: "Is He Trying To Tell Us Something"
Ich war dreizehn, als ich Mort Garson unwissentlich zum ersten Mal begegnete. In einem lokalen Supermarkt hatte ich eine Langspielplatte mit seltsamer Hülle entdeckt: Ein Plexiglaskopf mit visierartiger Mundregion und einer Antenne, die ihm oben aus der Schädeldecke wuchs, starrte mich an. Oder besser gesagt: Er hätte mich angestarrt, wenn er Augen gehabt hätte. Mit neonbunten Großbuchstaben hatte man rund um das Foto der Skulptur kryptische Worte verteilt. "OFF II" stand da, "Hallucinations" und am unteren Rand: "Psychedelic Underground". Weiterhin wurde in drei Worten ein Versprechen gegeben: "Super Stereo Sound." Meine mühsam ersparten zehn Mark waren offenbar gut angelegt.
Als ich zuhause mit zitternden Fingern das Zellophan entfernte, stellte sich heraus, dass die Platte selbst ebenfalls mit dem Motiv des Plattencovers bedruckt war. Legte man das schwere Vinyl auf den Plattenteller, rotierte der hässliche Kopf samt der bunten Schrift halluzinogen vor sich hin. Dies war eine der ersten, wenn nicht die erste Picture Disc und sie diente einem einzigen Zweck: der Werbung für den Katalog der Plattenfirma Elektra. Die Zielgruppe war ich.
Und ich war auf der Stelle angefixt. Denn was quollen da nach dem Absenken der Nadel für wunderbare, aufrührerische Klänge aus den Stereolautsprechern:
MC 5 mit "Kick Out the Jams". Rhinoceros mit "Apricot Brandy". The Doors mit "Five To One". Love mit "The Daily Planet". Bands mit unerhörten Namen wie Earth Opera, The Holy Modal Rounders, Ars Nova oder The Incredible String Band. Das letzte Stück war unter all dem Außergewöhnlichen noch einmal etwas ganz Besonderes. Es war von The Zodiac Cosmic Sounds und hieß "Cancer – The Moon Child."
Ausschnitt The Zodiac: "Cancer"
Eine klangvolle Stimme rezitierte einen okkulten Text über das Sternzeichen Krebs und seinen Herrscher, den Mond. Als Komponist war ein Mort Garson angegeben, selber im Zeichen des Krebses geboren. Es dauerte 35 Jahre, bis ich die Platte in Händen hielt, aus der dieses Stück ausgekoppelt war. Sie ist von THE ZODIAC, heißt "Cosmic Sounds", ist 1967 erschienen und rundum fantastisch. Viele Leute waren an dieser Vertonung des Tierkreises beteiligt, darunter auch Paul Beaver - Sternzeichen Löwe -, der neben Mort Garson zu den wenigen Besitzern einer jener sagenumwobenen Wundermaschinen gehörte, die auf den Namen MOOG Synthesizer hörten.
Ausschnitt Mort Garson: "Is He Trying To Tell Us Something"
Zitat Andy Beta: "Statt einer üblichen Midlife Crisis hatte Garson mit 40 eine Transformation anderer Art. 1967 begegnete er auf der Westküsten-Tagung der Audio Engineering Society Robert Moogs frühem Synthesizer-Prototyp und erstand ein Gerät zum Preis von 15.000 Dollar. Von da an schoß Garsons Produktivität ins Kraut."
Schreibt der Musikjournalist Andy Beta.
Ausschnitt Mort Garson: "Music For Advertising #5"
Ausschnitt The Electric Blues Society: "Our Day Will Come"
Was war vor der produktiven Krise geschehen? Mort Garson hatte in New Brunswick, Kanada am 20. Juli 1924 als Kind russischer Juden das Licht der Welt erblickt. Er studierte in New York an der berühmten Juilliard School of Music. Gegen Ende des zweiten Weltkriegs wurde er einberufen. Anschließend machte er sich einen Namen als Studiopianist, der schnell und perfekt alle anfallenden Arbeiten erledigen konnte: einspielen, arrangieren, orchestrieren, dirigieren und sogar komponieren.
Zitat Andy Beta: "Er war quasi ein früher Vertreter der Gig Economy: nimm jeden Job an, der des Weges kommt. Er haute Lounge-Hits raus, verfertigte Plüsch-Arrangements, produzierte Jingles, Fernseh-Themen und mehr - von den späten 1940ern bis in die Swinging Sixties."
Tatsächlich schrieb Mort Garson mehrere Hits, alleine oder im Team, u.a. für Cliff Richard, Brenda Lee und seinen größten Erfolg: "Our Day Will Come" von Ruby & the Romantics. Seine exquisiten Arrangements verschönerten Aufnahmen von Esther Phillips, Mel Tormé, Julie London; für Arthur Prysock schrieb und dirigierte er die unglaubliche Schlafzimmerplatte "This is My Beloved". Garsons Tochter Day Darmet verriet Andy Beta, wie so ein Leben in der Praxis aussah.
Zitat Day Darmet: "Das war der Witz an meinem Vater: er wachte auf und arbeitete den ganzen Tag bis zum Abendessen. Er aß zu Abend, machte ein zweistündiges Nickerchen und arbeitete dann nochmal die ganze Nacht durch. Er war ständig drauf."
Zitat Andy Beta: "Das hieß: Glen Campbells "By the Time I Get to Phoenix" jammernde Countrypolitan-Streicher zu verpassen, den Simon & Garfunkel-Katalog noch milder klingen zu lassen und mit dem Gitarrenduo Santo & Johnny einen Haufen Beatles-Hits zu covern. Seine Partituren machten Doris Days "Sentimental Journey" geradezu irrwitzig rührselig."
Auch nach der "Transformation" hatte Day Darmet wenig von ihrem Vater:
Zitat Day Darmet: "Als er den Synthesizer entdeckte, wurde ihm klar, dass er keine Popmusik mehr machen wollte. Als er sich der elektronischen Musik verschrieb, hatten meine Mutter und ich keinen Schimmer, wohin sein Weg ging: nämlich von super kommerziell zu way out there."
Ausschnitt Mort Garson: "Didn’t You Hear (Reprise)" und "Kevin’s Theme"
"Didn’t You Hear", die Titelmusik eines experimentellen Films von Skip Sherwood. Geschrieben und gespielt von Mort Garson mit einem mozart‘schen Gespür für Melodie; gesungen vom in der Obskurität verschwundenen Tom Muncrief, dem Sänger einer Garagenband aus New Mexico. Ursprünglich war die Platte mit dem Soundtrack nur als Merchandise im Kino-Foyer erhältlich; und das nur in Seattle, wo "Didn’t You Hear" im Dezember 1970 seine sehr kurze Premiere erlebte. Heute ist die komplett elektronische Musik wieder erhältlich. Welche Freude!
Zitat Andy Beta: "Binnen zehn Jahren war Garsons getreuer Moog das Werkzeug der Wahl. Er kreierte mit ihm prototypische New-Age-Soundscapes für die einzelnen Sternzeichen. Er verbog den Zauberer von Oz zum "Wozard of Iz" und verbrutzelte das Musical "Hair" zu "Electronic Hair Pieces". Kein Hippie-Trend blieb undurchkämmt auf Garsons Suche nach seinem eigenen subkulturellen "Hit"."
Ausschnitt Mort Garson: "Aquarius"
Ein elektronisches Haarteil: "Aquarius" aus dem Musical "Hair" in Mort Garsons höchlich skurriler Fassung. Noch deutlich seltsamer, sozusagen incredibly strange hört sich die Parodie auf den Zauberer von Oz an, in der die kleine Dorothy in die LSD-geschwängerte Gegenwart des Jahres 1968 gebeamt wird. "Wozard of Iz" entstand in Zusammenarbeit mit Jacques Wilson, der bereits die astrologischen Texte der "Cosmic Sounds" verfasst hatte. Als Produzent fungierte Bernie Krause, der heute als Klangökologe tätig ist. Damals war er wie seine Freunde Paul Beaver und Mort Garson im super-exklusiven Klub der Synthesizer-Besitzer.
Ausschnitt Mort Garson. "Wozard of Iz: Prologue"
Fernsehen oder nicht fernsehen, das ist die Frage. Ist das Medium nun die Message oder die Massage? Oder ist es die Therapie? Und wo geht hier was ab? fragte sich Dorothy.
Ausschnitt Mort Garson. "I’ve Been Over the Rainbow"
Wieder dieses überirdische Melodiegefühl. Suzie Jane Hokom heißt die hippieske Sängerin mit der großen stimmlichen Nähe zu Nancy Sinatra. Und "Wozard of Iz" ist das Sergeant Pepper der elektronischen Musik.
Ausschnitt Mort Garson: "Never Follow the Yellow-Green Road" und "Realizations of an Aeropolis"
Als Krönung der Dekade schrieb Garson 1969 den Soundtrack zur Übertragung der Mondlandung von Apollo 11, der bislang als verschollen gilt. Aber wir können hoffen, denn noch werden an die hundert nachgelassene Tonbandspulen und stapelweise Partituren - viele davon nie realisiert - von der Tochter und der Plattenfirma gesichtet.
Ausschnitt Mort Garson: "Music For Advertising #2" und "Ataraxia: Deja Vu"
Mit Werbejingles legte Mort Garson, ähnlich wie sein Antipode Raymond Scott, einen Grundstein für die Zukunft. Robert Moog notierte:
Zitat Andy Beta: "Die Jingles waren wichtig, weil sie den Sound bekannt machten."
Ende der Sechzigerjahre war der Synthesizer so neu, dass nach Mort Garsons Angaben das Drücken einer einzigen Taste genügte, um die Werbekunden glücklich zu machen. Garsons Arbeit transzendierte Moogs Instrument vom Kuriosum zum vertrauten und allgegenwärtigen Begriff. Und wichtiger noch: synthetische Klänge wurden Teil unserer alltäglichen Soundscape.
Zitat Andy Beta: "Doch dann wurde der Traum der 60er Jahre sauer und die Blütenkraft verwelkte. Als die Manson-Morde und Altamont die amerikanische Psyche verdüsterten, bewegte sich auch Garson auf die dunklere Seite zu. "
Man könnte dem Journalisten Andy Beta auch entgegenhalten: Es waren die luziferischen Aspekte elektronischer Klangerzeugung, die Mort Garson faszinierten, die Idee des synthetischen Feuers, mit dem der Menschheit die göttliche Erschaffung des Klangs aus dem Nichts ermöglicht wurde. Unter dem Namen ATARAXIA, was soviel heißt wie Seelenruhe, Gelassenheit oder einfach Coolness, erforschte dieser moderne Prometheus die Klanglichkeit okkulter Phänomene. Seancen, Astralwanderungen, die Kabbala, Divinationssysteme wie I Ching oder Tarot waren in den Siebzigern ohnehin in aller Munde, zumindest in der Gegenkultur.
Zitat Andy Beta: "Eingangs der 70er Jahre nahm er als LUCIFER eine schwarze Messe auf - oder leitete er sie sogar?"
Ausschnitt "Lucifer: Solomon’s Ring"
Ein Schelm, wer dabei an Pink Floyd denkt. Oder gleich an "Dark Side of the Moon", das Album, das zwei Jahre nach "Black Mass" erschien. Am Ende seiner esoterischen Phase tauchte Mort Garson auf mit seinem bekanntesten und freundlichsten Album. 1976 erschien "Plantasia", basierend auf demselben Buch, von dem sich Stevie Wonder zu seinem "Secret Life of Plants" inspirieren hatte lassen.
Zitat: "Für Pflanzen und Leute, die sie lieben"
Ausschnitt Mort Garson: "Concerto for Philodendron"
Dieses "Concerto for Philodendron" kommt Ihnen vielleicht bekannt vor, falls Sie gern Nintendo spielen. Das Schlaflied aus "The Legend of Zelda" ist eine freche Kopie.
Ausschnitt Mort Garson: "Cathedral of Pleasure"
Mort Garson ist am 4. Januar 2008 mit 83 Jahren gestorben, aktiv bis zuletzt in Filmmusik und Werbung. An Können und Innovationskraft steht er anderen Elektronikpionierinnen und -pionieren in nichts nach. Jetzt, wo mehrere Alben wiederveröffentlicht sind, erwartet Interessierte eine Entdeckungsreise.