Hörspielmagazin

Die Freie Szene: Der Humus des deutschen Hörspiels

12:48 Minuten
Preisverleihung 1. Kurzhörspielwettbewerb beim 18. Leipziger Hörspielsommer 2020; alle Gewinner posieren auf der Bühne für ein Foto
Preisverleihung Kurzhörspiel beim 18. Leipziger Hörspielsommer 2020 © Leipziger Hörspielsommer/Tino Pfundt
Von Anna Seibt · 02.03.2021
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Hobbyhörspielmacher, Audiokünstler, experimentelles Radio, Festivals und Wettbewerbe; in Deutschland gibt es eine sehr lebendige und aktive freie Hörspielszene, die sich Anna Seibt genauer angeschaut hat.
Ausschnitt Hörspiel
Regen, Turmuhr, Tür knarzt
Mann: Sie wünschen?
Mann 2: Guten Abend. Ich bin Detective Inspector Trueman aus Yeovil. Das hier ist Mister Harper von der Kriminaltechnik.
In der Tradition berühmter britischer Detektive klärt John Trueman in den fünf Folgen der Krimiserie "Yeovil True" Morde auf. Mal bricht ein Jogger im Park tot zusammen oder das Zimmermädchen des Earl of Ravenhill wird erschossen aufgefunden.
Ausschnitt Hörspiel Yeovil
John Truemans Stimme gehört im echten Leben aber zu Philip Bösand. Seit 2006 spricht er Bösewichte, Trolle oder Meermonster, nimmt Töne auf und führt auch mal Regie – alles in seiner Freizeit und unentgeltlich.
Philip Bösand: "Ich glaube der Reiz liegt im kreativen Gestalten. Das man da gemeinsam mit wahnsinnig viel Mühe und Zeit an einer Sache arbeitet, die wirklich sehr aufwändig, oft zeitintensiv ist, aber am Schluss, wenn dann alle Puzzleteile zusammengesetzt werden, alles ineinandergreift, die Geräusche, jeder einzelne Schritt wurde mit Bedacht gesetzt und auch oftmals selbst aufgenommen und angepasst und die Sprecher geben sich Mühe. Teilweise werden bewusst Musikstücke geschrieben und Atmosphären und wenn dann alles passt und am Ende hast du ein schönes Hörspiel – das ist es eigentlich: gemeinsam etwas erschaffen und anderen damit eine Freude bereiten. Und das geht uns allen so. Das finde ich auch das schöne dabei."
Möglich wurde die dezentrale Arbeitsweise für Hobbyhörspielmachende erst durch das Internet und die immer handlichere und erschwinglichere Technik. Für Philip Bösand ist die Internetplattform www.hoerspielprojekt.de sehr wichtig. Dort und auf dem dazugehörigen YouTube-Kanal können fertige Hörspiele einem größeren Publikum vorgestellt werden; Hörspielenthusiasten können sich miteinander vernetzen: Sprecher*innen laden Hörproben hoch und hoffen, auf Personen zu treffen, die beispielsweise ein Skript geschrieben haben und für die Umsetzung noch die passenden Stimmen suchen. So arbeiten Menschen an ihren Hörspielprojekten zusammen, ohne dass sie sich jemals zu Gesicht bekommen – und dass auch schon vor den Corona-Beschränkungen.
Philip Bösand: "Nehmen wir mal an, ich leite die Produktion: Man muss eben sehr, sehr, sehr viel Arbeit und Mühe in die Vorbereitung stecken, weil ich möchte ja, dass das Endergebnis möglichst gut und vor allem lebendig wird. Und dann beschreibe ich eben die Figuren, die Charaktere, deren Ansinnen und Intentionen sehr, sehr genau, oft auch in persönlichen Vorgesprächen, via Skype oder Telefon. Und dann erarbeitet man sich eben gemeinsam die Rolle, manchmal auch via Live-Regie durch Skype zum Beispiel. Dann setzt sich dann die Person hin und oder stellt sich hin und nimmt dann ihre Rolle auf und schickt mir das Ganze rüber. Und dann höre ich mir das alles einzeln an, immer im Abgleich mit dem Skript. Und höre dann: das passt, das passt nicht. Oh, hier hätte ich gern noch ein bisschen mehr Intention drin. Und dann melde ich mich zurück und gebe dann wirklich die Take-Nummern durch und so geht das dann, bis man dann ein Level gefunden hat, mit dem alle zufrieden sind. Und dann kann ich das abhaken."
Wenn schließlich alle Stimmen aufgenommen sind, werden sie, wie auch in professionellen Hörspielproduktionen üblich, am Computer mit Geräuschen und Musik zusammengebaut.
Ausschnitt Yeovil True – Pen Mill Station
Schussgeräusche, Musik, Schritte auf Kies
Mann: Runter, schnell, kommen Sie hinter den Waggon.
Mann 2: Mein Gott, was ist mit Smitti?
Mann: Tod, Kopfschuss, das sind Profis. Wir müssen hier weg, sonst haben wir keine Chance!
Der 39jährige Webdesigner Dennis Künstner hat das Forum 2007 aufgesetzt, um Gleichgesinnte zu finden, mit denen er seine Ideen umsetzen kann. Inzwischen, schätzt er, sind von den mehreren tausend Angemeldeten ca. 300 Menschen aus der ganzen Welt auf der Homepage aktiv. Er selbst agiert eher im Hintergrund und sorgt dafür, dass die Infrastruktur funktioniert. Denn auch wenn er inzwischen ab und zu für Auftraggeber als Cutter arbeitet, ist es ihm wichtig, dass das Hörspielmachen Hobby bleibt.

Dennis Künstner: "Wenn’s dann richtig Arbeit wird, dann, glaube ich, wäre das nicht der richtige Job für mich. Also, es soll dann schon noch Hobby und Spaß bleiben."
Aber auch ohne sein aktives Zutun haben sich über die Jahre semiprofessionelle Strukturen in dem Hörspielforum etabliert: Eine Gruppe von Forumsmitgliedern kümmert sich beispielsweise darum, dass bei der Produktion der Hörspiele Mindeststandards eingehalten werden.
Dennis Künstner: "Wenn man Skripte bei uns einreicht gibt es Lektoren, die die Skripte korrigieren und dem Autor noch Tipps mit an die Hand geben, zum Beispiel, wenn im Plot oder im Storyverlauf noch was unschlüssig ist. Und bei den Sprechproben gibt es eine Minimal-Abnahme, damit grundsätzlich Sachen wie starker Raumhall gar nicht erst auftreten. Dadurch, dass wir ja alle getrennt aufnehmen und jeder mit einem anderen Mikrofon aufnimmt, dass zumindest so eine Grundvoraussetzung bei der Audioqualität gegeben ist, dass die relativ identisch ist."
Anders als die Hobbyhörspielmachenden auf hoerspielprojekt.de, die vor allem Krimis, Thriller und Science-Fiction-Stücke realisieren, schätzt die Audiokünstlerin Elena Zieser besonders, dass sie ihre Ideen auch komplett alleine realisieren kann.
Elena Zieser: "Also für die freie Arbeit, finde ich, ist der Vorteil, dass ich total nach meinem eigenen Rhythmus gehen kann, dass ich nach meinem eigenen Gefühl gehen kann und auch nach meiner eigenen Entscheidung. Wenn ich selber was arbeite, dann hole ich mir trotzdem Feedback ein, aber ich kann es am Ende so entscheiden, wie ich will – also, es ist so ein bisschen mehr anarchisch, würde ich sagen. Einen zweiten Vorteil finde ich, dass man es nicht produziert, dass es irgendwo läuft, dass es irgendwo gesendet wird, irgendwo präsentiert wird, sondern ich hab auch schon Sachen gemacht, die hat außer mir und noch zwei Personen niemand gehört, da steckt auch eine gewisse Freiheit drin."
Aber natürlich produziert Elena Zieser nicht oft für die Schublade. Sie hat "Experimentelles Radio" an der Bauhaus Universität in Weimar studiert und will von ihrer Arbeit auch leben. Einen Teil ihres Einkommens generiert sie, indem öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten ihre Eigenproduktionen ausstrahlen und sie dafür bezahlen, wie zum Beispiel für ihre Master-Abschlussarbeit "Helena".
Ausschnitt Hörspiel "Helena"
Um öffentlich-rechtliche Sender wie den Deutschlandfunk überhaupt auf sich aufmerksam zu machen, nutzen viele Macher*innen die Hörspielfestivals der freien Szene. Das mit ca. 9000 Besucher*innen im letzten Jahr größte von ihnen ist der Leipziger Hörspielsommer. Seit 2003 können große und kleine Hörspielfans in der Innenstadt von Leipzig jeden Sommer neun Tage lang kostenlos Hörspielproduktionen lauschen, an Live-Events teilnehmen und Wettbewerbe verfolgen. Lysann Schläfke ist eine der Organisator*innen des Internationalen Hörspielwettbewerbs und betont, dass das Festival die freie Hörspielszene in ihrer Vielfalt präsentieren möchte.
Lysann Schläfke: "Wir haben in diesem Jahr 137 Einsendungen bekommen. Und natürlich sind die auch verschiedenster Art. Da sind Hörspielmacher*innen, die in ihrer Freizeit erst mal Lust haben ein Hörspiel zu produzieren. Also, das sind Leute, die sich vielleicht literarisch auseinandergesetzt haben, mit Texten und diese dann auch vertonen wollen. Dann gibt es Menschen, die zu bestimmten Gründen Hörstücke gemacht haben, weil ihnen ein Thema oder eine Idee umsetzungswürdig erscheint. Dann gibt es welche die Hörstücke machen, weil sie auch in der Zukunft vielleicht professioneller arbeiten wollen. Also wir sind da schon sehr basisdemokratisch und basisorientiert und versuchen da offen zu sein und auch nicht so viele Unterschiede zu machen zwischen Professionellen und Newcomern oder Laien, sondern wir befassen uns mit dem Thema Hörspiel und das ist unser Thema."
Die mehrheitlich ehrenamtlich organsierten Hörspielfestivals in Leipzig, Berlin und Köln sind auch der einzige Ort, wo die Macherinnen und Macher des künstlerisch-experimentellen Hörspiels auf die treffen, die sich eher an den Vorlieben der breiten Masse für Thriller, Krimi und Science-Fiction orientieren, stellt Hörspiel-Amateur Philip Bösand fest.
Philip Bösand: "Also, als ich damals in Leipzig war - ich glaube, da ging es um einen Bankräuber, also auch wieder so eher in Richtung Krimi. Und das nächste war dann eine reine Klanginstallation. Aber trotzdem saßen alle gemeinsam da und es ging einfach um die Freude am Hören und ja, die konnten gut nebeneinander existieren. Diese verschiedenen Produktionen, ob Kunst, ob Kommerz, ob popkulturell, das hat alles nebeneinander gut funktioniert."
Für ihn sind die Festivals ein analoger Ausgleich zur Blasenbildung im Internet, wo die einzelnen Interessengruppen oft eher unter sich bleiben. Gefragt nach seinen Wünschen für die Zukunft erzählt Bösand, dass er zunehmend auch für kommerzielle Produktionen als Sprecher angefragt wird. Eine Tätigkeit, die er gerne vertiefen würde.
Philip Bösand: "Ich habe schon häufiger darüber nachgedacht, ob man diese ganze Sprecherei und das Hörspiel zum eigentlichen Beruf machen könnte. Und ich würde das auch gerne tun oder auf jeden Fall vermehrt tun, das ist aber gar nicht so einfach, denn das ist wirklich ein ziemlich geschlossener Kreis. Und ich behaupte mal vorsichtig, dass viele Schauspieler das auch gar nicht so gerne haben, wenn dann da einer kommt aus der freien Szene, der womöglich kein gelernter Schauspieler ist. Und ich kann das ein Stück weit auch verstehen, muss aber trotzdem sagen, dass es durchaus viele Sprecher gibt, die eben keine gelernten Schauspieler sind, die aber dennoch sehr, sehr gut sind."
Elena Zieser wünscht sich ebenfalls mehr Anerkennung der freien Szene durch den professionell organisierten Hörspielbetrieb, appelliert aber auch an die freien Hörspielmacher*innen, ihre eigenen Qualitäten mit mehr Selbstbewusstsein zu vertreten.
O-Ton Elena Zieser: "Es gibt schon Leute, die glaube ich, sich eher darüber definieren, dass sie in der freien Szene sind und nicht in der in der professionellen Szene und sich damit so selber auch so ein bisschen Wertigkeit nehmen. Man ist halt immer so ein bisschen der Freak. Die Leute sind immer erstmal überrascht, was man macht und dass es so etwas gibt und finden das aber auch total toll. Aber es wird manchmal eben auch so ein bisschen abgetan. Also, ich kann das auch verstehen, wo das Gefühl sozusagen herkommt. Aber ich würde mir manchmal wünschen, dass man sich weniger davon beeinflussen lässt. Also Cornelia Klaus von der Akademie der Künste, die hat das mal so ganz schön gesagt, dass sie so findet, die freie Szene ist halt so der Humus, der so überall rumliegt und der ist aber dazu da, um dann auch irgendwie hoch zu wachsen und da eben weiter Früchte zu tragen. Aber es kommt eigentlich alles so aus der freien Szene raus. Das fand ich irgendwie so ein total schönes Bild."