Hörspiel des Monats April

Wenn Trauer sich nicht greifen lässt

Stadtbild, Tunnel, verschwommen
Matt ist Ingenieur und begegnet Elsie, als er ein Loch im Asphalt in ihrer Straße reparieren soll. Das Loch wird zum Inbegriff eines psychischen Zustands der Leere. © Nick Turner on Unsplash
Von Kathrin Hondl · 28.05.2019
Im Hörspiel „Hafen“ von Mishka Lavigne treffen zwei Trauernde aufeinander: Elsie, die der Unfalltod ihrer berühmten Mutter in eine schwere Krise stürzt, und Matt, dessen Eltern seit dem Jugoslawienkrieg als vermisst gelten. Ein intimes Drama.
"'Es gibt Augenblicke, die sich fremd anfühlen.' Erster Satz der ersten Seite des ersten Kapitels." (Hörbeispiel)
"Hafen" heißt das Buch. Matt, Ingenieur bei der Stadt Ottawa, hat es gefunden – in einem leeren Auto, das in ein Loch gestürzt war. Das Loch, ein Krater eigentlich, hatte sich plötzlich aufgetan in der Straße, in der Elsie Sauriol wohnt. Sie ist die Tochter der Buchautorin Gabrielle Sauriol, die gerade tödlich verunglückt ist. Matt wiederum ist gerade aus Sarajewo zurückgekehrt, wo er herausfinden wollte, wer seine leiblichen Eltern waren. Jetzt leitet er die Reparaturarbeiten an dem Loch in Elsie Sauriols Straße.
"Was machst du den ganzen Tag? Worauf schaust du da, in dem Loch?" (Hörbeispiel)
Das Hörspiel "Hafen" erzählt von der Freundschaft, die sich entwickelt zwischen zwei traurigen, ja, traumatisierten Menschen: Elsie, die der Unfalltod ihrer berühmten Mutter in eine tiefe Trauer stürzt und die doch nicht weinen kann. Und Matt, der seit seiner Rückkehr aus Sarajewo von Alpträumen und plötzlichen, schmerzhaften Erinnerungsflashs geplagt wird, die mit seiner Kindheit im Jugoslawienkrieg zu tun haben.
(Hörbeispiel)
Matt und Elsie müssen, jeder für sich und auf unterschiedliche Weise, von ihren Eltern Abschied nehmen. Mit einer Leere klarkommen, die in dem surrealen Krater in Elsies Straße ein poetisches Bild bekommt. Bei Elsie ist es die Leere nach dem Tod einer berühmten und viel beschäftigten Mutter, die sie schon als Kind oft vermisste. Die Leere, die sie empfindet in der allgegenwärtigen öffentlichen Trauer um die bekannte Autorin und in der sie keinen Raum findet für ihre eigene Trauer. Bei Matt ist es die Leere nach der vergeblichen Suche nach den leiblichen Eltern, die offiziell als vermisst gelten.
"Deine Mutter ist überall. Meine ist nirgendwo." (Hörbeispiel)
"Hafen" von Mishka Lavigne ist ein geschickt konstruiertes Drama, in dem zwei sehr unterschiedliche Menschen scheinbar zufällig aufeinandertreffen in wichtigen, schmerzhaften Momenten ihres Lebens. Momente, in denen es wichtig, ja notwendig ist, Freunde zu haben. Oder zu finden.
"Warte. Glaubst du, jeder hat einen Augenblick in seinem Leben, wo es ist, als hätte sich ein Loch aufgetan …" (Hörbeispiel)
Matt ist der Ingenieur, der gekommen ist, um das Loch in Elsies Straße zu reparieren. Und so geschieht es auch, in diesem raffiniert und gleichzeitig schlicht inszenierten Hörspiel. Mit harten Gegenschnitten, die die Geschichten und Gedanken der beiden Protagonisten geschickt miteinander verweben und mit sparsamen, aber deshalb umso effektvoller eingesetzten musikalischen Akzenten entsteht ein intimes Paralleldrama, das zu Recht ganz auf die großartige schauspielerische Leistung von Nico Holonics und Tanja Schleiff vertraut.
"Komm wieder morgen. Okay." (Hörbeispiel)

Zum Hörspiel:
Hörspiel über Verluste und Leerstellen im Leben - Hafen
(Deutschlandfunk Kultur, Hörspiel, 07.04.2019)

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