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EU-Kommission
Brok: Präsidentenwahl ein "epochaler Neuanfang"

Weil der Kommissionspräsident die Mehrheit des Parlamentes benötige, habe man durch dessen Wahl "diese Kommission aus ihrer Hinterzimmerpolitik herausholen" können, sagte im Deutschlandfunk Elmar Brok (CDU), Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten im Europaparlament. Er bedauerte allerdings, dass sich Großbritannien zunehmend isoliere.

Elmar Brok im Gespräch mit Reinhard Bieck | 28.06.2014
    Elmar Brok (CDU), Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments, spricht auf dem 25. Bundesparteitag der CDU in Hannover.
    Der Wahlkampf 2019 werde noch intensiver, prognostiziert EU-Parlamentarier Elmar Brok (CDU). (dpa picture alliance / Bernd Von Jutrczenka)
    Reinhard Bieck: David Cameron und Viktor Orban sind hart geblieben. Der britische und der ungarische Premier haben beim EU-Gipfel gegen Jean-Claude Juncker gestimmt, aber genützt hat es ihnen nichts. 26:2 – der Luxemburger ist als neuer EU-Kommissionspräsident nominiert.
    Klarer Verlierer: David Cameron. Der britische Premier hat sich verzockt. Und das wird ihm auf der Insel teilweise übel genommen.
    Elmar Brok ist seit 1980 Mitglied des Europaparlaments. Der CDU-Politiker leitet den Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten. Guten Abend!
    Elmar Brok: Guten Abend, Herr Bieck.
    Bieck: Cameron spricht von einem schlechten Tag für Europa. Sehen Sie das auch so?
    Brok: Nein, ich sehe es nicht so, denn erstmalig haben wir durch die Europawahl dafür gesorgt, dass der Bürger entscheidet, wer Chef der europäischen Exekutive, wer Kommissionspräsident wird, und ich finde, das ist ein geradezu epochaler Neuanfang, dass wir nämlich diese Kommission aus ihrer Hinterzimmerpolitik herausholen, aus ihrer Abgehobenheit und sie mehr dem Spruch des Wählers überantworten. Deswegen werden wir 2019 auch hier einen sehr viel intensiveren Wahlkampf haben. Wir bringen Europa zu den Bürgern, und das ist, glaube ich, entscheidend.
    Bieck: Als Parlamentarier müssen Sie Genugtuung verspüren. Nicht die Staats- und Regierungschefs kungeln den Kommissionspräsidenten aus, sondern die Wähler und das Parlament. Sie haben gerade schon 2019 angesprochen. Ist dieses Rad noch mal zurückzudrehen?
    Brok: Nein, denn dieses Rad entspricht ja dem Vertragstext, dass das Europäische Parlament jetzt den Kommissionspräsidenten wählt, und ich gehörte ja zu denjenigen, die bei der Fassung dieses Textes dabei waren und das auch beantragt haben, und zwar ausdrücklich mit dem schriftlich dokumentierten Ziel, Spitzenkandidaten einzusetzen und solche Wahlkämpfe durchzuführen, die 2019 sehr viel intensiver stattfinden werden. Ich glaube, das ist außerordentlich wichtig, und daraus folgt dann auch die Reformfähigkeit. Manches, was die Kommission vorschlägt, hat damit zu tun, dass sie nicht das Ohr an der Bevölkerung hat, und das, was Cameron vielleicht erzielen möchte in vielen Bereichen, erreichen wir dadurch, dass die Kommission sehr viel mehr gezwungen sein wird, die Sensibilitäten der Bevölkerung mit zu berücksichtigen.
    "Wer sich isoliert, hat keinen Einfluss"
    Bieck: Quergelegt haben sich wieder mal die Briten. Manchmal möchte man diesen Briten mit ihrem Dauernörgeln an der EU und ihren Sonderwünschen ja zurufen, dann seht doch, wo ihr bleibt, wer nicht will, der hat schon. Oder?
    Brok: Ich selbst habe mal ein Jahr in Großbritannien gelebt und ich habe selbst mal im Hauptquartier von Margaret Thatcher, die ich gut kannte, ein Büro gehabt, und ich möchte, dass Großbritannien drin bleibt. Es ist im deutschen Interesse, dass sie drin bleiben. Aber die britischen Politiker müssen endlich ihren Bürgern die Wahrheit sagen, dass dies ein politisches Projekt ist und dass wir ja wollen, dass wir weniger Bürokratie haben wollen, dass wir mehr Wettbewerbsfähigkeit haben wollen. Deswegen müssen sie sich auf diese Diskussion einlassen, sich nicht isolieren. Wenn etwa die Partei von Cameron in der Europäischen Volkspartei wäre, die er ja verlassen hat, weil er inzwischen zum Opfer seiner eigenen Euro-Skeptiker geworden ist, die ihn jagen, dann hätte er ja Einfluss darauf. Aber wer sich isoliert, hat keinen Einfluss. Man kann nicht klagen, es passt einem nicht, wenn man nicht selbst bei den Beratungen dabei ist, weil man den Gremien nicht angehört.
    Wir hatten gestern ein Treffen der Regierungschefs der Europäischen Volkspartei. Früher wäre er dabei gewesen, heute sitzt er nicht dabei. Heute sitzt er mit dem deutschen Gegner Kaschinski zusammen und ähnlichen Leuten, oder mit den Wahren Finnen und anderen, schon nahe am Populismus oder am Rechtsradikalismus liegenden Parteien in einer Gruppe. Das ist nicht das stolze Großbritannien, das Margaret Thatcher noch vor Augen hatte.
    Ukraine-Assoziierung unterzeichnet
    Bieck: Elmar Brok, Sie sind Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten. Da ist auf dem Gipfel ja auch was Wichtiges passiert: Das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine ist jetzt komplett unterzeichnet. Und Präsident Poroschenko hat angekündigt, dass der vor zwei Stunden ausgelaufene Waffenstillstand verlängert werden könnte. Es gibt leichte Zeichen von Entspannung in der Ukraine und in dieser Situation unterschreiben Brüssel und Kiew das Assoziierungsabkommen, das manche sogar für den Auslöser der ganzen Ukraine-Krise halten. Elmar Brok, Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten im EU-Parlament, ist das nicht wieder ein neuer Affront gegen die Russen?
    Brok: Nein. Diese Verhandlungen haben stattgefunden von 2007 bis 2012. Sie sind von dem pro-russischen Ministerpräsidenten Janukowytsch erfolgreich abgeschlossen worden, der anschließend nicht unterzeichnen wollte, weil der russische Druck so groß war und er die Reformen nicht durchführen wollte. Außerdem sind ja heute die Abkommen auch mit Georgien und Moldawien abgeschlossen worden.
    Putin in seiner neuen Amtszeit hat offensichtlich seine Strategie verändert, und wir können es nicht zulassen, dass Moskau entscheidet, was mit den Nachbarländern geschieht. Georgien, Ukraine und Moldawien müssen selbst entscheiden, in welche Richtung sie gehen, ob sie einen demokratischen Weg auch der Marktwirtschaft gehen oder ob sie den russischen Weg gehen. Und sie haben sich für diesen Weg entschieden, den Weg der Freiheit, und das müssen wir möglich machen.
    Im Gespräch mit Moskau
    Bieck: Aber noch mal nachgefragt, denn heute ist ja auch ein Ultimatum an Russland gestellt worden. Bis Montag müssten substanzielle Verhandlungen über Poroschenkos Friedensplan aufgenommen werden. Ist Härte denn wirklich das richtige Rezept?
    Brok: Ich glaube, wir haben einmal den Völkerrechtsbruch mit der Annexion der Krim gehabt und jetzt sind Russen tätig in der Ostukraine. Hier gibt es klare Zusagen, Gespräche und so weiter, dass Russen dort nicht tätig sein sollen, und deswegen ist es schon richtig, dass Moskau nicht das Recht haben darf, Waffen und Personal in die Ostukraine zu schicken, und deswegen muss klar sein, dass dieses Waffenstillstandsabkommen, was einseitig Poroschenko angeboten hat, mit dem ich gestern noch darüber gesprochen habe, auch akzeptiert wird, wenn Moskau den guten Willen hat. Sonst ist das eine weitere Annexion und deswegen müssen wir alles versuchen, mit Moskau hier das Gespräch zu führen, und deswegen finde ich es gut, dass das Waffenstillstandsabkommen, dass die einseitige Erklärung dazu verlängert wird, um hier Gesprächsfäden hinzubekommen, um hier noch eine friedliche Lösung zu finden.
    Bieck: Sie sind bestens informiert, Elmar Brok, denn die Eilmeldung, dass Poroschenko die Waffenruhe bis Montag verlängert hat, die hat uns gerade erst vor wenigen Minuten erreicht. – Der EU-Gipfel in Brüssel ist zu Ende. Über die Ergebnisse sprach ich mit Elmar Brok, CDU-Europaparlamentarier und Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten. Vielen Dank auch, weil Sie uns noch so spät zur Verfügung gestanden haben, zumal Sie gerade auf einer Geburtstagsparty sind.
    Brok: Ich bedanke mich sehr herzlich, Herr Bieck. Alles Gute.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.