Zwölf Töne – aber nur zehn Finger

19.02.2012
Schönberg pur: romantisch, impressionistisch, zwölftönig. Dem Klassiker der Wiener Schule ist im Goldenen Saal des Musikvereins ein ganzer Abend gewidmet. Peter Eötvös dirigiert das Radio-Symphonieorchester Wien, Hilary Hahn bricht eine Lanze für Schönbergs Violinkonzert.
Einen Wettbewerb zur Ermittlung des unbeliebtesten Violinkonzerts aller Zeiten würde jenes von Arnold Schönberg wahrscheinlich haushoch gewinnen. Schönberg vollendete es 1936 in schwerer Stunde als eines seiner ersten Werke im amerikanischen Exil und gab es Jascha Heifetz. Der galt damals als der technisch brillanteste Geiger, reichte aber Schönberg die Noten mit der Bemerkung zurück, für ein solches Werk müsse man schon Hände mit sechs Fingern haben. Ein paar Geiger erbarmten sich dann doch dieses Konzerts – aber, ehrlich gesagt: So manchem von ihnen hätte man wirklich einen zusätzlichen Finger (zumindest an der linken Hand) gewünscht, denn überzeugend wurde Schönbergs Opus 36 selten dargeboten.

Und dann kam sie. Jeder, der Hilary Hahn schon einmal auf der Bühne erleben durfte, wird bestätigen können, dass sie tatsächlich nur zwei Mal fünf Finger hat – und auch ansonsten nicht den Eindruck erweckt, ein Wunderkind, eine Teufelsgeigerin oder gar ein Fantasiegebilde zu sein. Nein, Hilary Hahn spielt das komplette Geigenrepertoire mit einer geradezu erschütternden technischen Sicherheit und einer apollinisch-erhabenen Musikalität, dass man oft erst in ihren Konzerten glaubt, etwas von der wahren Größe dieser Werke zu spüren.

Mit unbeirrbarem Ernst schreitet Hahn von einem musikhistorischen Meilenstein zum nächsten – doch ebenso zeigt die 32 Jahre alte deutschstämmige Amerikanerin, was in vermeintlich abseitigen Werken steckt. Zum Beispiel in Schönbergs Violinkonzert, dessen mit allen Schwierigkeiten gespickten zwölftönigen Solopart sie nicht nur im Plattenstudio aufgenommen hat, sondern auch (auswendig!) auf dem Podium spielt. Hahns Schönberg-Aufnahme überzeugte 2009 sogar die eher kommerziell orientierte Grammy-Jury.

Hilary Hahns Wiener Auftritt lädt nicht nur zum Wiederhören des Violinkonzertes von Arnold Schönberg ein, sondern zeigt die Geigerin auch im Dialog mit einem außergewöhnlichen Partner, der die Partituren ebenfalls aus sich heraus und für sich selbst sprechen lässt: Peter Eötvös, der ungarische Komponist und Dirigent, leitet das Wiener Radio-Symphonieorchester, das den Abend mit Schönbergs impressionistischen Orchesterstücken op. 16 (eines davon heißt "Farben") einläutet. Am Ende steht "Brahms’ 5. Sinfonie" auf dem Programm – das von Schönberg für Orchester bearbeitete 1. Klavierquartett von Johannes Brahms. Es ist jenes Stück, das Brahms 1862 in einem der wichtigsten Momente seiner Laufbahn aufführte: seinem ersten Konzert in Wien.


Musikverein Wien
Aufzeichnung vom 17.2.12


Arnold Schönberg
Fünf Orchesterstücke op. 16

Arnold Schönberg
Konzert für Violine und Orchester op. 36

ca. 20:55 Uhr Konzertpause mit Nachrichten

Johannes Brahms
Klavierquartett Nr. 1 g-Moll op. 25
(für großes Orchester gesetzt von Arnold Schönberg)


Hilary Hahn, Violine
ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Leitung: Peter Eötvös