"Zwischenspiele zur Tragödie des menschlichen Lebens"

Gast: Frank Schneider, Moderation: Michael Dasche · 10.02.2013
Brahms Sinfonie Nr. 4 in e-Moll op. 98 erschien 1885. Sie handelt von Abschiednehmen, Trauer und menschlicher Vergänglichkeit. Wir stellen Interpretationen dieses Werks von Klemperer, Gardiner, Furtwängler, Harnoncourt, Sanderling, Harding, Weingartner, Markevitch, Abbado, Mackarras und Carlos Kleiber vor.
"Die Tragödie, zu welcher diese vier Zwischenspiele gehören, ist das menschliche Leben, vom Gesichtspunkte des rückschauenden Sehers aus betrachtet, wie es sich im Rahmen einer mehrtausendjährigen Historie auf dem klassischen Boden der alten Welt abspielt."

Diese Deutung gab Max Kahlbeck der vierten Sinfonie von Johannes Brahms. Plausibel wird die Interpretation des Brahms-Freundes und ersten Biografen dadurch, dass der Komponist während der Arbeit an seiner "Vierten" immer wieder die Tragödien des Sophokles gelesen habe. Brahms selbst kommentierte solche Vermutungen nicht und kündigte sein Werk in gewohnt zurückhaltender, ironisch-distanzierter Art an: als "ein paar Entr'actes ... , was man so zusammen gewöhnlich eine Symphonie nennt" oder schlicht als "eine neue traurige Symphonie".

Tatsächlich handelt es sich um ein Werk, für dessen Verlauf an vielen markanten Punkten Topoi der Trauer, des Abschiednehmens charakteristisch sind. Insbesondere der letzte Satz verrät den gedanklichen Untergrund der Sinfonie als eine Auseinandersetzung mit dem Thema der menschlichen Vergänglichkeit. Denn Todeserwartung und Lebensbilanz sind Inhalt der Kantate "Nach dir, Herr, verlanget mich" von Bach, auf deren Schluss-Chorus Brahms bei der Formung des finalen Variationssatzes seiner Sinfonie zurückgriff.

Gleichwohl überwiegt in der "Vierten" eine Grundhaltung, wie sie sich in der Sentenz Picanders (des Textdichters der zitierten Bach-Kantate) äußert: "Mein Gott, ich hoffe auf dich, laß mich nicht zu Schanden werden, dass sich meine Feinde nicht freuen über mich." Die Polarität zwischen demütiger Kontemplation und kämpferischer Aktivität bestimmt auf je eigene Weise die Interpretationen, die im Gespräch mit Frank Schneider kommentiert werden: Aufnahmen von Klemperer, Gardiner, Furtwängler, Harnoncourt, Sanderling, Harding, Weingartner, Markevitch, Abbado, Mackarras und Carlos Kleiber.