Zwischen Weihwasser und Staudamm

Von Andreas Boueke · 18.05.2013
In Guatemala leben Nachfahren der Maya, doch während der Kolonialisierung wurde die indigene Kultur beinahe völlig unterdrückt. Nun gelangt sie zu neuer Bedeutung - in einem spannungsgeladenen und konfliktreichen Umfeld. Aktuelles Beispiel dafür ist das Bauprojekt eines italienischen Wasserkonzerns.
In der Nähe des Städtchens Comalapa, im Hochland von Guatemala, sind zwei junge Frauen aus dem Mayavolk der Kaqchikel unterwegs auf einem schmalen Pfad. Noch ist der Boden so trocken, dass jeder Schritt Staub aufwirbelt. Doch in wenigen Tagen kommt der Regen. Dann wird der Staub zu Schlamm und die Äcker werden fruchtbar.

"Hay rocas hay mucho polvo ... "Es gibt hier Felsen und viel Staub. Überall fließt Wasser. Leute bearbeiten die Mutter Erde. Jetzt gerade kreuzen wir einen Bach mit sauberem Wasser. Wir sehen gelbe Blumen und Heil-Pflanzen. Exkremente von Tieren." ... excrementos de animales."

Nach einer Stunde Fußmarsch erreichen Enma und ihre Freundin Rosario eine Lichtung. Über hundert Personen haben sich versammelt. Sie sind aus den Dörfern und Weilern der Umgebung gekommen, um der Natur für das Wasser zu danken. Enma fühlt sich wohl in dieser Gemeinschaft:

"Dies ist eine Art Danksagung an die Mutter Erde. Dort drüben sitzt ein Tata, ein spiritueller Führer. Er schenkt der Erde ein paar farbige Kerzen und Gewürze mit schönem Duft. Wir verstehen unsere natürliche Umwelt als Teil unseres Lebens. Dies ist die Entwicklung, die wir wollen. Sie ist anders als die Entwicklung, die uns die Regierung vorschreiben will. Wir haben unsere eigenen Bräuche, bei denen die ganze Gemeinde einbezogen wird. Die Kinder sollen durch den Wald rennen können, Spaß haben. Aber für diese Dinge interessieren sich viele Leute nicht. Sie haben eine völlig andere Vorstellung von Entwicklung. Ihnen geht es vor allem darum, ein neues Auto zu kaufen, um Konsum."

Einige Kilometer entfernt im Stadtzentrum von Comalapa. Auch hier glauben viele Mayas an die Bedeutung der alten Riten und Traditionen ihrer vorkolonialen Ahnen. Trotzdem besuchen sie die Gottesdienste in der katholischen Kirche San Juan Bautista.

"Ich habe kein Problem damit, in diese Kirche zu kommen. Ich respektiere den katholischen Glauben. Aber man kann mich nicht dazu zwingen, diese Religion zu übernehmen. Ich würde die Katholiken ja auch nicht zwingen, an den Zeremonien der Mayas teilzunehmen. Ich kann sie respektieren, sie sollen aber auch mich respektieren."

Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte hat die katholische Kirche Guatemalas einen Prozess der selbstkritischen Reflexion durchlaufen: Katholiken haben über die Haltung ihrer Kirche während der spanischen Eroberung im 16. Jahrhundert gesprochen. Damals haben die Kolonisatoren mit dem Segen der Kirche ganze Völker ausgerottet. Insbesondere seit den 500-Jahr-Feiern der Entdeckung Amerikas 1992 bemüht sich die katholische Amtskirche in Guatemala um gute Beziehungen zu den spirituellen Führern der Mayas.

Die schweren Holzbänke des kolonialen Kirchenbaus der Gemeinde San Juan Bautista sind bei fast jeder Messe vollbesetzt mit Menschen in bunten, traditionellen Trachten. Einer der jungen Priester ist Rigoberto Upún.

"Die Katholiken haben uns das Evangelium von Jesus Christus gebracht. Aber das Evangelium muss sich an die Kultur vor Ort anpassen. Wir dürfen nicht hergehen und sagen, die römische Kultur, die Kultur der Eroberer, muss sich überall durchsetzen. So ist es fünfhundert Jahre lang erfolglos versucht worden."

Rigoberto Upún stammt selber aus dem Volk der Maya-Kaquchikél. Mit den Traditionen seiner Vorfahren kann er sich besser identifizieren als mit den strikten, oft lebensfremden Regeln aus Rom. Er predigt in der Kirche, arbeitet aber auch auf dem Acker seiner Familie. Vor der Aussaat führt er alte Rituale mit Feuer und Alkohol durch, in denen er um die Fruchtbarkeit von Mutter Erde bittet. Er sieht keinen Widerspruch darin, dass er sich sowohl als katholischer Priester bezeichnet als auch als Aktivist der Mayakultur.

"Das ist in unserem Blut. Wir glauben an einen Christus, der unser Volk respektiert. Das Evangelium ist zu einem Teil unserer Kultur geworden. Anfangs hat die spanische Kirche der Urbevölkerung Mittelamerikas ihren Glauben aufgezwungen. Dagegen haben die Mayas fünfhundert Jahre lang Widerstand geleistet. Heute erleben wir ein Wiedererwachen der Mayaspiritualität."

Durch die Stärkung ihrer kulturellen Identität finden viele Mayas die Kraft, sich gegen wirtschaftliche Großprojekte aufzulehnen, die in ihre Territorien eindringen wollen - zum Beispiel Wasserkraftwerke.

Mitten im Urwald graben große, gelbe Schaufelbagger eine Straße. Wo noch vor kurzem Bäume standen, brennt heute die Sonne auf schattenlose Abhänge. Der siebzehnjährige Juan Toma blickt auf eine zerfurchte Landschaft.

"Ahora estamos viendo la maquina grandotón, es como le dicen el que hace la carretera. Es muy grande la maquina que haciendo la carretera."
Der junge Mann beschreibt die riesigen Maschinen, die den Wald zerstören. Parallel zu der Straße verläuft ein breiter Wasserkanal aus Zement. Das moderne Bauwerk des italienischen Energiekonzerns ENEL schlängelt sich entlang der Berghänge über viele Kilometer bis zu einem Auffangbecken, wo das Wasser schon bald die Turbinen eines Kraftwerks antreiben soll.

"Mein Land liegt in der Nähe des neuen Wasserlaufs. Was wird passieren, wenn der Druck des Wassers alles kaputt macht? Wo soll ich dann meine Produkte anbauen? Wenn es soweit kommt, bin ich wieder arm. Was soll ich dann essen?"

Die Presseabteilung von ENEL hat auf über ein Dutzend Interview-Anfragen meist freundlich reagiert, aber ein Gesprächstermin ist nie zustande gekommen.

"Vino aqui el que esta asesorando..."

Auch Vitalino Similox aus dem Mayavolk der Kaqchikel und Pastor der presbyterianischen Kirche in Guatemala hat Erfahrungen mit der Öffentlichkeitsarbeit des Konzerns gemacht:

"Ein Mann ist zu mir gekommen und hat mich um Rat gebeten. Er hat gesagt: 'Ich kannte früher schon Menschen aus der Urbevölkerung. Ich hatte diese Vorstellung, dass es einfache Leute sind, ohne Schulbildung. Doch jetzt sitzen mir Maya gegenüber, die Akademiker sind, die Geld haben. Das ist eine radikal andere Situation. Deshalb bin ich zu ihnen gekommen. Können Sie mir helfen zu verstehen, was das bedeutet?'"

Für Vitalino Similox ist es ein Ausdruck von Rassismus, dass die legitimen Forderungen der indigenen Bevölkerung nicht ernsthaft diskutiert werden.

"Hierzulande ist der Rassismus nahezu legal. Er ist institutionalisiert und internalisiert. Alle Leute, die sich nicht als Angehörige der Kultur der Mayas verstehen, halten sich für etwas Besseres und schämen sich für ihre indigenen Vorfahren. Sie sagen, die Mayakultur sei rückständig und gottlos."

Bald wird das Wasserkraftwerk große Mengen Elektrizität produzieren und in das nationale Stromnetz einspeisen. Der Priester Rigoberto Upún weiß, dass nichts von diesem Strom in den umliegenden Mayagemeinden ankommen wird.

"Es schmerzt uns sehr. Wir werden benutzt, unser Land wird ausgebeutet und die Politik erlaubt, dass diejenigen, die davon profitieren, nichts in die Entwicklung unseres Volkes investieren."
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