Zwischen Voodoo, Erdbeereis und Folter

14.01.2010
Georges Anglade gilt als eine der wichtigsten literarischen Stimmen Haitis. Vor dem letzten Staatsputsch war er Minister, danach wurde er als politischer Häftling gefoltert. Heute lebt im Exil. "Das Lachen Haitis" ist eine Auswahl aus vier Erzählbänden, die er in Kanada veröffentlicht hat.
Literaturkenner wissen, dass die Karibik eine literarische Schatztruhe ist: In den letzten 17 Jahren ging der Literaturnobelpreis zwei Mal in die Karibik, an Derek Walcott und an V.S. Naipaul. Dass die Karibik ein politisch bizarrer Flickenteppich ist, wissen zumindest jene, die schon einmal Urlaub in der Dominikanischen Republik gemacht haben; der westliche Teil der Insel Hispaniola, Haiti, liegt unerreichbar hinter Stacheldraht. Haiti ist nicht nur das ärmste Land der westlichen Welt sondern auch das mit der höchsten Kriminalität, weswegen in Haiti so viele UNO-Soldaten stationiert sind wie Truppen in Afghanistan. Haitianische Schriftsteller schreiben dagegen an, wie zum Beispiel Louis-Phillipe Dalembert und besonders Edouard Glissant.

Eine der wichtigsten literarischen und politischen Stimmen Haitis ist sicherlich Georges Anglade. Der 1944 in Haiti geborene Professor für anthropologische Sozialgeografie lebt heute in Kanada. Er gilt als einer der wichtigsten Exil-Politiker Haitis, vor dem letzten Staatsputsch war er Minister, danach wurde er zum politischen Häftling, der auch gefoltert wurde. Anglade hat 1999 zu schreiben begonnen. 2007 erschien eine Novelle von ihm auf Deutsch mit dem Titel "Wenn Haiti den USA den Krieg erklärt?"; jetzt stellt der litraduct Verlag ein neues Buch von Anglade vor: "Das Lachen Haitis - Neunzig Miniaturen", eine Auswahl aus vier Erzählbänden, die Anglade in den letzten zehn Jahren in Kanada veröffentlicht hat.

Schwarzer Galgenhumor und eine apokalyptische Realität prägen die 90 Kurzgeschichten. Da erzählt Anglade zum Beispiel, dass man in Haiti Kinder nicht mit dem schwarzen Mann drohe, sondern ganz konkret mit der haitianischen Mörder-Mafia oder mit den behaarten Mörderkrabben, die so ausgehungert sind, dass sie sogar Leichen ausgraben oder Säuglinge anknabbern. Und obwohl es in Haiti 22 Krabbenarten gibt und viele Menschen vor dem Verhungern stehen, - niemand wird je einen Haitianer Krabben essen sehen.

Die Clous der Storys versetzen den Leser regelmäßig in Schockstarre, Anglades Stil hingegen ist stets strahlend und von Lebensfreude und Witz geprägt, elegant und sinnlich, -"eine Landschaft, schön wie am Morgen der Schöpfung, abgeschlossen wie in einem Heiligtum". Anglade erzählt in einem verzaubernden Plauderton, der typisch ist für die Literatur Haitis, "lodyan" genannt. Technisch folgen aber auch die "lodyans" dem Schema der klassischen Kurzgeschichte: Idylle, Exposition, Eskalation und Clou, wie zum Beispiel in der Geschichte "Der Comicstrip". Das Setting beginnt in der Beschaulichkeit einer Abiturklasse; der Protagonist liebt Comics, Asterix und Obelix, Timm und Struppi, aber das letzte Bild löst wiederum Verstörung aus: "ein Comicstrip auf der Netzhaut eines zu Tode Gefolterten."

Keine der 90 Geschichten zeigt auch nur einen Moment literarische Schwächen, im Gegenteil, eine ist besser als die andere. Anglades Sprache gleitet, mal poetisch und märchenhaft, dann wieder modern und eigenwillig expressionistisch: "Empörungsstoff", "Diktaturgrammatik", oder "Knast erfahren wie einen Auto Crash". Anglades Stil ist voller Licht und Charme, und er zeigt sich als Meister der Beschreibung und genauster Beobachtung. "Das Lachen Haitis" zu lesen, rührt an die tiefsten Gründe und Abgründe des Menschlichen und Allzumenschlichen. Anglade ist ein wirklich großer Schriftsteller und seine Geschichten sind traurig, aber wunderschön.

Besprochen von Lutz Bunk

Georges Anglade: Das Lachen Haitis - Neunzig Miniaturen
Aus dem Französischen übersetzt von Peter Trier
litraduct Verlag, Kehl 2008
311 Seiten, 24,80 Euro