Zwischen den Kontinenten

05.07.2010
Die 43-jährige Marie NDiaye gilt als Wunderkind der französischen Gegenwartsliteratur. Ihr jüngster Roman, angesiedelt zwischen Europa und Afrika, schildert die Schicksale dreier Frauen und ihr Verhältnis zu den Menschen, die ihnen am nächsten stehen.
Auf der ersten Seite des Romans tritt die 38-jährige Norah ihrem Vater entgegen, der sie auf der Schwelle seines Hauses erwartet. Die Spannung ist spürbar, die Schwüle der Luft ebenfalls, aber wir erfahren erst viele Seiten später, auf denen Marie NDiaye diese schwierige Begegnung eindrücklich und detailliert schildert, dass Norah keineswegs in ihr Elternhaus zurückkehrt, sondern nur wenige Male zuvor bei ihrem Vater zu Gast war. Geradezu detektivisch genau muss man die komplexen Sätze lesen, um zu erfahren, dass die Handlung im Senegal spielt. Wie die Autorin selbst ist Norah Tochter einer französischen Mutter, gänzlich französisch sozialisiert, nachdem der Vater sowohl Europa als auch seine Familie verlassen hat.

Doch ist dies erstaunlicherweise der erste Roman NDiayes, der zwischen Afrika und Europa angesiedelt ist, und zumindest in diesem ersten von drei Frauenschicksalen zwischen den Kontinenten, die sie schildert, steht die kulturelle Differenz eher im Hintergrund. Zu mächtig ist diese Vaterfigur, Inbild eines im Verfall begriffenen Despoten, der fast alles verloren hat, zu tragisch der Anlass, aus dem er seine Tochter, die sich weder akzeptiert geschweige denn je geliebt fühlen konnte, hat kommen lassen, zu stark der Konflikt zwischen Vater und Tochter.

Ganz zweifellos liegt hierin eine der besonderen Stärken dieses Buches: Eben nicht die Frage der regionalen oder kulturellen Zugehörigkeit und schon gar nicht die einer etwaigen Rasse bilden hier den Mittelpunkt, sondern das Verhältnis zu den Menschen, die uns am nächsten stehen: Eltern, Geschwister, Partner, Kinder, als ob alles andere nebensächlich sei. Man kann hierin einen Ausdruck einer persönlichen Erfahrung der Autorin sehen, die ihre eigene Metissage als "verstümmelt" bezeichnet, vor allem aber geht es in diesem Buch um Individualität, um subjektive Wahrnehmung und eigene Stärke, so widrig die äußeren Verhältnisse auch sein mögen.

Stark sind in diesem Buch, wie schon der Titel sagt, drei Frauen; drei Frauen, die beinahe nichts verbindet, drei Frauen irgendwo zwischen Afrika und Europa, zwischen dem nicht genannten Senegal und Frankreich. Wie so oft ist die Gattungsbezeichnung "Roman" hier irreführend, denn letztlich handelt es sich um drei Erzählungen, die formal voneinander abgegrenzt sind und eigentlich einander nicht bedürfen. Doch neben den fast belanglosen inhaltlichen Fäden, die sie verbinden, ist es zum einen der Stil der Autorin der ihnen eine Einheit verleiht. In einer Mischung aus genauer Schilderung von Äußerlichkeiten und psychologischer Introspektion der Figuren gelingt ihr eine ungewöhnliche Eindringlichkeit, die durch die Länge ihrer Sätze und das mitunter entlegene Vokabular, die zur langsamen Lektüre zwingen, verstärkt wird. Die Übersetzerin war damit vor eine große Aufgabe gestellt, die sie durchaus gemeistert hat, nur die Eleganz des Originals konnte sie dabei nicht gänzlich ins Deutsche übertragen.

Dessen ungeachtet vermittelt sich die existentielle Dimension dieser Schicksale, die das wohl stärkste Bindeglied zwischen den drei Teilen des Buches darstellt, auch dem deutschen Publikum geradezu emphatisch.

Marie NDiaye: Drei starke Frauen
Aus dem Französischen von Claudia Kalscheuer
Suhrkamp, Berlin 2010
342 Seiten, 22,90 Euro

Besprochen von Carolin Fischer


Links bei Dradio.de:

Kritik: "Mein Herz in der Enge", 2008

Kritik: "Alle meine Freunde", 2006

Kritik: "Rosie Carpe", 2005
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