Zwischen Bagdad und Exil

20.01.2009
"Der falsche Inder" von Abbas Khider ist Roman, Märchen, Erzählung aus 1001 Nacht, Kurzgeschichte und Autobiografie zugleich. Der Autor, der selbst Ende der 90er-Jahre aus dem Irak fliehen musste, erzählt in acht Kapiteln von den Schrecken eines Flüchtlingslebens, von unsicherer Herkunft und erschütterter Identität.
Der falsche Inder meinte einmal zu wissen, dass er kein Inder, sondern ein Iraker ist. Seit er aber als Flüchtling in Deutschland lebt, weiß er nicht mehr, ob er "Zigeuner, Iraker, Inder oder gar ein Außerirdischer" ist.

"Ich weiß nur, ich bin ‚von vielen Sonnen der Erde gebrannt und gesalzen‘, wie meine bayerische Geliebte Sara immer behauptet, und ich glaube ihr."

Abbas Khider erzählt in seinem auf Deutsch verfassten Debüt "Der falsche Inder" von unsicherer Herkunft und erschütterter Identität. Er tut es so raffiniert einfach, dass man den Autor des "falschen Inders" einen falschen Fuffziger nennen muss - einen in der Welt der Literatur also ausgesprochen vertrauenswürdigen Charakter.

"Der falsche Inder" ist Roman, Märchen, Erzählung aus 1001 Nacht, Kurzgeschichte und Autobiografie in einem. Eine Rahmenhandlung hält alles zusammen: Khiders Erzähler Rasul Hamid findet zu Beginn im ICE ein herrenloses, auf Arabisch verfasstes Manuskript, dessen acht Kapitel die Lebensgeschichte eines gewissen Rasul Hamid variieren: Kindheit und Jugend in Bagdad, oppositionelle Tätigkeiten, Verhaftung, Gefängnis, Todesgefahren auf der Flucht durch Lybien, Jordanien, Tunesien, die Türkei, Griechenland und Italien, Ankunft in Deutschland.

Rasul liest staunend die Erzählung seines eigenen Lebens, zudem genauso erzählt, wie er es selbst getan hätte. Am Ende schickt er das Manuskript an einen Verlag. Khider verknüpft leichthändig wie ein Möbiusband, Literatur und Leben miteinander.

In den acht Kapiteln des Manuskripts steht dem Ich-Erzähler beinahe immer das Wasser bis zum Hals. Jedes Kapitel kreist um zentrale Aspekte der Identität: um Herkunft, Erinnerung, Begehren, Sprache und Schrift, Glauben, Selbstverlust und Größenwahn, Totengedenken. Diese gewaltigen Themen bettet Khider stets in den Lebensweg zwischen Bagdad und Exil ein.

Das Kapitel "Schreiben und Verlieren" handelt von der Lust am Schreiben, einer im Irak gefährlichen Tätigkeit, die den Erzähler Geheimschriften erfinden und leider auch wieder vergessen ließ. In Deutschland verliert er dann nicht zum ersten Mal seine Gedichte, doch nun rettet ihn der Computer.

Khider schlägt stets einen frischen, naiven Ton an. Von Elend und Todesangst auf der jahrelangen Flucht spricht er nur in Andeutungen und nicht, ohne das Tragische mit dem Grotesken zu kreuzen. Manche Scherze klingen allerdings etwas mühsam, und der stets gleich bleibende Stehaufmännchen-Ton muss einem schon gefallen.

Aber der Wunsch nach einem Wechsel von Tonfall und Sprache geht am Buch vorbei: Khider schickt einen Simplicissimus durch die Welt, der den Kopf unverdrossen oben hält, ob er nun von einem Polizisten verprügelt oder von der Hure Miriam aus einer aussichtslosen Lage gerettet wird. Der naive Narr hält der missratenen Welt durch seine bloße Existenz einen Spiegel vor.

Seit der deutschen Romantik sind Narr und Künstler Verwandte. Abbas Khider - 1973 in Bagdad geboren, 1996 aus politischen Gründen zu zwei Jahren Haft verurteilt, nach der Entlassung durch verschiedene Länder geflohen und seit 2000 in Deutschland lebend - schreibt sich mit morgenländischer Fantasie hinein in diese Tradition.

"Der falsche Inder" ist auch ein Künstlerroman. Dass das auf Arabisch verfasste Manuskript, das achtmal die Schrecken eines Flüchtlingslebens zu fassen versucht, dem deutsch schreibenden Erzähler zugleich vertraut und fremd erscheint, beweist eindrucksvoll Abbas Khiders‘ Formbewusstsein. Aus dem falschen Inder wird eben kein richtiger Was-auch-immer mehr.

Rezensiert von Jörg Plath

Abbas Khider, Der falsche Inder
Edition Nautilus, Hamburg 2008
156 Seiten, 16 Euro