Zwischen allen Fronten

Von Antje Diekhans · 14.06.2012
Im Kongo marodieren noch immer bewaffnete Gruppen durchs Land. Mütter, die nach Ruanda fliehen konnten, erzählen von ihrer Angst um Kinder, die verschleppt und zu Kindersoldaten gemacht werden.
Erdkundeunterricht in einer Schule im Osten Kongos. Die gut 40 Jungen und Mädchen nehmen das Sonnensystem und seine Planeten durch.

Für Rukundo war es bisher kaum von Bedeutung, ob sich die Erde um die Sonne dreht oder umgekehrt. Der 16-Jährige hat lange Zeit keine Schule besucht – dafür lernte er, mit einer Panzerfaust umzugehen und eine Kalaschnikow ruckzuck auseinanderzunehmen und wieder zusammenzusetzen:

"Ich war neun Jahre alt, als ich zusammen mit anderen Kindern von einer Miliz entführt wurde, erzählt er. Sie haben uns Kleidung und Essen gegeben und uns gut behandelt. Zuerst mussten wir auch nicht schießen."

Später wurde er dann an der Waffe ausgebildet und musste kämpfen. Nach einigen Monaten gelang ihm zwar die Flucht, aber Rukundo kam vom Regen in die Traufe: Er fiel der nächsten Miliz in die Hände. Sechs Jahre lang kämpfte er auf deren Seite, erlebte, wie Kinder und Jugendliche eigene Freunde erschießen mussten, nur weil die müde oder schwach waren:

"Ich weiß nicht, wie viele Menschen ich getötet habe. Wir haben gekämpft und wir haben geschossen und meine Vorgesetzten waren sehr zufrieden mit mir."

Im Kongo gibt es tausende Kindersoldaten wie Rukundo. Milizen kämpfen hier um Zugang zu den wertvollen Rohstoffen des Landes und terrorisieren die Bevölkerung. Kinder werden verschleppt, zum Töten gezwungen und oft auch missbraucht. Mädchen werden mit Kämpfern zwangsverheiratet und als Sexsklavinnen gehalten.

Die Hilfsorganisation Caritas setzt sich in Goma im Osten des Landes für die Kinder ein. Sie wirbt die Jungen und Mädchen von den Milizen ab – nach meist zähen Verhandlungen. Auch Rukundos Kommandeur wurde von den Caritas-Mitarbeitern lange bearbeitet:

"Er hat mich gemocht und schließlich gesagt, ich wäre ja noch ein Kind und solle erstmal in die Schule gehen. Danach könne ich zurückkommen und eine gute Position in seinem Bataillon einnehmen."

Die Kinder in den Caritas-Zentren werden medizinisch und psychologisch betreut. Zwischen den Ehemaligen der verschiedenen Milizen gibt es kaum Spannungen, sagt ein Mitarbeiter. Aber die Wiedereingliederung sei trotzdem schwierig:

"Das größte Problem ist, dass sich die Jungen als Soldaten verstehen und auf die anderen Kinder verächtlich als Zivilisten herabsehen. Wir versuchen, sie davon zu überzeugen, dass sie alle miteinander klar kommen müssen."

Bei fast 1000 Kindern ist es inzwischen gelungen, sie wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Die Caritas sucht die Familien und überzeugt sie, die ehemaligen Soldaten wieder aufzunehmen. Auch dafür sind oft lange Gespräche notwendig – viele Eltern haben Angst vor ihren Kindern, die so lange gekämpft und getötet haben. Doch vielleicht wird auch Rukundo eines Tages in sein Dorf zurückkehren. Seine Pläne für die Zukunft haben sich nach einem halben Jahr im Zentrum jedenfalls schon sehr geändert:

"Wenn ich mit der Schule fertig bin, dann will ich Priester werden."
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