Zwillingsforschung

Genveränderung im Weltraum

Der NASA-Astronaut Scott Kelly und sein Zwillingsbruder Mark in Houston, Texas (USA), März 2016.
Der NASA-Astronaut Scott Kelly und sein Zwillingsbruder Mark in Houston, Texas (USA), März 2016. © imago stock&people
Hanns-Christian Gunga im Gespräch mit Nicole Dittmer und Julius Stucke · 20.03.2018
Als Scott Kelly 2016 für die NASA ins Weltall flog, waren er und sein Zwillingsbruder genetisch identisch. Heute sind sieben Prozent ihrer Genaktivitäten verschieden. Ein Grund dafür könnte die kosmische Strahlung sein, vermutet Weltraummediziner Hanns-Christian Gunga.
Scott und Mark Kelly waren ideale Versuchskaninchen für eine NASA-Studie im Weltall. Die beiden Männer sind eineiige Zwillinge und haben die gleiche DNA. Und: Scott Kelly ist NASA-Astronaut – das verschaffte den Wissenschaftlern die seltene Gelegenheit, die Veränderungen durch Umwelteinflüsse in Scotts Genen direkt mit den Veränderungen in Marks Genen über den gleichen Zeitraum miteinander zu vergleichen.
Tatsächlich gab es Veränderungen, die von Scott Kelly Aufenthalt im All herrührten und nach seiner Rückkehr, 2016, untersucht wurden. Durch die Schwerelosigkeit schwinden Knochen- und Muskelmasse und die Blutgefäße vergrößern sich. Auch das Immunsystem wird schwächer, außerdem ist die Körpertemperatur von Astronauten erhöht. Sie sehen schlechter, und auch das Hirn scheint sich zu verändern, die Zentralfurche und verschiedene hirnwasserleitende Gefäße verengen sich.

Genetische Veränderungen nach Weltraumaufenthalt

Die meisten dieser Veränderungen Kellys hätten sich binnen kurzer Zeit wieder zurückgebildet, schreibt die NASA. Einzige Ausnahme: Die sogenannte Genexpression – wie die unterschiedlichen Informationen eines Gens zum Ausdruck kommen - änderten sich um sieben Prozent. Heißt: Etwa sieben Prozent von Kellys Genen sind nun anders als damals, bevor er in den Weltraum startete. Das heißt auch, dass Scott sich nun von seinem eineiigen Zwilling unterscheidet – wenn auch nur im Genlabor nachweisbar.
Was lernen wir daraus? Wichtige Faktoren, die die Veränderungen bei den Genaktivitäten beeinflussen könnten, seien zum Beispiel die kosmische Strahlung, der Stress und der komplett andere Tag-Nacht-Rhythmus im All, sagt der Mediziner Hanns-Christian Gunga. Er leitet an der Berliner Charité das Zentrum für Weltraummedizin. Neben dem All erforscht Gunga auch unter Wasser, auf Bergen oder in der Antarktis, wie sich extreme Umwelten auf Menschen auswirken.
"Wenn man zum Beispiel einem Hitzestress unterliegt, dann werden spezielle Gene, die besonders das Genom vor Hitze schützen, aktiviert."
Es handle sich dabei um die sogenannten "Heat Shock-Proteine".

Vom hitzeresistenten Feuerwehrmann noch weit entfernt

Es erscheint einleuchtend, dass ein Astronaut, der über einen längeren Zeitraum fast permanent dem Hitzestress ausgesetzt ist, dann möglicherweise bei der Rückkehr veränderte Aktivitäten dieser Gene aufweist.
Ein Phänomen, das Laien etwas unheimlich erscheinen mag. Gunga meint: Es wundere ihn, "dass die Philosophen dieses Thema noch nicht aufgegriffen haben. Denn dieses naturwissenschaftliche Thema lechzt geradezu danach."
Gunga hält es allerdings für etwas verfrüht, ausgehend von Studien wie jener der NASA von gezielten Genveränderungen zu träumen, die es Menschen ermöglichen würden, extreme Kälte und Hitze vollkommen unbeschadet zu überstehen.
"Das stellt man sich natürlich so mechanistisch vor – dass man, zum Beispiel, bei Feuerwehrleuten von vorn herein so einen Hitzeschutzprotein-Satz – wie einen Cocktail – aktiviere, damit die durchs Feuer gehen können. Ich glaube, davon sind wir noch ein bisschen entfernt."
(mkn)
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