Zwiesprache mit einer Kunstfigur

24.04.2013
Nach "Meßmers Gedanken" und "Meßmers Reisen" tritt Martin Walser in diesem Buch ein weiteres Mal in den Dialog mit seinem literarischen Alter Ego. Das Ergebnis sind Aphorismen, die vom Widersprechen leben - und stets einen philosophischen Kern umkreisen.
Zwischen Meßmer und Walser herrscht eine ähnliche Vertrautheit wie zwischen Keuner und Brecht. Man kennt sich seit Jahren und spricht dennoch gelegentlich mit einigem Unverständnis über den jeweils Anderen. Nicht alles, was Meßmer tut, gefällt Walser. Da es sich aber um eine autonome Figur handelt, kann Walser froh sein, dass er ihn sich erfunden hat, denn mit Meßmer hat er sich einen kongenialen Dialogpartner geschaffen. Walsers Zwiesprache mit Meßmer begann 1985. "Meßmers Gedanken" heißt der Band, in dem Walser die Figur mit diesem Namen einführt. Ihre Existenz verdankt sie einem Widerspruch: "Aus mir spreche nicht ich, sondern der Widerspruch." Ausgehend von der Figur hat Walser die den Texten gemäße Form gefunden – sie leben vom Widersprechen.

Diese Aphorismen, oft sind sie nur ein oder zwei Zeilen lang, sind komprimierte Gedanken. Kein Wort ist in diesen Denkbildern zu viel: Der Dialektiker geht der Welt in knappster Form auf den Grund und öffnet dem Leser Einblicke in eine komplexe Wirklichkeit. Erneut nahm Walser den Dialog mit seinem Alter Ego in "Meßmers Reisen" (2003) auf. Der Andere ist vertrauter geworden, aber ein Fremder geblieben. Er ist eine rätselhafte Figur, darin der Person des Autors verwandt: "Vor meinem Gesicht hängt ein Gesicht, schwerer als meins."

"Meßmers Gedanken" und "Meßmers Reisen" sind im Suhrkamp Verlag erschienen. Inzwischen ist Walser Autor des Rowohlt Verlages, der "Meßmers Momente" nun auch in einem veränderten Layout präsentiert. Dadurch wird der Eindruck erweckt, es würde sich bei Meßmers Sinnsprüchen um Gedichtstrophen handeln – ein Eindruck, den der Zeilenbruch nahelegt. Doch nicht immer sind Meßmers Momente, wie etwa die in dem Dreizeiler, "Am liebsten bliebe ich in meinem Zimmer, für immer. / Und treibe mich im Trüben hin, bis ich fiele / und liegen bliebe, stumm und ohne Sinn", Poesie.

"Ich will immer weniger"
Meßmer ist der geblieben, der er war. Aber er würde wie Herr K. erbleichen, ließe man sich zu der Bemerkung hinreißen: Sie haben sich gar nicht verändert! Er hat sich verändert. Der Skeptiker von einst, der oft mit Furor wie Don Quichote gegen die schäbige Wirklichkeit zu Felde zog, ist hoffnungsloser geworden und scheint sich auf dem Rückzug zu befinden ("Ich will immer weniger."). Die eigenen vier Wände erweisen sich nun als der ihm gemäße Denkraum: "Ich bin eine Wohnung, aus der ich ausgezogen war." Oder: "Die leeren Wände reden mit vollem Mund."

Meßmer tritt immer wieder anders in Erscheinung und bleibt doch der Eine. Aus Walsers Werk ist dieser Melancholiker nicht mehr wegzudenken. In seinen "Momenten" beschwört er den Augenblick. Diese sprachlichen Kompositionen umkreisen stets einen philosophischen Kern. Schnell wird man mit ihnen nicht fertig. Man muss ihnen Zeit gewähren, damit sie ihr Kraftpotenzial entfalten können. Nichts wäre verkehrter, als durch dieses Buch zu hetzen. Die Leerzeilen, die zwischen den einzelnen Texten gelassen wurden, sind als Einladungen zu verstehen, die Leere mit eigenen Überlegungen auszufüllen.

Besprochen von Michael Opitz

Martin Walser: Meßmers Momente
Rowohlt Verlag, Berlin 2013
103 Seiten, 14,95 Euro
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