Zwei aufwühlende Lebensschicksale

07.09.2010
Kitschiger Titel, aber packender Roman: Rolf Lappert stellt mit der Geschichte über zwei Geschwister, die gegen den Vater rebellieren und ihren eigenen Weg suchen, seine erzählerischen Qualitäten unter Beweis.
In engen Räumen spiele sie oft und handele von kleinen Weltausschnitten – so lautet eines der gängigen (Vor-)Urteile über die Schweizer Literatur. Ein Klischee, das wie alle Klischees auch auf realen Beobachtungen beruht, wenn man etwa an die letzten Romane von Erwin Koch ("Nur Gutes") oder Roman Graf ("Herr Blanc") denkt.

Der 1958 in Zürich geborene, seit zehn Jahren in Irland lebende Rolf Lappert gehört beileibe nicht in diese Kategorie. Seine Romane öffnen weite Landschaften, spielen – der Weltenbummler Lappert kennt sich vielerorts aus – an allen Enden der Welt und leben von einem erzählerischen Duktus, der viel der amerikanischen Literatur verdankt.

2008 feierte Rolf Lappert, der zur Geschäftigkeit des Literaturbetriebs eher auf Distanz geht, mit "Nach Hause schwimmen" ein erstaunliches Comeback bei Lesern und Kritikern. Es katapultierte ihn sogar auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises. So stark sich der nicht minder umfangreiche – leider mit einem verkitschten Titel versehene – Nachfolgeroman "Auf den Inseln des letzten Lichts" thematisch von "Nach Hause schwimmen" unterscheidet, so deutlich werden auch hier die erzählerischen Qualitäten Lapperts: seine Kunst des Dialogs, sein Auge für dramatische Konflikte und seine unsentimentale Schilderung aufwühlender Lebensschicksale.

"Auf den Inseln des letzten Lichts" erzählt in drei chronologisch verschränkten Teilen die Geschichte der Geschwister Tobey und Megan O Flynn. Beide wachsen auf einer Farm im Südwesten Irlands auf; nachdem ihre Mutter früh das Weite gesucht hat, versäumt es Vater Seamus, den Hof zu modernisieren und wird zum missmutigen Eigenbrötler.

Seine Kinder rebellieren auf unterschiedliche Weise gegen dieses Leben: Tobey – davon erzählt der etwas lang geratene Mittelteil des Roman – will in Dublin eine Karriere als Rockmusiker beginnen; Megan lässt sich zur Veterinärin ausbilden und tritt als militante Tierschützerin auf. Ihr Engagement führt sie auf eine philippinische Insel, wo ein merkwürdiges, finanziell bestens ausgestattetes Institut Verhaltensforschung an Primaten betreibt.

Der Roman setzt damit ein, dass Tobey seiner offenkundig zu Tode gekommenen Schwester nachreist und hinter die schäbigen Institutsfassaden schauen will. Im dramaturgisch zugespitzten dritten Romankapitel, das Megans Aufenthalt auf der Insel beschreibt, überschlagen sich die Ereignisse: Eine islamistische Organisation scheint von hier aus zu agieren, und einige der Wissenschaftler schrecken selbst vor Menschenversuchen nicht zurück.

Rolf Lappert hat – das mag man einwenden – seinen Roman mit sehr viel Stoff angereichert. Mit Händen ist zu greifen, dass die engagierte Megan O Flynn die nicht allzu optimistische Weltsicht des Autors transportiert. "Auf den Inseln des letzten Lichts" ist ein Roman, der den Leser von der ersten Seite an packt und seine moralischen Botschaften unaufdringlich vermittelt.

"Jedes Leben ist eine wilde Abfolge weltbewegender Ereignisse und herzzerreißender Dramen" – was der Inselarzt Tanvir gegenüber Megan äußert, spiegelt, wovon Rolf Lappert in seinem neuen Roman erzählt. Und er tut dies auf souveräne Weise.

Besprochen von Rainer Moritz

Rolf Lappert: Auf den Inseln des letzten Lichts
Carl Hanser Verlag, München 2010
542 Seiten, 24,90 Euro
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