Zwang zur Anpassung oder kulturelle Sonderrechte für Muslime?

Von Kersten Knipp |
Der Antrag einer jungen Marokkanerin auf die französische Staatsbürgerschaft wird abgelehnt. Die Frau sei wegen ihrer Burka, einen den gesamten Körper und das Gesicht bedeckenden Schleier, so nicht definierbar, außerdem habe sie sich ganz offenkundig nicht dem laizistischen Staatsverständnis angepasst, urteilten die Behörden. Der Fall hat in Frankreich eine Diskussion um kulturell begründete Sonderrechte ausgelöst, gerade auch unter französisch-arabischen Intellektuellen.
Wie weit darf der Mensch sich kultureller Anpassung verweigern? Diese Frage mehr noch als die nach der Zulässigkeit religiös begründeter Sonderrechte steht im Zentrum der Debatte. Wenn ein Mensch von A nach B, von dem einen Kulturraum in den anderen wandert, hat er dann ein Recht, sich jeglicher Anpassung zu verweigern? Oder kann man sie sehr wohl von ihm verlangen?

Gerade Burka und Schleier, um die es in dem aktuellen Fall geht, haben auch arabischstämmige Feministinnen zu Stellungnahmen bewegt. So verweist die tunesisch-französische Historikerin Sophie Bessis darauf, dass die Diskussion um Sonderrechte keineswegs nur in den Einwanderungsgesellschaften geführt wird.

"Auch wenn ich glaube, dass der Schleier ein Symbol der Unterdrückung ist, bin ich dagegen, ihn zu verbieten. Der Kampf gegen den Schleier muss auf politischer Ebene, auf verbaler Grundlage geführt werden. Man kann erwachsenen Frauen nicht verbieten, ihn zu tragen. Das Verbot kann man vielleicht noch an Schulen durchsetzen, ihn Minderjährigen verbieten. Man könnte dann sagen, dass der Schleier an Orten, über die die Republik herrscht, verboten sein sollte. Dennoch muss man sehr vorsichtig sein. Denn gerade in den westlichen Ländern herrscht ein relativ gefährlicher kultureller Relativismus. Dessen Vertreter übersehen, dass entsprechende Diskussionen längst auch in der arabisch-muslimischen Welt geführt werden. Denn der Schleier ist mitnichten das Identitätszeichen der arabischen Frau."

Ein Verbot würde die Radikalisierung fördern, so sieht es auch der Kulturwissenschaftler Abdelwaheb Meddeb. Auch er tritt für eine offene Diskussion ein. In ihr, hofft er, sollte dann aber auch deutlich werden, dass ein aufgeklärter Islam auf starke Symbole verzichten kann - zumindest aber nicht auf sie angewiesen ist.

"Ich glaube an die Kraft der Überzeugung, an die der Diskussion, an die der Pädagogik. Und diese Kraft brauchen wir, denn derzeit findet sich der Islam in einer ausgesprochen kritischen Phase. Einerseits traut ihm der Westen nicht sehr viel zu - vor allem natürlich in der arabischen Welt selbst, aber auch im Hinblick auf die in Europa lebenden Muslime gibt es Vorbehalte. Andererseits haben sich viele Muslime tatsächlich einem fragwürdigen Islamverständnis unterworfen. Sie versuchen den Islam auf einige wenige Punkte zu fixieren, halten sich an seinen stärksten Symbolen fest. Und genau darüber muss man diskutieren. Man muss die Muslime daran erinnern, dass sie dabei sind, ihre eigenen Traditionen zu vergessen."

Und doch: Die Migranten, meint der syrisch-französische Demograph Youssef Courbage, hätten sich bereits ungeheuer entwickelt. Die westliche Moderne, in der sie lebten, hätte ihr Selbstverständnis erheblich verändert, sie dem Islam zu großen Teilen entfremdet. Fälle wie der der jungen Marokkanerin seien die Ausnahme. Die meisten Muslime pflegten einen durchaus westlichen Lebensstil, viele Entscheidungen des täglichen Lebens fällten sie entsprechend den Prinzipien einer weltlichen Logik - oft, ohne sich darüber im Klaren zu sein.

"Die marokkanischen Migranten leben vor allem in den Ländern Westeuropas, hauptsächlich in Frankreich, Spanien und Italien. Diese Migranten, die oft aus sehr einfachen Gegen kommen, haben sich im Ausland ungeheuer entwickelt, und sind darüber auch zu einer Drehscheibe der europäischen Kultur in Richtung Marokkos geworden. So wurden sie zu Agenten der Modernisierung. Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass diejenigen Kinder, die Verwandte im Ausland haben, eine viel bessere Ausbildung haben. Auch gibt es in diesen Familien weniger soziale Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen. Das zeigt, dass es durch die nach Europa ausgewanderten Migranten zu einer verstärkten Modernisierung in ihren Heimatländern kommt."

Extremisten, meint die Historikerin Sophie Bessis, äußerten sich in der Regel besonders lautstark, so dass sie die Mehrzahl der gemäßigten Muslime übertönten. Dies gebe ein verzerrtes Bild, zudem müsse man einigen wenigen ohnehin nicht nachgeben. Vor allem aber würden Sonderrechte schnurstracks zurück in eine längst überwunden geglaubte Gesellschaftsordnung führen.

"Es wäre völlig unzulässig, wenn die Bürger eines Staates nicht alle nach ein und demselben Gesetz beurteilt würden. Einer der grundlegenden Vorteile der Demokratie ist es doch, dass alle Bürger gleichrangig behandelt werden. Sobald man Gesetze erließe, die Rücksicht auf die ethnischen oder religiösen Hintergründe der Bürger nähmen, täte man einen gewaltigen Schritt zurück. Das Gesetz ist für alle gleich. Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum die Muslime in Frankreich oder sonst einem westlichen Land nach anderen Gesetzen beurteilt werden sollten als die anderen Bürger. Das wäre genau jener Geist, der im Kolonialismus herrschte, als es auch zwei Arten von Gesetzen gab - als die besiegten Einheimischen nach den einen Gesetzen beurteilt wurden und die Kolonisten nach anderen."

Kulturelle Sonderrechte wären der Anfang vom Ende der Republik. Dagegen anzugehen, heißt nicht, eine bestimmte Religion oder eine bestimmte Einwanderergruppe abzulehnen. Das zeigen gerade die aus arabischen Ländern stammenden Intellektuellen. Und zeigen so, dass die Auseinandersetzungen nicht entlang der Kulturen laufen, sondern schlicht zwischen Gemäßigten und Radikalen.