"Zwang an dieser Stelle nicht förderlich"

Annette Widmann-Mauz im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 29.06.2011
Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Gesundheit, Annette Widmann-Mauz (CDU), hält das heutige Treffen der Gesundheitsminister der Länder für einen Meilenstein in der Frage der rechtlichen und ethischen Bewertungen bei einem neuen Organspendegesetz. Es gebe bislang eine Lücke zwischen der grundsätzlichen Bereitschaft, ein Organ zu spenden und der Bereitschaft, einen Spenderausweis mit sich zu tragen.
Jörg Degenhardt: Es geht um Leben und Tod heute beim Treffen der Gesundheitsminister der Länder. Die Damen und Herren werden in Frankfurt sicher auch über den Darmkeim EHEC reden, über die Zusammenarbeit der Behörden und ob Kliniken für die Versorgung von EHEC-Patienten zusätzliches Geld bekommen. Ein zentrales Thema wird aber ein anderes sein, nämlich dass es hierzulande zu wenig Organspender gibt. Von den derzeit in Deutschland mehr als 12.500 registrierten Patienten, die auf ein Spenderorgan warten, stirbt jedes Jahr etwa ein Drittel vor der rettenden Transplantation. Das soll sich ändern. Meine Gesprächspartnerin ist die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium Annette Widmann-Mauz. Guten Morgen, Frau Mauz!

Annette Widmann-Mauz: Guten Morgen, ich grüße Sie!

Degenhardt: Warum haben wir denn so wenig Organspender in Deutschland, verglichen auch mit anderen Ländern wie etwa Spanien?

Widmann-Mauz: Ich glaube, man muss zwei Dinge unterscheiden. Zum einen haben wir in Deutschland bislang im organisatorischen Ablauf in den Krankenhäusern deutliche Verbesserungsmöglichkeiten. Die haben wir jetzt mit einer Gesetzgebung, die Entnahmekrankenhäuser verpflichtet, Transplantationsbeauftragte zu bestimmen, geschlossen, und ich bin zuversichtlich, dass wir damit die Möglichkeiten, die Potenziale, die potenziellen Organspender besser in den Krankenhäusern erkennen können. Zum Zweiten glaube ich aber auch, dass wir eine große Lücke haben zwischen einer allgemeinen Spendenbereitschaft und der tatsächlichen Bereitschaft, dann auch einen Organspendeausweis auszufüllen und bei sich zu tragen.

Degenhardt: Woran liegt das?

Widmann-Mauz: Ja, die Beschäftigung mit dem Tod, das ist etwas, was dann, wenn es konkret wird, nämlich wenn man sich entscheiden muss, nicht für jeden Menschen zu den angenehmsten Beschäftigungen gehört, und deshalb ist es ganz, ganz wichtig, dass wir ein Vertrauen in die Organspende nicht nur erreichen, sondern vor allen Dingen auch erhalten, dass solche Entscheidungen angstfrei getroffen werden können und dieses positive Ja zum Leben, diese Spende, dieses Geschenk des anderen Menschen damit zur Verfügung gestellt werden kann, dann auch leichter fällt.

Degenhardt: Wie kann man denn diese positive Grundstimmung herstellen, was kann der Gesetzgeber da für leisten? Und damit komme ich zu den möglichen Varianten, die sich da anbieten: Eine ist ja die Zustimmungslösung, also ein Organspender kommt nur dann infrage, wenn er zu Lebzeiten zugestimmt hat, das kann ja wohl nicht der Weisheit letzter Schluss sein.

Widmann-Mauz: Ich glaube, dass wir mit dieser Entscheidungslösung einer Zustimmungslösung, die auch die Zustimmung von Angehörigen mit einschließt, bislang in Deutschland gut gefahren sind, denn das Vertrauen an sich in die Organspende, in den Vorgang ist hoch in unserem Land. Und es zeigt sich aber auf der anderen Seite, dass wenn wir mehr Informationen, mehr Aufklärung und auch gute Beispiele wie im letzten Jahr stärker öffentlich machen, wir noch mehr Menschen erreichen können. Es ist ein sehr individueller, ein hoch sensibler und für viele Menschen auch mit wichtigen ethischen und religiösen Fragen verbundener Akt, und deshalb diesen wirklich sensiblen Bereich auch zu sensibel zu behandeln, ist, glaube ich, eine wichtige Herangehensweise.

Degenhardt: Dann gibt es ja noch die sogenannte Widerspruchslösung, die sieht vor, dass jeder nach seinem Hirntod zum Organspender werden kann, der das zuvor nicht ausgeschlossen hat. Wie stehen Sie dazu?

Widmann-Mauz: Ich glaube, wir können in dieser wichtigen Frage keine Entscheidungen voraussetzen, und auch die Frage, wenn Menschen sich noch nicht entschieden haben, nicht gleichsetzen mit einer Zustimmung, dafür ist Selbstbestimmung ein zu wichtiger Aspekt in unserem Land. Aber umgekehrt, den Menschen mehr Anstöße zu geben, mehr Gelegenheiten, sich mit dem Thema in positivem, in vertrauensvollem Umfeld zu befassen, das muss unsere Aufgabe sein. Und hier gibt es Möglichkeiten – bei der Ausgabe von Führerscheinen, bei der Ausgabe von Krankenversicherungskarten oder auch in der Diskussion beim Ausstellen von Personalausweisen, sich mit diesen Fragen zu befassen. Wir werden jetzt rechtliche und ethische Fragen im Deutschen Bundestag fraktionsübergreifend besprechen, und dann wird es sicherlich zu Anträgen im Parlament kommen.

Degenhardt: Das Letzte, was Sie angesprochen haben, nur der Vollständigkeit halber, das ist die Entscheidungslösung, also jeder Deutsche sagt etwa am Führerschein, ob er bereit ist zu spenden oder nicht, er sagt entweder ja oder nein. Da zum Beispiel will die FDP nicht mitziehen, sie sagt, hier gäbe es einen Zwang. Jetzt haben Sie gerade betont, man wolle parteiübergreifend eine Entscheidung finden, das heißt also, Sie rechnen durchaus damit, dass Sie Zustimmung aus den Reihen der Sozialdemokraten bekommen, dass es aber vom Koalitionspartner, von der FDP Widerstand gibt?

Widmann-Mauz: Ich glaube, alle sind sich einig, dass wir erreichen wollen, dass wir am Ende mehr Menschen zu einer Entscheidung motivieren wollen. Ob Zwang und Druck das richtige Instrument sind, zu einer solchen zufriedenstellenden Entscheidung zu kommen, das, glaube ich, kann zu Recht hinterfragt werden. Und deshalb müssen wir sicherlich auch bei der Frage Entscheidungslösung ja oder nein noch stärker miteinander ins Gespräch kommen.

Ich selbst glaube, dass jeglicher Zwang an dieser Stelle nicht förderlich nicht, denn wir dürfen nicht nur daran denken, wie sich die Menschen fühlen, die sich entscheiden, sondern wir müssen auch an die Menschen denken, die mit einem Organ leben und leben wollen, von dem sie ausgehen wollen, dass dieses auch wirklich freiwillig ihnen zur Verfügung gestellt wurde, ohne Zwang. Die Erfahrung, die ich gemacht habe, mit Menschen, die Spenderorgane erhalten haben, zeigen mir immer wieder, dass sie ganz, ganz großen Wert darauf legen, dass dieses ein freiwilliger und ein selbstbestimmter Akt des Spenders bleibt, denn nur so können auch sie diese Spende annehmen und ihr Leben dann auch wirklich sehr zufrieden weiterleben.

Degenhardt: Ohne Zwang, das Prinzip der Freiwilligkeit, das ist sicherlich richtig und nachzuvollziehen. Sie nehmen die Ängste der Bürger ernst, die vielleicht gegen ihren Willen zum Organspender werden, die das nicht werden wollen, aber dann ist die Frage wieder – und damit kehre ich zum Ausgangspunkt des Gesprächs zurück: Kriegen wir dann wirklich in der Tat ausreichend Organspender, denn wir brauchen sie ja?

Widmann-Mauz: Ich finde ganz erstaunlich, dass wenn man vergleicht die Länder in Europa, aber auch die Regionen in der Bundesrepublik, wir feststellen können, dass es Länder mit der Widerspruchslösung gibt, die auch nicht mehr Spenderzahlen als in Deutschland aufweisen, und umgekehrt wir in Deutschland Regionen haben, auch mit der bestehenden rechtlichen Regelung, wo wir deutlich höhere Spenderzahlen erreichen können, als dieses in anderen Ländern ist.

Nehmen Sie das Beispiel Schweden: Schweden hat zwischen der Zustimmungslösung und der Widerspruchslösung gewechselt, hat aber dennoch keine Steigerung der Spendenzahlen erreichen können. Und deshalb, das zeigt mir ganz deutlich, Vertrauen ist enorm wichtig, Information und Aufklärung. Die Bundesregierung hat deshalb auch noch mal die Haushaltsmittel für die Aufklärung über die Organspende erhöht, und wir müssen wirklich erreichen, dass wir mehr Anstöße, mehr Gelegenheiten zur Auseinandersetzung schaffen mit diesem ganz, ganz wichtigen Thema im Interesse der Patientinnen und Patienten. Und hier können wir noch viel leisten zu den organisatorischen Verbesserungen, die wir bereits auf den Weg bringen.

Degenhardt: Ganz kurz noch zum parlamentarischen Verfahren: Schaffen Sie es bis zum 1. Januar 2012, ein neues Gesetz in Kraft treten zu lassen?

Widmann-Mauz: Wir strengen uns an. Der heutige Tag ist ein wichtiger Meilenstein für die Frage der rechtlichen und der ethischen Bewertungen. Die organisatorischen Voraussetzungen sind bereits im Verfahren, und ich bin ziemlich sicher, die können wir auch bis zum Jahresende abschließen.

Degenhardt: Wie kommen wir zu mehr Organspendern? Das war im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur Annette Widmann-Mauz, die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium. Vielen Dank für das Gespräch!

Widmann-Mauz: Vielen Dank Ihnen!

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