Zuwanderer in Deutschland

Immer noch willkommen?

Zwei muslimische Frauen mit Kopftüchern reichen sich die Hände und lachen in die Kamera.
Deutschkurs für Flüchtlinge in Berlin © dpa picture alliance/ Britta Pedersen
Aydan Saliha Özoğuz im Gespräch mit Marcus Pindur · 02.12.2017
Das Themen Zuwanderung ist ein gesellschaftspolitischer Dauerbrenner. Mit der Integrationsbeauftragten Aydan Özoğuz sprechen wir darüber, wie die Eingliederung von Flüchtlingen in Deutschland gelingen kann.
Deutschlandfunk Kultur: Die Themen Zuwanderung und Integration sind ein gesellschaftspolitischer Dauerbrenner. Nicht erst seit den vielen Flüchtlingen, die im Sommer 2015 zu uns kamen, steht das Thema hoch auf der politischen Agenda und bei einigen auch sehr auf der politischen Erregungsskala.
Legitime Ängste mischen sich allzu oft mit dem Hass, den Populisten schüren, der das öffentliche Klima vergiftet.
Seit 2013 hat Deutschland eine Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration im Range einer Staatsministerin – Aydan Özoğuz. Guten Tag, Frau Özoğuz.
Aydan Özoğuz: Schönen guten Tag.

Es gilt jetzt, einen kühlen Kopf zu bewahren

Deutschlandfunk Kultur: Wir wollen gleich nach vier Jahren eine vorläufige Bilanz Ihrer Tätigkeit, Ihrer Amtszeit ziehen. Bevor ich aber mit der Staatsministerin für Integration Özoğuz rede, möchte ich gerne mit der stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Özoğuz sprechen. Das Thema liegt auf der Hand. – Sagen Sie uns: Wie sind die Aussichten, dass es zu einer Großen Koalition kommt?
Aydan Özoğuz: Wir müssen das jetzt abwarten, wie die Gespräche laufen, wie sich die verschiedenen Parteien zueinander entwickeln. Ich selbst bin ein bisschen irritiert, das muss ich ehrlich sagen, über das, was jetzt nach dieser gescheiterten Jamaika-Gesprächsverhandlungsrunde, Marathon kann man ja fast schon sagen, jetzt von CSU und CDU täglich kommt. Also, der eine Minister entscheidet mal irgendetwas ohne den Rest der Regierung. Dann kommt irgendeine Meldung, dass plötzlich jetzt Große Koalition schon im Gespräch ist.
Also, da muss ich sagen: Eigentlich möchte ich alle auffordern, jetzt mal einen ganz kühlen Kopf zu bewahren und sich mal sehr intensiv mit der Frage zu beschäftigen: Wer kann eigentlich mit wem regieren? Unter welchen Bedingungen? Und was macht am meisten Sinn? Und genau das überlegt die Sozialdemokratie zurzeit.
Deutschlandfunk Kultur: Rückblickend wissen Journalisten ja immer alles besser.
Aydan Özoğuz: Stimmt.

"Wir sind ja nun nicht der Hausputzer"

Deutschlandfunk Kultur: Aber die Frage hat auch viele Ihrer Parteifreunde beschäftigt, ob es denn ein Fehler war, dass Martin Schulz sich so schnell gegen eine Große Koalition festgelegt hat.
Aydan Özoğuz: Na, ich glaube, es war ganz richtig, dass wir am Parteiabend sofort wirklich gesagt haben, wir haben dieses Signal verstanden. Wir haben das schlechteste Ergebnis unserer Geschichte. Wir sind wirklich an einem Punkt angekommen, wo man ja unmöglich sagen kann, das geht schon irgendwie so weiter oder wir regieren so weiter, sondern wo eben ganz deutlich das Signal ja von allen Ebenen der Partei kam: So kann es eben nicht weitergehen. Wir gehen in die Opposition.
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Hatte nicht mit dem Scheitern von Jamaika gerechnet: Aydan Özoguz (SPD), Integrationsbeauftragte der Bundesregierung© Deutschlandradio
Dann hatten wir natürlich auch vor uns diese vier Parteien, muss man sagen, die ja nahezu danach lechzten, zusammenzukommen. Das haben sie uns im Wahlkampf schon immer wieder vorgeführt. Und dann haben wir gesagt: So, jetzt macht auch mal. Jetzt zeigt auch mal, wie ihr das dann tut.
Dass das dann wirklich zusammenbrechen würde, habe ich nicht gedacht, obwohl klar war, dass es nicht einfach wird, auch nicht für die FDP. Dass sie dann hinschmeißen, war nicht so klar. Jetzt müssen wir natürlich sortieren. Und ich finde es ganz berechtigt, auch als Sozialdemokratie zu sagen, wir sind ja nun nicht der Hausputzer irgendwie am Ende, sondern wenn, dann müssen wir es verantwortungsvoll angehen. Und genau das tun wir. Deswegen nehmen wir uns auch die Zeit darüber nachzudenken, wie es denn gehen kann.

Glyphosat-Entscheidung lässt an Vertrauen zweifeln

Deutschlandfunk Kultur: Sie haben das kurz angesprochen. Wie bewerten Sie denn den atmosphärischen Flurschaden, den der Landwirtschaftsminister Christian Schmidt mit seiner Glyphosat-Entscheidung da angerichtet hat für diese Verhandlungen? Wie groß ist diese Belastung?
Aydan Özoğuz: Es geht ja wenig um das Thema. Stellen Sie sich mal vor, ich hätte Heiko Maas überredet, in Sachen Einwanderung oder Flüchtlinge mal eben irgendetwas irgendwo zuzusagen in Europa, was die anderen nicht sollen oder was nicht abgestimmt ist.
Es geht nicht um das Thema. Es geht schlicht darum: Kann man eigentlich miteinander regieren – und das in diesen Zeiten? Da prescht jemand vor, und ich meine, ein bisschen wird ihm ja auch unterstellt, dass es da um persönliche Dinge geht. Wie wichtig ist vielleicht der eine oder andere Minister? Und wenn Herr Seehofer das auch noch gewusst hat, was er ja offenbar auch selber zugibt, dann zeigt das ja doch umso mehr, hier scheren sich gar nicht alle darum, vertrauensbildende Maßnahmen wirklich zu zeigen.
Umso mehr muss die Sozialdemokratie jetzt darauf dringen zu sagen: Liebe Leute, was wollt ihr eigentlich? Das ist nicht Hausaufgabe der SPD, aber es ist unsere Aufgabe nachzufragen, wie es eigentlich mit der anderen Seite bestellt ist. Ein Koalitionsvorbereitungsgespräch ist schon krachend gescheitert. Und jetzt zeigen sie nicht gerade, dass sie sich anbieten für bessere Gespräche.

"Für mich fehlt der Boden, auf dem wir das alles dann verhandeln"

Deutschlandfunk Kultur: Eine große Forderung der SPD wurde ja da schon in den Raum gestellt. Dieses große Vorhaben, diese Forderung ist eine sogenannte Bürgerversicherung, eine Einheitsversicherung sagen die einen, eine Bürgerversicherung die anderen. – Ist das eine realistische Forderung, zu einem so großen Wandel zu kommen?
Aydan Özoğuz: Na ja, ich finde es verständlich, dass jetzt ja mehrere – auch aus der Partei natürlich, aus unserer Partei – jetzt vorpreschen und sagen: So, jetzt aber! Jetzt muss das sein und dies sein und auch jenes sein! Das finde ich nachvollziehbar.
Für mich fehlt aber im Moment ein Schritt vorher. Für mich fehlt wirklich der Boden, auf dem wir das alles dann verhandeln. Und der heißt ja: Können wir eigentlich gegenseitig noch Vertrauen aufbauen? Ist das gegeben?
Ich muss mich auch ein bisschen immer wieder zurück erinnern an diese Zeit vor vier Jahren, als wir Koalitionsverhandlungen geführt haben. Denn auch, wenn ich glaube, dass das Christian Lindner es am Ende nicht wollte und auch deswegen hingeschmissen hat: Ein paar seiner Äußerungen haben mich schon an die Zeit vor vier Jahren erinnert, wo man auch das Gefühl hatte, man dreht sich ja doch häufig im Kreise und die Union versucht immer wieder da anzukommen, wo man mal gestartet ist.
Deswegen ist das im Moment eigentlich sehr kontraproduktiv. Und ich weiß nicht, wer das jetzt alles so auch befeuert. Aber es sind, glaube ich, eher diejenigen, die Frau Merkel nicht unterstützen und die nicht unbedingt dazu beitragen wollen, dass Deutschland in nächster Zeit zu einer ordentlichen Regierung kommt.

Wir brauchen Signale, was die Union eigentlich will

Deutschlandfunk Kultur: Jetzt gibt es in der SPD unterschiedliche Stimmen dazu. Johannes Kahrs vom Seeheimer Kreis hat sich schon sehr deutlich vorgewagt und gesagt, man soll es doch probieren zumindest mit einer Großen Koalition. Manuela Schwesig, ebenfalls stellvertretende Parteivorsitzende, Ministerpräsidentin, sagt: Nein, wir sollten erstmal uns etwas zurückhaltender zeigen und auch auf Angebote einfach warten.
Was denken Sie denn, was die richtigere Strategie ist, jetzt auf die Union offensiv zuzugehen oder zu sagen, sortiert euch erstmal?
Aydan Özoğuz: Na, sortieren allein reicht nicht. Also, wichtig ist jetzt in diesem Moment wirklich, Signale zu bekommen, was die Union eigentlich wirklich will. Wer ist tatsächlich in der Union, auch in der CSU, ich meine jetzt nicht nur die CDU damit, wirklich in der Verfassung sagen zu können, ja, ich leite diese Partei und ich kann hier eine Richtung vorgeben und dann auch auf die SPD möglicherweise zugehen? – Ja klar, wenn die Unionsseite eine Große Koalition möchte, und das wird ja ab und zu gesagt, dann muss man das auch belegen. Aber dann muss man es eben auch damit belegen, dass man sagt, man wird aufeinander zugehen, man wird ordentliche Gespräche führen und es wird in einem ordentlichen Rahmen stattfinden.
Was in diesen Tagen so stattfindet, spricht eine andere Sprache. Darüber werden wir als Sozialdemokraten natürlich auch auf dem Parteitag diskutieren. – Also, da steht schon noch einiges im Raum. Da gibt es viel Gesprächsbedarf jeweils in den eigenen Reihen, denke ich. Also, mir reicht sozusagen der Boden noch nicht, auf dem die Verhandlungen überhaupt geführt werden sollen.

Arbeitsmigration und Flüchtlingszuzug abgrenzen

Deutschlandfunk Kultur: Kommen wir vom Thema Koalitionsbildung einfach schon mal jetzt langsam zu Ihrem Verantwortungsbereich. – Welche Rolle sollte denn Ihrer Ansicht nach Integration spielen bei den nächsten Koalitionsverhandlungen? Haben Sie da auch Vorstellungen, was Sie einbringen wollen?
Aydan Özoğuz: Ja, selbstverständlich. Ob man will oder nicht, es wird immer eine Rolle spielen. Sie merken ja auch, dass beispielsweise viele Menschen über diese Familienzusammenführung reden, dass es natürlich auch viele – na ja, sagen wir mal, in diesem Bereich leider schon immer – nicht richtige Informationen gibt. Es gab bereits Zeitungen, die von drei bis vier Millionen Nachzüglern sprachen, allein über Familiennachzug. Heute wissen wir, es sind einige Zehntausend, die das wohl betreffen wird. Da gibt es einfach diese Spannbreiten und das ist ein riesiges emotionales Thema. – Wie verändert sich das Land? Was passiert eigentlich? Häufig auch von Menschen geführt, deren Leben sich überhaupt nicht verändert hat – trotz der Flüchtlingskrise und trotz der vielen, vielen Flüchtlinge, die ja ins Land gekommen sind. Also, da gibt es sehr viel Arbeit. Ich habe da sehr klare Vorstellungen.
Also, es geht überhaupt nicht, ohne diese Dinge zu sortieren. Dazu gehört eben ein ordentliches Einwanderungsgesetz für Arbeitnehmer, die nach Deutschland kommen wollen. Und dieses muss sehr klar auch in Abgrenzung zur Flüchtlingspolitik sein. Das müssen wir der Bevölkerung auch endlich näherbringen können.
Es ist ja ein ganz großes Problem, dass das immer so ein wenig durcheinander geht, dass das kaum noch jemand eigentlich auseinanderhalten kann. Die Transparenz fehlt. Ich merke immer wieder, wenn ich abends irgendwo bin und das mal so an die Wand werfe, die Zahlen zeige und erkläre, was wir tun, viele sind vollkommen überrascht, haben immer das Gefühl, die Regierung hätte doch eigentlich gar nichts getan. – Und da, glaube ich, brauchen wir wirklich eine bessere Kommunikation im Land. Leider ist das eben tatsächlich ein sehr emotionalisierendes Thema.

"Wahnsinnig viele Richtlinien"

Deutschlandfunk Kultur: Das ist es auf jeden Fall. Wäre es denn denkbar? Sie haben das Thema Einwanderungsgesetz angesprochen. Das hätte die FDP ja auch gerne gehabt, das wurde aber von der CSU abgelehnt. Meinen Sie, es wäre in einer Großen Koalition ein Thema, was gehen würde?
Aydan Özoğuz: Jetzt kommen wir wieder an die roten Linien. – Ohne das geht’s gar nicht. Das wollen Sie von mir hören.
Ehrlich gesagt, glaube ich tatsächlich, dass selbst die Union, die Unionsparteien beide ganz genau wissen, dass wir das brauchen. Denn man muss gar nicht so furchtbar neu dafür erfinden. Deutschland ist nicht ein Land, in dem es bisher drunter und drüber ging, was diese Frage angeht, sondern wir haben einfach so wahnsinnig viele Richtlinien. Wir haben über fünfzig abgestufte Aufenthaltstitel. Da steigt einfach nur kein Mensch mehr durch. Das müssen die Beamten dann immer selber regeln. Und die Unternehmer, die dann Arbeitskräfte holen, sind völlig entnervt, weil sie ordnerweise Akten ausfüllen müssen, damit sie dann ein, zwei Arbeitnehmer bei sich auch einstellen können.
Es geht darum, das transparent zu machen, für die Bevölkerung zusammenzufassen und an vielen Stellen auch Richtlinien zu verändern. Das habe ich in den letzten Jahren übrigens in der Flüchtlingspolitik gemerkt, dass das geht. Wir haben dort so vieles endlich mal wieder aufeinander abgestimmt, endlich mal so eine Linie da rausgebracht. Also, es funktioniert durchaus.

Für Integrations- und Sprachkurse von Anfang an

Deutschlandfunk Kultur: Der Anspruch an Kontrolle und Regelung ist ja berechtigt da. Und das ist auch ein normaler Anspruch an einen Rechtsstaat. – Was haben Sie denn in den letzten Jahren gemacht, um das konkret sozusagen anzugehen? Wo würden Sie sagen, da haben wir Haltelinien eingezogen?
Aydan Özoğuz: Na ja, es gab so wahnsinnig viel aufzuarbeiten.
Ich gebe Ihnen ein Beispiel, was ja alle kennen: Die Flüchtlinge kamen und man wusste nicht, wo man sie unterbringt. Und dann haben natürlich viele gedacht, komisch, Anfang der 90er Jahre kamen doch auch schon mal recht viele. Da hatten wir doch Unterkünfte.
Es waren beispielsweise die Rechnungshöfe, die ganz zu Recht im Laufe dieser zwanzig Jahre gesagt haben: Passt mal auf, da stehen irgendwelche leeren Baracken bei euch rum oder Unterkünfte. Das kann nicht einfach so leer stehen und Geld kosten. Macht was draus, reißt es ab oder verwendet es anders. – So ist eine Entwicklung natürlich im Land entstanden, weil wir ja fast gar keine Asylsuchenden hatten in den letzten Jahren. 2008 hatten wir nicht einmal 30.000. Und in der Regel mussten zwei Drittel wieder gehen. Das war gar nicht so ein Thema – emotional ja, aber nicht praktisch.
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Unser Redakteur Marcus Pindur im Gespräch mit der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Aydan Özoguz© Deutschlandradio
Jetzt haben wir gesagt: Ja, wo kriegen wir denn Unterkünfte her? Wie können wir das besser organisieren? Wie können wir es schaffen, dass schon in Unterkünften wirklich alle Dinge passieren wie: Fingerabdruck wirklich zur Identitätsfeststellung, und möglichst natürlich auch zu gucken, was bringen die Leute eigentlich mit, was haben sie in ihrem Land gemacht.
Also, wenn es nach mir ginge, würde man dort auch schon eben Integrations- und Sprachkurse anbieten. Das haben dann teilweise Länder und Kommunen gemacht. Das war aber sehr, sehr unterschiedlich. Und die Schwierigkeit bestand darin, wirklich ein Konzept eben für Deutschland zu machen, weil für viele Dinge 16 Länder und noch mehr Kommunen zuständig sind, die nicht immer mochten, sich in die Karten gucken zu lassen. Also, da musste man ein bisschen koordinieren.

Bessere Abstimmung in der Bildungspolitik notwendig

Verbesserungsmöglichkeiten gibt es, glaube ich, in der Abstimmung der Bildungspolitik zum Beispiel. Wir hatten manche Kinder, die hier mehrere Monate nie eine Schule gesehen haben. Sowas darf in Deutschland gar nicht sein. Und natürlich hatten wir auch am Anfang diesen Kontrollverlust, den Sie zu Recht angesprochen hatten, in dem Bereich, wo wir sagen müssen, es sind Menschen gekommen, von denen wir eben gar nicht wussten, dass sie da sind. – Das darf sich nie wieder wiederholen, deswegen ja auch ein neues System in den Sicherheitsbehörden. Man kann diese Fingerabdrücke abgleichen und wir können heute eben auch sehen, ob derjenige schon in einem anderen europäischen Land gewesen ist, sofern natürlich dort der Fingerabdruck genommen wurde.
Deutschlandfunk Kultur: Sie haben eine Kontroverse ausgelöst in Ihrer Amtszeit, über die wir ausführlich berichtet haben, die wir hier auch nicht in allen Verästelungen nachzeichnen wollen,...
Aydan Özoğuz: Welche?
Deutschlandfunk Kultur: .., die uns aber als Ausgangspunkt dienen soll an dieser Stelle. Es war ein Artikel im Tagesspiegel. Dafür sind Sie dann viel kritisiert worden. "Eine spezifisch deutsche Kultur ist", haben Sie damals geschrieben, "jenseits der Sprache nicht identifizierbar." Und dann haben viele die Frage gestellt und stellen sie nach wie vor: Wie kann eine Integrationsbeauftragte für Integration werben, wenn sie die Existenz dieser Kultur abstreitet, in die sich die Zuwanderer wiederum integrieren sollen?
Aydan Özoğuz: Das tue ich natürlich nicht. Wichtig ist, glaube ich, die Einordnung. Denn es ging ja um die deutsche "Leitkultur", eine Debatte, die ich also mindestens seit 15 Jahren jetzt mitverfolgen muss und bei der ich eben erlebe, dass sie sehr stark diesen – na ja – auschließenden Charakter haben soll. Was ist denn jetzt der richtige Deutsche? – so ungefähr. So wird das immer wieder aufgetan.

"Absurde" Debatte um deutsche Leitkultur

Der Artikel wurde letztendlich dann geschrieben, als der Bundesinnenminister diese Vorschläge machte wie "deutsche Leitkultur wäre, sich die Hand zu geben, dass man sich in die Augen blickt" und dann vor allen Dingen dieser allerletzte Punkt, und das stand ja wirklich wortwörtlich: "Wir sind nicht Burka!"
Also, da habe ich gedacht in dem Moment, es geht bald nicht mehr absurder. Es geht bald nicht mehr lächerlicher. Natürlich sind wir alle keine Burka. Und ich kenne, ehrlich gesagt, niemanden persönlich, der eine Burka irgendwie gut finden könnte oder irgendwie befürworten könnte. Trotzdem ist die Debatte darüber hinaus, also viele sagen Burka und meinen aber jedes Kopftuch damit, eben etwas sehr Differenzierbares. Da finde ich es schon wichtig zu sagen oder die Frage zu stellen: Brauchen wir wirklich so etwas wie eine Leitkultur? Ist das vielleicht auch ein bisschen Definition der Begriffe? Da lasse ich mich auf alles ein.
Deutschlandfunk Kultur: Ist das definierbar? Haben wir so etwas? Man kann ja darüber streiten. Und vielleicht hilft es, wenn man von diesem Begriff einfach mal abrückt und sagt, wir reden über Werte und Normen, die uns wichtig sind.
Aydan Özoğuz: Ja, das habe ich ja dann auch gesagt. Und da gehe ich sofort mit. Nur, Sie wissen ja auch, eine Debatte, die über so viele Jahre geführt wird, in Wahrheit wird sie ja gar nicht immer geführt, sie wird immer dann geführt, wenn Wahlkampf ist und dann verschwindet sie wieder. Also, es ist eine typische, na ja, ich sage es jetzt mal, wie es von vielen doch wahrgenommen wird, eine typische "Ich-bin-gegen-Migranten-Debatte".
Es ist nicht immer von allen so gemeint, aber es ist so unglaublich wichtig, dass wir eben über Werte und Normen sprechen. Denn auch viele Migranten sagen ja von sich: Mensch, wissen das eigentlich alle, die jetzt zum Beispiel neu ins Land kommen? Werden wir das vermitteln können? Wie ist eben das Verhältnis zwischen Mann und Frau? Wie ist das eigentlich, wenn Menschen nie in Europa waren, vielleicht nie diese Kultur mitbekommen haben?

Portal von Syrern für Syrer eingerichtet

Wir erleben dann in der Praxis, also, wenn Sie eben mit Flüchtlingen wirklich auch immer wieder zu tun haben, natürlich ist das nicht eine Einheitsmasse von Menschen. Natürlich sind die nicht alle gleich. Viele sind geflohen, weil sie ja gerade das System so grausam fanden, aus dem sie kommen, und sind hier so dankbar und finden sich schnell ein. Andere tun es nicht und tun sich auch schwer damit. – Darüber muss man natürlich sprechen.
Wir haben das übrigens gemacht, auch mit vielen Syrern und Menschen, die aus anderen Ländern kommen, indem wir beispielsweise so ein Portal auch eingerichtet haben, wo Syrer Syrern erklären: Wie funktioniert denn das Zusammenleben in Deutschland und worauf legen Menschen hier Wert? – Aber, auch wieder wichtig, natürlich ist es ein Stückweit in Hamburg anders als in Bayern, also auch wieder diese Leitkultur. Was leitet uns denn? Das Eichsfeld ist ja immer wieder mal genannt worden oder Nordrhein-Westfalen. Es gibt natürlich überall auch nochmal unterschiedliche regionale Dinge, die den Menschen dort jeweils sehr wichtig sind, aber woanders manchmal belächelt werden. – Also, wenn man die Lederhosen aus Bayern nimmt, sage ich mal so als Hamburgerin.
Deutschlandfunk Kultur: Zu Ihrem Hamburger Lokalpatriotismus können wir gleich nochmal kommen. Ich möchte Sie nochmal ansprechen auf ein Buch Ihres Parteifreundes Raed Saleh. Der ist ja geboren im Westjordanland, aufgewachsen in Berlin und ist jetzt Fraktionsvorsitzender der SPD im Berliner Abgeordnetenhaus. Der sagt: Wir müssten das Ganze mal anders angehen. Natürlich brauchen wir eine positive Vorstellung von dem, was Leitkultur ist. Nur wenn wir eine positive gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Vision haben, dann können wir die auch den Migranten vermitteln.
Geht man insgesamt in dieser Debatte vielleicht zu defensiv mit dem Thema um?

In Deutschland ist die Identitätsdebatte "besonders lebhaft"

Aydan Özoğuz: Nein, das glaube ich nicht. Also, man merkt ja, wie munter die Debatte teilweise eben auch läuft. Nur wissen Sie, vor 130 Jahren hat Friedrich Nietzsche schon gesagt: Die Deutschen beschäftigen sich ständig damit, was eigentlich deutsch ist. Diese Debatte gibt es immer und immer. Und das ist ja auch gut.
Vermutlich machen es andere auch, aber ich glaube schon, dass das in Deutschland eine besonders lebhafte Debatte ist. Und sie ist vielleicht dadurch nochmal besonders erschwert worden, wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, wo nach dem Zweiten Weltkrieg die Identität des Deutschen schon nochmal anders definiert wurde als in anderen Ländern. Also, sie hatten ja in Frankreich oder in Großbritannien doch nochmal einen anderen Patriotismus. Das ist ja das, was wir heute plötzlich besprechen. Was ist Patriotismus? Dieses, ich bin stolz, ein Deutscher zu sein, das hat vor dreißig, vierzig Jahren keiner gesagt in diesem Land, aber heute.
Natürlich, meine Generation oder vielmehr die meiner Tochter, die sagt, warum denn nicht. Das wollen wir auch wieder sein und wir wollen es leben.
Deutschlandfunk Kultur: Sie haben mal gesagt, Sie seien Lokalpatriotin, aber Sie seien keine Patriotin. Dazu seien Sie wiederum zu deutsch. Diese Widersprüchlichkeit müssen Sie einfach nochmal auflösen, wie das eine zum anderen passt. Erklären Sie uns das nochmal.
Aydan Özoğuz: Das war ja gerade damit gemeint. Wenn Sie Migrationspolitik machen, Integrationspolitik machen, fällt Ihnen das ganz besonders auf, wie oft Kinder – gerade in bayerischen Dörfern, da war ich besonders viel unterwegs – immer wieder dann sagten: Ja, also, ich bin schon deutsch, ich bin schon Deutscher, aber ich bin eigentlich – und dann kommt der Name des Dorfes oder der Region. Ich bin Bayer, ich bin Hamburgerin, ich bin Berliner und so.

"Typisch deutsch", sich über die Region zu definieren

Das ist etwas typisch Deutsches, sich über die Region zu definieren, sich sehr stark über das Stück Land zu definieren, in dem man eben groß geworden ist. Das genau habe ich damit gemeint. Aber ich glaube, es wächst eben etwas Neues. Und ich möchte das gar nicht unbedingt nur Populisten überlassen dann zu sagen, ja, Patriotismus nimmt keiner in den Mund, außer eben uns, sondern ich glaube, es gibt eine gewisse Sehnsucht danach von Menschen zu sagen, ich möchte stolz auf mein Land sein. Ich möchte stolz darauf sein, was wir geleistet haben. – Ich meine, Deutschland hat ja so unglaublich viel geleistet, übrigens auch in der Flüchtlingspolitik in den letzten zwei Jahren.
Das muss man nicht alles großartig finden. Man muss sich dafür gar nicht immer begeistern können, aber alleine die Tatsache, dass wir Hunderttausende Ehrenamtliche hatten, die ich ja dann auch immer wieder versucht habe zu unterstützen und zu fördern, die gesagt haben, ja, wir werden das jetzt hier ordentlich machen jeweils in unserem Bereich.
Deutschlandfunk Kultur: Es wird geschätzt, dass circa jeder zehnte Deutsche an irgendeinem Punkt in der Flüchtlingshilfe ehrenamtlich involviert war.
Aydan Özoğuz: Ja. Und das sind nicht die, man sagt ja immer so böse, die Gutmenschen, als ob die so blind wären und nichts anderes sehen würden. Das ist nicht wahr. Das sind Menschen, die hochkritisch waren. Also, wir haben ja sehr oft auch Ehrenamtliche eingeladen nach Berlin oder ich habe sie besucht vor Ort, die uns gesagt haben: Was muss sich in den Behörden verbessern? Was muss sich in den Richtlinien verbessern? Was muss sich auf den Ausländerämtern verbessern? Die auch nochmal wirklich geschaut haben, geht das eigentlich mit so vielen Menschen hier bei uns jeweils im Dorf, und die gleichzeitig gesagt haben: Aber wir tun auch etwas dafür. Wir wollen Humanität. Wir wollen auch etwas tun. Aber ihr in Berlin sorgt dafür, dass das nicht immer so weitergeht. Und das war völlig richtig.
Aber es hieß natürlich auch: Wie mache ich es denn als Ehrenamtlicher? Nicht jeder ist politisch geschult.

Verhinderung der Familienzusammenführung "kontraproduktiv"

Deutschlandfunk Kultur: Welchen politischen Schluss ziehen Sie aus dieser Aussage zum Beispiel? Unterstützt uns, wir sind dafür, den Leuten zu helfen, die kommen, aber bitte zieht auch Haltelinien ein. Hieße das zum Beispiel, dass Sie mit der Verlängerung der Ablehnung des Nachzugrechtes für die Familienangehörigen subsidiär Geschützter leben könnten?
Aydan Özoğuz: Ich glaube, dass eine Verhinderung von Familienzusammenführung sogar kontraproduktiv ist für die Integration, übrigens auch für die Menschen vor Ort.
Wenn Sie die Flüchtlingsunterkünfte oder auch die Folgeunterkünfte der Menschen mal besuchen, dann haben Sie die größten Erfolge dort, wo Familien zusammen leben, wo sich Familien und Familien begegnen oder auch Einzelne und Familien. Und die größten Vorbehalte gibt es gegen Unterkünfte, wo nur Männer sind, was ich absolut verständlich finde. Auch wenn die gar nicht immer alle natürlich logischerweise kriminell sind oder nur Böses im Schilde haben, aber es ist einfach so eine Wucht von Männern, die durchaus Angst machen kann.
Aber wenn ich gerade losgelaufen bin im wahrsten Sinne des Wortes und gehofft habe, ich kann jetzt mein Kind oder meine Kinder und meine Frau dann nachholen, und das geschieht eben nicht, dann sind die Menschen kaum in der Lage, sich hier auf irgendeinen Sprachkurs zu konzentrieren. Also, in mehrfacher Hinsicht macht es überhaupt keinen Sinn, die Familienzusammenführung gerade an dem Punk zu verhindern.
Deutschlandfunk Kultur:Es sind aber subsidiär Geschützte. Das heißt…
Aydan Özoğuz: Ja, aber es sind ja jetzt die meisten Syrer beispielsweise, die im Moment unter diese Kategorie fallen.

"Man kann Integrationspolitik schneller machen"

Deutschlandfunk Kultur: Das heißt aber, dass im Endeffekt dann etwas eintreten kann, was vielen noch als viel grausamer erscheint, dass man nämlich dann komplette Familien abschieben muss im Endeffekt, falls dieser Schutz nicht verlängert wird – auch problematisch.
Aydan Özoğuz: Ja also, wir haben ja ein bisschen Erfahrung mit der Zeit Anfang der 90er Jahre. Die Erfahrung zeigt uns Folgendes: Sollte der Krieg morgen zu Ende sein, gehen ja sehr viele Menschen immer schon von alleine, je kürzer diese Spanne ist. Das kann sich jeder so ungefähr bei sich selbst ausmalen, dass er dann gerne wieder zurückgehen möchte, vielleicht was aufbauen möchte.
Wenn der Krieg aber länger dauert, dann haben sie im Grunde de facto gar keinen Unterschied zwischen dem Status der Genfer Flüchtlingskonvention und den subsidiär Geschützten. Dann sind die ja auch ganz legal hier. Da geht's gar nicht um Abschiebung, sondern da muss ich als Integrationsbeauftragte eigentlich die Frage stellen: Was haben wir denn zehn Jahre mit denen gemacht, wo sie im Land waren?
Deutschlandfunk Kultur: Sie haben mal gesagt, dass Integration insgesamt in Deutschland besser läuft als gemeinhin gedacht wird. – Woran machen Sie das fest?
Aydan Özoğuz: An ganz vielen Zahlen natürlich. Und die Zahlen zeigen uns, dass wir eine deutliche Richtung bei den Jüngeren haben, dass es weniger gibt, die die Schule abbrechen, die keine Abschlüsse mehr haben, deutlich mehr, die höhere Abschlüsse bekommen, also die richtig in das System reinwachsen. Also, das ist das, was ich immer sage:
Man kann Integrationspolitik nun wirklich schneller machen. Heute haben wir diese Mechanismen. Heute sagen wir, ja, wir wollen, dass die, die kommen, wirklich schnell reinwachsen, Orientierungskurse bekommen, Sprachkurse bekommen, die Kinder schneller in die Schulen kommen. Es ist doch absurd, dass wir auf der einen Seite Unternehmer im Land haben, nicht gerade wenige, die sagen, ich finde keinen Auszubildenden mehr, und dass wir auf der anderen Seite junge Menschen haben, die in den Heimen sitzen und sagen, ich möchte gerne etwas tun, und denen dann nicht erlauben, eine Ausbildung zu beginnen.

Unterschiedliche Einwanderungserfahrung in Deutschland und den USA

Deutschlandfunk Kultur: Ich habe gelesen, dass Sie als Kind und Jugendliche oft im Urlaub in der Türkei mit Ihren Eltern waren und dort auch Cousins getroffen haben und Cousinen, die in den USA lebten, also auch eine Einwanderungserfahrung machten. – Was unterschied denn die Ihrer Familie von dem Teil der Familie, der in die USA ausgewandert ist?
Aydan Özoğuz: Ja, da kommen wir wieder auf die Identität zurück. Tatsächlich hat sich meine Familie in viele Teile der Welt zerstreut, aber wir trafen uns jeden Sommer. Und es war so auffällig, dass die immer von sich sagten, wir sind Amerikaner, we americans. Also, es war so ganz klar. Und sie waren auch keine Migranten. Das Wort gab es, glaube ich, damals in Deutschland noch gar nicht, aber sie waren immer second generation, die zweite Generation und damit ganz klar Amerikaner.
Und dann standen wir irgendwie daneben und sagten: Ja, wir sind die Ausländer in Deutschland. Wir waren selber ja in Hamburg geboren, groß geworden, zur Grundschule gegangen, fühlten uns eigentlich ja ganz deutsch, also klar mit türkischen Wurzeln, aber nun ganz deutsch. Und dann kam immer so dieses Etikett.
Darauf versuche ich ja auch immer aufmerksam zu machen. Man unterschätzt manchmal, was es eigentlich bedeutet, wie die Umwelt auf die Menschen reagiert. Integration funktioniert nicht nur, indem man sagt, streng dich an. Das ist eine ganz wichtige Komponente. Die Menschen müssen sich anstrengen, müssen etwas tun, ganz klar. Aber wenn die Außenwelt, wenn die Gesellschaft immer sagt, du bist halt ein Ausländer, oder mal gucken, wie lange du hier bleibst – wir wurden als Kinder immer gefragt, wann gehst du eigentlich wieder zurück, wo ich sagte: Ich bin noch nie gekommen. Ich bin hier geboren. – Also, das sind schon Dinge, die auch beeinflussen, frustrieren können. Es darf sich keiner davon beeinflussen lassen, das kann man so sagen, aber ich würde mir da ein bisschen mehr Fairness manchmal im Umgang miteinander wünschen.

"Wir nutzen viele Potenziale nicht"

Deutschlandfunk Kultur: Wenn Sie die eigene Erfahrung und Ihren eigenen Lebensweg als Hamburgerin, wenn Sie das mal reflektieren, Ihre ganze Lebenserfahrung, und das von heute betrachten, wir haben sicherlich heute andere Probleme als damals, ist Deutschland insgesamt jetzt besser gewappnet? Oder sind wir immer noch in einem Schwebezustand?
Aydan Özoğuz: Also, wir haben uns deutlich verbessert, aber wir nutzen viele Potenziale nicht in meinen Augen. Also beides: Auf der einen Seite, klar, es ist nicht mehr ein Phänomen, das man nicht kennt. Jetzt hat man auch Erfahrung damit. Manchmal hat man sich verschätzt. Untersuchungen zeigen einem dann hier, in der Bildungspolitik muss das so sein oder auf dem Arbeitsmarkt muss man eben so sein. Trotzdem werden Ihnen ja viele sagen: Wenn Sie einen türkischen Namen haben oder einen arabischen Namen haben, haben Sie es deutlich schwerer auf dem Arbeitsmarkt oder auf dem Wohnungsmarkt. Das sind schon noch Dinge, die da sind.
Ich finde, wir erkennen manchmal die Breite nicht. Ich habe auch viele jüdische ehemalige Bürgerinnen und Bürger aus Hamburg damals betreut, das geht mir in diesen Tagen immer wieder durch den Kopf, die die Hansestadt eingeladen hat, nochmal in ihre Heimatstadt zurückzukommen, die also während des Krieges geflohen waren, es geschafft haben. Und da haben wir so intensive Gespräche geführt damals.
Und dann kamen Mölln, Solingen. Die Häuser von Türken brannten. Und es gab diese eine Szene, die ich nie vergessen kann. Das ist jetzt schon so lange her. Da wurde ich in eine Ecke gezogen von Jüdinnen und Juden aus New York, die plötzlich mich dann fragten: Wie geht's dir? Wie geht's euch? Müssen wir irgendwie aufpassen? – Und das hatte so etwas unglaublich Solidarisches, Intensives. Da habe ich damals gedacht: Mensch, eigentlich reden wir zu wenig darüber, dass es auch viele verbindende Elemente manchmal geben kann in der Gesellschaft.

"Wir leben leider immer noch in Gruppen"

Ich habe dann versucht, Veranstaltungen zu machen und zu zeigen, wie viele Juden damals zum Beispiel in die Türkei geflohen sind, um einfach immer wieder so Geschichte bewusst zu machen. Aber das wird so wenig aufgegriffen. Wir leben leider immer noch in Gruppen, also versuchen immer diese Schubladen: die Migranten, die Deutschen, die Ausländer, die Muslime, die Juden.
Ich glaube, im wirklichen Leben sieht das schon ganz anders aus, aber wir haben das noch nicht so wirklich geschafft, das zu packen und als eine unglaublich tolle Ressource Deutschlands zu verstehen.
Deutschlandfunk Kultur: Frau Özoğuz, vielen Dank für das Gespräch.
Aydan Özoğuz: Ich danke Ihnen.

Aydan Saliha Özoğuz wurde 1967 in Hamburg geboren, studierte dort Anglistik und Personalwirtschaft mit einem Abschluss als Magister. Seit 2009 ist sie Mitglied des Bundestages und bekennende Hamburger Lokalpatriotin.

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD)
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