Zurück in die Goldenen Zwanziger

Tanzen als gäbe es kein Morgen mehr

Porträt der Gründerin der Partyreihe "Boheme Sauvage", Inga Jacob alias Else Edelstahl.
Else Edelstahl belebt das Tanzgefühl der Zwanzigerjahre in ihren Salons wieder. © picture alliance / dpa / Sören Stache
Else Edelstahl im Gespräch mit Ulrike Timm · 26.10.2018
Es begann mit einem privaten Salon im Stil der Zwanzigerjahre. Heute hat Else Edelstahl das Spiel mit der "wilden" Zeit zwischen Erstem Weltkrieg und Drittem Reich zum Geschäft gemacht und organisiert mit Erfolg "Bohème Sauvage"-Partys.
Bereits mit 14 Jahren schlüpfte Else Edelstahl, wie sie sich heute nennt, in die Rolle von mittelalterlichen Schwertkämpfern. Danach hatte es ihr das Rokoko angetan und schließlich landete sie in den Zwanzigerjahren. Nach einem abgebrochenen Literaturwissenschaftsstudium eröffnete sie einen privaten Salon.
Edelstahl: "Da habe ich mir erstmal in meinem Bekanntenkreis alle Menschen rausgesucht, die ein bisschen wie Bohemiens leben und die extrovertiert sind. Und es gab strikte Regeln. Jeder sollte sich ein Pseudonym überlegen und einen Beruf, der in die Zeit passte. Ich und meine Schwester hießen Emma und Else Edelstahl und der Salon hieß auch so."

In Rollen schlüpfen

Sie war selbst überrascht, wie gut ihre Idee zündete. Firmen kamen auf sie zu, denen sie Zwanzigerjahre-Veranstaltungen organisierte. Bald initiierte sie selbst große Partys, zunächst in Berlin, später auch in anderen Städten: "Bohème Sauvage". Wer dabei sein möchte, muss sich in möglichst originale Zwanzigerjahre-Schale werfen. "Das Schöne ist ja, dass wir einen strengen Rahmen vorgeben. Also es ist diese bestimmte Zeit und du hast das und das anzuziehen. Aber innerhalb dieses Rahmens ist dann auch sehr viel Freiheit, dass Gäste in Rollen schlüpfen können ohne, dass sie sich doof vorkommen müssen".
Der Rahmen ist auf das Sorgfältigste abgestimmt. Es gibt Spielgeld fürs Casino, man tanzt zu Musik aus der Zeit Swing, Lindy Hopp oder Charleston und die Herren üben sich in Höflichkeit. Und wenn dann am frühen Morgen die letzten Gäste gehen, "sind die Herrn oft ziemlich durchgeschwitzt", denn die Original-Anzüge sind aus Wolle und bei den Frauen "hängt das Make-up schief". Dabei seien sich alle bewusst, dass die Zwanzigerjahre alles andere als eitel Freude waren.
Edelstahl: "Für mich ist das ein zentraler Punkt, wo wir heute reden - vom Tanz am Abgrund oder vom Tanz auf dem Vulkan, wo es darum geht zu tanzen als gäbe es kein Morgen. Wir feiern, wir feiern das Leben, wir feiern die Zeit. Aber mir und den anderen Gästen ist völlig klar, dass das nicht nur schön war. Aber wir wollen eben das letzte bisschen Zeit nutzen."

Großer Tucholsky-Fan

Else Edelstahl betreibt mit ihrer Partnerin inzwischen ein ganzes Imperium. Neben den Partys, organisieren sie Burlesque-Festivals, Kabarett-Veranstaltungen und sommerliche Ausflüge auf einer Jacht mit dem Namen "Fitzgerald". Das Büro steht in Gestalt zweier Laptops in ihrer Wohnung, die ansonsten konsequent im Stil der Zwanzigerjahre eingerichtet ist.
Stolz ist sie auf ihre vollständige Sammlung von Faksimiles der Zeitschrift "Weltbühne". Besonders liebt sie darin die Texte von Kurt Tucholsky. "Der hat da sehr viel drin geschrieben und war ja zum Teil Mitherausgeber. Als Theobald Tiger, Peter Panther und Ignatz Rubel - unter verschiedenen Pseudonymen hat er in verschiedenen Rollen Artikel veröffentlicht und die findet man da in der Weltbühne".
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