Zur Kunst gezwungen

Von Natascha Pflaumbaum · 07.06.2009
Auf Wunsch des Papstes soll der Komponist Palestrina im 16. Jahrhundert eine Messe schreiben, die Musikern als Vorbild dient. In seiner Oper "Palestrina" zieht Regisseur Harry Kupfer Parallelen zum Verhältnis zwischen Diktator Stalin und dem Komponisten Schostakowitsch.
Der symbolistische Overkill beginnt mit dem ersten Bild. Überdimensionale Projektionen glimmen im Bühnenhintergrund, ein Doppelporträt erscheint: Ein Bild des Komponisten Palestrina, dem das Konterfei des Papstes Pius IV. gegenübergestellt wird. Kaum erschienen, übermalt sich dieses Doppelporträt wie von Zauberhand. Es tauchen auf: der Kopf des Komponisten Schostakowitsch und der Kopf des Diktators Stalin.

Die Botschaft ist eindeutig: Die nun folgende Geschichte ist keine historische aus der Renaissance, sie wiederholt sich in allen Zeiten, an allen Orten, sie ist zeitlos.

So eröffnet der Altstar des deutschen Regietheaters, Harry Kupfer, an der Oper Frankfurt seinen "Palestrina": brachial, symbolträchtig, ohne subtilen Zeichencode. Er fällt mit der Botschaft wie mit der Tür ins Haus: Kunst lässt sich politisch nicht erzwingen, der künstlerische Genius funktioniert nie nach Staatsräson, Totalitarismus ist immer lächerlich.

Zur Erinnerung - zwei Stichworte zur Geschichte der Oper. Der Komponist Palestrina soll auf Geheiß des Papstes eine "Mustermesse" schreiben, die künftig das Vorbild der Musik sein soll. Denn die zunehmende Verweltlichung der Musik gefällt den Kirchenoberen gar nicht. Die Mustermesse soll Abhilfe schaffen. Palestrina hat allerdings Mühe, dem Auftrag nachzukommen. Genialität lässt sich eben nicht befehlen.

Einmal angetrieben, rotiert in Frankfurt nun diese alles überstrahlende Symbol-Projektionsmaschine des Regisseurs Harry Kupfer nun dreieinhalb Stunden lang zur Musik Hans Pfitzners, die der junge russische Dirigent Kirill Petrenko in sensationeller Bildhaftigkeit nachbaut. Man sieht Panzer, Orden, bolschewistische Statuen, Palestrina-Partituren, rote Fackeln, rote Sterne, Stalin redend, Stalin schauend, Stalin gehend. Dazwischen Stacheldraht, der zur Dornenkrone mutiert, Stacheldraht. Die Ästhetik dieser Bildprojektionen changiert zwischen bolschewistischer Propaganda und Monty Python. Anfangs noch assoziationsfördernd, verkommt der Projektionsoverkill allmählich zur dekorativen Tapete. So ist das eben mit Propagandasymbolen.

Harry Kupfer lässt seinen Bühnenbildner Hans Schavernoch, mit dem er immer zusammenarbeitet, eine Drehbühne bauen, auf der ein aufsteigendes, rotes Plenum gebaut ist, das sich spiegelt. Die Hinterräume dieses Plenums sind peinlich banal: ein Männerklo, ein kleines Café. Die Drehbühne dreht sich selten, aber exakt immer zu Beginn der drei Akte, andeutend, dass sich gleich etwas tut. Das ist ehrlich gesagt übertrieben, denn Kupfer lässt sein dramatisches Personal statuarisch wie Propagandadenkmale dastehen, singende Rampenverkünder mit Textbuch im Arm, ablesend, starr, allein im zweiten Akt kommt Bewegung auf, wenn Kupfer das Konzil zur lächerlichen Show degradiert, deren Protagonisten sich - allen voran Morrone, der von Johannes Martin Kränzle gesungen wird - trottelig und konfus durch eine Sitzung moderieren.

Dieser zweite Akt erscheint - wie auch der dritte - wie ein Appendix des ersten Aktes, der seine große Kraft nahezu allein durch den Tenor Kurt Streit entfaltet. Wie ein Daniel Craig mit der Stimme eines Fritz Wunderlich singt und spielt Streit diesen Palestrina, der vor Trauer um seine verstorbene Frau verglüht. Streit berührt durch sein Spiel, seine Stimme betört, man kann die Augen und Ohren nicht von ihm lassen, er ist ein vitaler und viriler Palestrina, fast zu sexy für einen Trauernden, aber gerade das macht seine Aura aus!

Falk Struckmann - Borromeo - singt sich im ersten Akt in die Indisponiertheit, Britta Stallmeister als Ighino erstrahlt mitunter zu scharf in der Höhe. Keine Frage: Es ist Kurt Streits One-Man-Show. Keiner kann stimmlich und darstellerisch mithalten, allein Kirill Petrenko, der Pfitzners Musik aus einem kleinen Choral zu Beginn entfaltet, ihre Disparatheit delikat offen legt, ohne auf Effekte zu setzen, kommuniziert mit Streit auf gleichem Niveau. Das Orchester - vor allem das Blech - sticht mit sauberem Klang einen Trumpf nach dem anderen.

Harry Kupfer führt mit seiner old-school-Regieästhetik zurück in längst vergangene Bildwelten, Petrenko dagegen führt diese Musik in eine atemberaubende Zukunft. Genau diese Spannung aus Rückblick und Vorausschau zeichnet diesen Opernabend aus.

Hans Pfitzners "Palestrina" in der Oper Frankfurt
Eine Inszenierung von Harry Kupfer
Weitere Vorstellungen am 11., 20., 25. und 28. Juni sowie am 5. Juli 2009