Zur Auszeichnung der Münchner Kammerspiele

Was für ein verdientes Abschiedsgeschenk!

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Matthias Lilienthal, Intendant der Münchner Kammerspiele, sitzt auf einem Sofa vor einer Stahltür mit der Aufschrift Schlosserei.
Matthias Lilienthal, Intendant der Münchner Kammerspielen: Nach einer Amtszeit verlässt er das Haus wieder. © picture alliance / dpa / Peter Kneffel
Gedanken von Susanne Burkhardt  · 29.08.2019
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Die Münchner Kammerspiele sind das "Theater des Jahres" und räumen viele Preise bei der Wahl ab. Unsere Theaterkritikerin bedauert, dass Intendant Matthias Lilienthal ausgerechnet jetzt geht. Denn sein Haus zeige, wie das Stadttheater der Zukunft aussehen könnte.
Was für ein verdientes Abschiedsgeschenk! Elf von vierundvierzig Kritikern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben für Matthias Lilienthal, sein Team und sein Haus gestimmt.
Das ist – wo Kritiker sonst so disparat urteilen, beinahe schon unheimlich einhellig: Das Theater des Jahres 2019 sind die Münchner Kammerspiele! Und das, trotz anfangs massiver Kritik von vielen Seiten: Anfeindungen aus der Stadt, der lokalen Presse, dem Wegbleiben des Stammpublikums, der Kündigung einiger wichtiger Ensemble-Spielerinnen und -Spieler und überhaupt einigem Unmut über die Neuausrichtung vom klassischen Schauspiel hin zu mehr Performance und der Öffnung zur freien Szene.

Abschied ausgerechnet jetzt

Nachdem die Chancen auf eine Verlängerung seines Vertrages durch die Münchner CSU nach nur fünf Jahren schlecht standen, verlässt Matthias Lilienthal das Haus nun im kommenden Jahr. Ausgerechnet jetzt, wo die Kammerspiele zu sich gefunden und Anfangsfehler korrigiert haben.
Nach zunächst zu vielen Experimenten sind Lilienthal und sein Team längst auf einen ästhetisch vielfältigen Spielplan umgeschwenkt, bei dem das Ensemble seine Stärken ausspielen kann, bei dem Performance, internationale Gäste und Klassiker sich nicht ausschließen. Ein Beispiel, wie das Stadttheater der Zukunft aussehen könnte. Eins, das auch junge Zuschauer anspricht.
Die Mehrfacheinladungen zum Theatertreffen des Noch-Hausregisseurs Christopher Rüping belegen das: Wurde er für seine erste Inszenierung an den Kammerspielen noch ausgebuht, hat er "mit Dionysos Stadt" – der Inszenierung des Jahres – eine der besten Produktionen der Saison abgeliefert. Sein Zehn-Stunden-Theatermarathon hat mir – besonders nach vielen anderen enttäuschenden Produktionen beim diesjährigen Theatertreffen – den Glauben an das Theater und seine Relevanz zurückgegeben.

Wie Theater 2019 sein kann

So also – das zeigte Rüping mit seinem großartigen, spielfreudigen Ensemble, darunter der Schauspieler des Jahres, Nils Kahnwald, und die Nachwuchsschauspielerin Gro Swantje Kohlhof – so also kann Theater 2019 sein: lustig, lebendig, aufklärerisch, berührend, heutig, ansprechend und gleichzeitig von großer geistiger Ernsthaftigkeit und Tiefe. Ein Schauspiel-Fest – das ältere Zuschauer nicht unterfordert und jüngere begeistert. Mit Stagediving, Raucherbank für die Zuschauer und Einladung auf die Bühne – die Orestie als Soap und dabei kein bisschen albern.
Dass auch das beste Bühnenbild in diesem Jahr von den Kammerspielen kommt, spielt da schon kaum mehr eine Rolle: Die Abstimmung der Kritiker ist mehr als deutlich – Matthias Lilienthal hat einiges richtig gemacht.

Genugtuung und Hilfe

Angesichts so vieler Voten für sein Haus dürfte er sich jetzt ein bisschen an Frank Castorf erinnert fühlen. Als dessen unfreiwilliger Abschied von der Berliner Volksbühne bekannt wurde, holte das Haus gleich zweimal in Folge den Titel "Theater des Jahres". Chris Dercon hat davon nicht profitiert. Lilienthals Nachfolgerin Barbara Mundel und dem dann verbleibenden Kammerspielteam aber ist zu wünschen, dass die Würdigung ihnen den Neustart in München leichter macht.
Für Matthias Lilienthal, dessen Zukunft als Theaterleiter derzeit noch unbestimmt ist, könnte das Ergebnis der Kritikerumfrage Genugtuung und gleichzeitig hilfreich sein – bei eventuell anstehenden Bewerbungsgesprächen.
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