Zum Tod von Renate Lasker-Harpprecht

"Wir waren freche Kinder"

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Anita Lasker-Wallfisch (r.) und ihre Schwester Renate Lasker-Harpprecht bei der Verleihung des Preises für Verständigung und Toleranz im Jüdischen Museum 2016
Anita Lasker-Wallfisch (r.) und ihre Schwester Renate Lasker-Harpprecht bei der Verleihung des Preises für Verständigung und Toleranz im Jüdischen Museum 2016. © Jüdisches Museum Berlin / Pietschmann / Wagenzik
Anita Lasker-Wallfisch und Renate Lasker-Harpprecht im Gespräch mit Katrin Heise · 10.10.2017
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Mit ihrem Cello-Spiel rettete die Jüdin Anita Lasker-Wallfisch nicht nur das eigene Leben, sondern auch das ihrer Schwester Renate. Wie sie das Grauen von Auschwitz überlebt haben, erzählen die über 90-Jährigen im Interview aus dem Jahr 2016, das wir anlässlich des Todes von Renate wiederholen.
Renate Lasker-Harpprecht und Anita Lasker-Wallfisch wurden in Breslau geboren. Sie waren die Töchter einer Musikerin und eines Rechtsanwaltes, einem "begeisterten Deutschen" der im Ersten Weltkrieg gedient hatte. Am Wochenende wurde bei den Laskers Französisch gesprochen, Goethe, Schiller oder Heine gelesen und musiziert.
Dass sie ausgerechnet von Deutschen umgebracht werden könnten, war unvorstellbar. Die Eltern wurden schließlich deportiert und ermordet. Die Wohnung wurde beschlagnahmt. Später bekam Anita Lasker-Wallfisch Zugang zu der Akte über die Familie:
"Das würden Sie nicht glauben, was in dieser Lasker-Akte, die ja so dick war, drinnen steht, wie zum Beispiel ein Brief an einen Herrn Eschenbach: 'Lieber Herr E., der Jude Lasker ist jetzt abgeschoben, Sie können seine Wohnung haben.' Es kommt eine Antwort von Eschenbach: 'Aber der Kochofen fehlt.' Da waren wir schon im Gefängnis. Da ist ein Gestapo-Mann ins Gefängnis gekommen und hat uns verhört, was mit dem Kochofen passiert ist. Also, ich habe ihnen vielleicht gesagt, ich glaube nicht, dass mein Vater ihn abmontiert hat und ihn sich auf dem Rücken geschnallt hat. Alles immer handschriftlich. Die haben nicht mal eine Schreibmaschine gehabt. Das zeigte das Niveau dieser Leute."

Ungeheuerlicher Zufall

Die damals 16- und 17-jährigen Schwestern leisteten zunächst weiter Zwangsarbeit in einer Papierfabrik. Dort versuchten sie Pässe für sich zu fälschen, wurden schließlich erwischt und kamen zunächst ins Gefängnis.
"Wir waren freche Kinder. Und ich glaube, es hat uns nie in den Kram gepasst, da zu sitzen und zu warten, dass ein Schnösel einen abholen kommt, um einen tot zu machen. Ich glaube das war 'the basic idea'. Also die wollten uns töten, sollen sie uns für etwas Besseres töten, als dass wir zufällig als Juden geboren sind. Sollen wir schon mal wirklich ein Verbrechen begehen."
Später wurden sie nach Auschwitz deportiert, getrennt. Und, dass sie sich überhaupt wiederfanden, hatten sie es einem ungeheuerlichen Zufall zu verdanken. Renate erinnert sich:
"Als ich dann eine Woche später kam, also auch mit bellenden Hunden und allem drum und dran, und ein Mädchen war dabei, mir die Haare abzurasieren. Da guckte ich auf die Erde und sah solche schweinsledernen Schuhe, schwarze, mit roten Schnürsenkeln und dachte.: 'Die Schuhe kenne ich doch'. Und dann fragte ich das Mädchen 'weißt du, woher diese Schuhe kommen?' Und dann sagte sie: "Ja, da ist eine vorige Woche gekommen und die ist im Lagerorchester.' Und da sagte ich: 'Das kann eigentlich nur meine Schwester sein.' Dann ist sie los gerannt, obwohl sie das nicht hätte dürfen, und hat Anita geholt" .

Überleben in Auschwitz

Und weil Anita als Cellistin im sogenannten Mädchenorchester von Auschwitz mitspielte, ließ man auch Renate leben.
"Dieser Wahnsinn, du warst also schon auf der Vergasseite und sagst, du bist die Schwester der Cellistin. Und das war gut genug für die, die ja immerhin alle ermorden wollten, sie auf die andere Seite zu schubsen."
Nach der Befreiung wurde Renate Journalistin, heiratete später den Publizisten Klaus Harpprecht, lebte unter anderem in England, Deutschland und den USA, bis sich das Ehepaar in Frankreich niederließ.
Anita machte als Cellistin Karriere, heiratete den Pianisten Peter Wallfisch und war Mitbegründerin des English Chamber Orchestras. Viele Jahre dauerte es bis die beiden ihr Schweigen über die Erlebnisse im KZ brachen. Inzwischen erzählen sie als Zeitzeuginnen vor allem Jugendlichen von ihren Erfahrungen. 2016 wurden die über 90-jährigen im Berliner Jüdischen Museum mit dem Preis für Verständigung und Toleranz ausgezeichnet.
(Die Sendung ist eine Wiederholung vom 15.11.2016.)
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