Zum Tod von Hellmuth Karasek

"Der letzte der beiden Großkritiker"

Hellmut Karasek
Hellmut Karasek © dpa / picture alliance / Jörg Carstensen
Kolja Mensing im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 30.09.2015
Mit Hellmuth Karasek sei "der letzte der beiden Großkritiker" gestorben, urteilt Kolja Mensing. Karasek habe mit dem "Literarischen Quartett" eine ganze Generation von Fernsehzuschauern, Lesern und Kritikern geprägt: Er vertrat Positionen, an denen sich alle abarbeiten konnten.
Deutschlandradio Kultur-Literaturredakteur Kolja Mensing hat den verstorbenen Literaturkritiker und Schriftsteller Hellmuth Karasek als prägende Gestalt des deutschen Kulturlebens gewürdigt. Mensing betonte dessen Bedeutung als Meinungsinstanz:
"Damit ist jetzt der letzte der beiden Großkritiker gestorben. Also Reich-Ranicki war der eine: Ein Kritiker, der richtig Positionen vertreten hat, an denen sich alle abarbeiten konnten. Das konnte Karasek genauso. Er machte das manchmal ein bisschen subtiler und ein bisschen charmanter als Reich-Ranicki. Und das fehlt heute natürlich total. Wenn Kritiker meiner Generation versuchen, in diese Rolle zu verfallen, dann wirkt das ein bisschen peinlich und daneben."
Als Kritiker des "Literarischen Quartetts" hätte Karasek enormen Einfluss genommen, sagte Mensing:
"Es hat ja damals wahnsinnig viel Spott über das 'Literarische Quartett" gegeben. Auch über diesen wirklich dezidierten männlichen Blick auf Literatur, die die beiden nun hatten. Aber es ist halt eine Sendung, die eine ganze Generation von Fernsehzuschauern und von Lesern geprägt hat. Ich glaube aber auch eine ganze Generation von Kritikern."
Karasek sei auch "ein charmanter Plauderer" gewesen, meinte Mensing. Dabei dürfe man jedoch nicht vergessen, dass er unglaublich belesen und sehr gut informiert gewesen sei. Als Leiter des Kulturressorts des "Spiegel" habe er dessen Profil maßgeblich geprägt:
"Denn das Wichtige im 'Spiegel', auch in der Kulturberichterstattung, das ist ja immer die gute Geschichte, das Anekdotenhafte, der Blick auf die Person. Da darf ein Schriftsteller als Mensch auch einmal wichtiger sein als sein Werk. Also Kulturjournalismus als richtig gute Unterhaltung: Dafür steht Hellmut Karasek."


Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Der Literaturkritiker Hellmuth Karasek ist tot, heute Nacht starb er in Hamburg mit 81 Jahren. Und es gibt nicht nur Millionen Zuschauer, die ihn aus dem Literarischen Quartett kannten, sondern auch viele Leser seiner Bücher und Besucher seiner Veranstaltungen. Ich hab mal eine in Hamburg moderiert, da hab ich erlebt, wie er sein kann, wenn er einen am ausgestreckten Arm verhungern lassen will. Da wollte ich ihn nämlich dazu bringen, den Satz zu wiederholen aus dem Buch von Haruki Murakami, mit dem "Literarische Quartett" an sein Ende kam. Und Karasek sah mich an mit diesem typischen Ich-bin-ganz-harmlos-Hellmuth-Karasek-Blick – und schwieg. Und dann musste ich ihn sagen, der lautete nämlich: "Er vögelte sie bis zur Gehirnerweichung. " Ja, und so ein Satz, da hat er viel Spaß gehabt, dass er ihn nicht aussprechen musste.
Kolja Mensing ist jetzt mein Gesprächspartner aus unserer Literaturredaktion. Wir wollen über Hellmuth Karasek reden, und wenn man den Namen nennt, dann fällt den meisten Leuten ja klar das "Literarische Quartett" ein, sogar die, die vielleicht gar nicht so viel gelesen haben. Woran liegt das?
Die Rollen im "Literarischen Quartett"
Kolja Mensing: Ja, also ich muss sagen, ich habe diese Sendung auch angefangen zu schauen, als ich selbst noch ein Teenager war, in den 80er-Jahren, und klar, da wurden Bücher besprochen, die ich selbst überhaupt nicht gelesen hätte. A ber man hat diese Sendung damals ja auch nicht wegen der Bücher geguckt, sondern eigentlich wegen der beiden Männer, die da regelmäßig saßen, nämlich wegen Marcel Reich-Ranicki und Hellmuth Karasek. Die erinnerten ja in diesen leicht grantigen Dialogen über Literatur immer so ein bisschen an Waldorf und Statler, diese beiden zynischen alten Männer, die im Publikum der Muppet Show gesessen haben.
Also klar, Karasek und Reich-Ranicki haben da eine Rolle gespielt, aber die haben sie natürlich ganz, ganz großartig gespielt – zwei Kritiker, die sich zur Not eben auch bis aufs Blut um Literatur streiten würden. Und dass sie sich in Wirklichkeit gut verstanden haben, war eben damals nicht so richtig wichtig. Es hat ja damals wahnsinnig viel Spott über das "Literarische Quartett" gegeben, kann ich mich gut dran erinnern, auch über diesen wirklich dezidierten männlichen Blick auf Literatur, den die beiden nun hatten, aber es ist halt eine Sendung, die eine ganze Generation von Fernsehzuschauern, von Lesern geprägt hat, ich glaube aber auch eine ganze Generation von Kritikern.
Und was für eine Ironie des Schicksals ist es eigentlich, dass gerade jetzt Ende dieser Woche, in der Hellmuth Karasek gestorben ist, Volker Weidermann eine Neuauflage des "Literarischen Quartetts" startet - Volker, der natürlich selbst in den 80er-Jahren, soweit ich weiß, keine Folge vom "Literarischen Quartett" verpasst hat. Und ich stelle mir jetzt so vor, dass Hellmuth Karasek und Reich-Ranicki gemeinsam auf einer Wolke sitzen, vor irgend so einem himmlischen Fernseher und sich dann die Neuauflage ihrer Sendung angucken. Und noch einmal Waldorf und Statler spielen und das Ganze mit beißenden Kommentaren begleiten. Das ist der schöne Gedanke zu dieser eigentlich traurigen Nachricht.
von Billerbeck: Sie sind ihm ja auch mal begegnet, wie war denn das, wie haben Sie ihn kennengelernt, was war das für ein Treffen?
Ein Stargast unter jungen Literaturkritikern
Mensing: Das war eigentlich ganz verrückt. Das war Mitte der 90er-Jahre bei so einem Seminar für junge Literaturkritiker der Bertelsmann Stiftung, und da war Hellmuth Karasek als Stargast eingeladen. Es war schon verrückt, denn er hat wirklich auch ein bisschen so über Literaturkritik gesprochen, über Literatur im Fernsehen. Und ist dann aber tatsächlich umgehend in eine Rolle gefallen, die er eigentlich genauso gut beherrschte wie die Rolle des Literaturkritikers, nämlich die Rolle des charmanten Plauderers und Alleinunterhalters. Er hat uns dann - also 20 junge Leute, die alle irgendwie so was mit Medien und mit Literaturkritik machen wollten -, er hat uns dann so mit allerlei Klatsch und Tratsch aus dem Hamburger Medienbetrieb unterhalten, hat ein bisschen mit den jungen Frauen geflirtet, die anwesend waren.
Und immer, wenn es peinlich wurde – das hat er dann schnell gemerkt –, dann hat er noch mal Champagner bestellt. Er hat uns junge Menschen also eingeführt in die Kunst des Champagnertrinkens, hat mit großer Geste bestellt und hat uns natürlich erklärt, dass man auf jeden Fall immer nur französischen Champagner trinken darf, anders geht das gar nicht. Er hatte also so eine Art, ehrlich gesagt: Er hat so eine Art Lebemann-Parodie geliefert, die er da aufgeführt hat, und das war eigentlich unheimlich toll anzugucken. Es war immer so an der Grenze zur Peinlichkeit, aber so richtig hat er die nie überschritten. Sehr eindrucksvoll!
Prägende Einflüsse als "Spiegel"-Kulturchef
von Billerbeck: Der Mann war aber nicht nur das, was Sie gerade geschildert haben oder ich davor, sondern der war auch 20 Jahre Kulturchef vom "Spiegel" und auch bei der "Zeit", hat auch einen Roman über die Zeit beim "Spiegel" geschrieben. Wie hat er den geprägt?
Mensing: Na ja, man vergisst das ja immer wieder, gerade weil er so ein charmanter Plauderer war und auch literaturkritische Positionen immer so charmant vorgetragen hat. Der war natürlich unglaublich belesen, unglaublich gut informiert, und ja, er hat seit Ende der 60er-Jahre bei der "Zeit" gearbeitet als Theaterkritiker. Und dann Mitte der 70er-Jahre ist er zum "Spiegel" gewechselt, hat dort bis in die 90er-Jahre hinein das Kulturressort geleitet.
Und ich glaube, dass er das Profil dieses Ressorts maßgeblich in dieser Zeit mitgeprägt hat, denn das Wichtige im "Spiegel", auch in der Kulturberichterstattung, das ist ja immer die gute Geschichte, das Anekdotenhafte, der Blick auf die Person, da darf ein Schriftsteller als Mensch einfach auch mal wichtiger sein als sein Werk. Also Kulturjournalismus als richtig gute Unterhaltung, dafür steht Hellmuth Karasek.
Und das Tolle ist, dass er es eben immer geschafft hat, auch eine klare, entschiedene Position da unterzumischen. Und er hat dann später, nachdem er beim "Spiegel" weggegangen ist, auch noch einen Roman über diese Zeit geschrieben, "Das Magazin" heißt der, also ganz unverstellt erzählt er da über seine Zeit beim "Spiegel". Das ist ein merkwürdiger Roman, den man wahrscheinlich nicht als große Literatur lesen wird, aber für alle, die wissen wollen, wie der "Spiegel" funktioniert hat und wie der "Spiegel" Themen gesetzt hat und vielleicht auch Themen manipuliert hat, dem sei diese Lektüre unbedingt empfohlen.
Entschiedene Positionen als Kritiker
von Billerbeck: Wenn Sie an Hellmuth Karasek denken – und ich finde, man sollte das viel öfter machen, nämlich nette, lustige oder witzige Geschichten über Leute erzählen, die gerade gestorben sind - wenn Sie als Literaturkritiker ihn einordnen müssen, was fehlt, wenn Hellmuth Karasek nicht mehr da ist?
Mensing: Damit ist jetzt der letzte der beiden Großkritiker gestorben. Also Reich-Ranicki war der eine natürlich, ein Kritiker, der richtig Positionen vertreten hat, an denen sich alle abarbeiten konnten, der einfach gesagt hat, okay, dieses Buch, das geht nicht, und dieses hier, das ist ein Meisterwerk. Das konnte Karasek genauso, der machte das manchmal ein bisschen subtiler und ein bisschen charmanter als Reich-Ranicki – das konnten die beiden, und das fehlt heute natürlich total. Und immer wieder, wenn Kritiker meiner Generation versuchen, in diese Rolle zu verfallen, wirkt es so ein bisschen peinlich und daneben. Und das werden wir auf jeden Fall vermissen, irgendwie jemand, der uns sagt: "Da geht's lang." Und der dafür auch noch das Standing hatte. Das war Hellmuth Karasek. Jetzt gibt es das nicht mehr.
von Billerbeck: Kolja Mensing war das aus unserer Literaturredaktion nach dem Tod von Hellmuth Karasek. Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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