Zum Tod von Gianmaria Testa

Erfolg ist das lachende Publikum

Der Musiker Gianmaria Testa
Der Musiker Gianmaria Testa © Paola Farinetti
Von Thorsten Bednarz · 30.03.2016
Seine Lieder waren für ihn wie Therapie, Geld verdienen wollte er mit ihnen nicht. Deshalb war es auch ein Freund, der ihn international berühmt machte. Thorsten Bednarz erinnert an Gianmaria Testa, der mit stillen Tönen ein Lächeln in die Gesichter seiner Fans gezaubert hat.
"Mehr noch als aus der Musik entspringt meine kulturelle Identität dem Fakt, dass ich seit vielen Jahren auch Bauer bin. Mein Vater war schon Bauer und die ersten 20 Jahre meines Lebens habe ich mit ihm gearbeitet. Und ich habe das Gefühl, dass sich durch die Arbeit auf der eigenen Scholle die eigenen Wurzeln noch tiefer in diesen Boden graben. Das vergesse ich nie, wo auch immer ich bin. Und ich identifiziere mich auch mit meinem Dialekt. Mit meinem Bruder, meinem Vater und meiner Mutter spreche ich nur Piemontesisch. Das ist meine Muttersprache, das ist meine kulturelle Identität."
So beschrieb sich Gianmaria Testa in unserem Sender selbst. Und er war immer ein wenig stolz darauf, seinen eigenen Wein oder das eigene Olivenöl zu produzieren. Nicht um es zu verkaufen, sondern um etwas Sinnvolles zu erschaffen. Dieses Bild von ihm als Bauern fand auch oft Eingang in seine Konzerte. Man hatte ohnehin den Eindruck, er würde lieber viel mehr Geschichten erzählen, als immer nur die gleichen Lieder zu singen. Denn eigentlich wollte er das Publikum - egal ob in Italien, Frankreich oder Deutschland - nicht unterhalten. Er wollte auch dessen Geschichten hören. Eben weil er so in seiner Erde verwurzelt war.
"Verwurzelt zu sein bedeutet, sich nicht von anderen abzugrenzen. Wenn man weiß, woher man kommt, kann man sich für andere öffnen. Das ist genau das Gegenteil von dem, was uns politische Parteien wie die Lega Nord erzählen. Und jeder, der in das Gebiet kommt, wo ich meine Wurzeln habe, der bereichert es mit seinen Erfahrungen, die über meine hinaus gehen. Ohne mich zu entwurzeln."

Kein Sänger für Hitparaden

Die Karriere Gianmaria Testas begann spät. Erst als ein Freund einige seiner Lieder an einen Wettbewerb nach Frankreich schickte, wagte sich der auf eine Bühne. Da war er schon 30 Jahre alt. In Frankreich erschien dann Jahre später auch seine erste CD. Was seine mediale Präsenz anging, hielt er sich meist sehr zurück. Er trat lieber in Theatern und unabhängigen Buchhandlungen auf, die von Schließung bedroht waren. Er hatte stets das Gefühl, im Ausland würde man ihm viel genauer zuhören. So tourte er ausgiebig durch Frankreich, kam sogar bis nach Japan und in die USA – um über alles, ohne ein einziges Wort Englisch, auf der Bühne zu sprechen. Bei seinen Konzerten hatte er dafür immer einen Dolmetscher mit dabei, denn Gianmaria Testa wollte lieber gut übersetzt werden, als dass er sich selbst schlecht und vor allen Dingen ungenau ausdrücken würde.
Gianmaria Testa war kein Sänger für die Hitparaden. Er wollte am liebsten immer nur auf der Bühne stehen. Noch lieber allerdings wäre es ihm gewesen, wenn sein Publikum zu ihm gekommen wäre, denn die Tourneen bedeuteten auch stets eine Trennung von seiner Familie. Die war ihm wichtiger als seine Karriere. Um diese ging es Testa ohnehin nie. Wenn, dann ging es um das Lied selbst.

Es geht nur um die Lieder

"Ein Lied hätte eine kleine Funktion. Aber es ist, mehr noch als andere Formen der Kommunikation, ein Opfer des Marktes geworden. Es dient nur noch dazu, Platten oder Eintrittskarten zu verkaufen. Das ist mir stets bewusst. Deswegen habe ich ja 25 Jahre bei der Bahn gearbeitet. Dadurch war ich als Musiker völlig frei. Ich hatte ja meine Arbeit! Es ist schade, dass es nicht mehr so ist, denn jetzt muss ich von meiner Musik leben und für mich ist es absurd, dass man seine Lieder in Geld umrechnen muss. Das ergibt keinen Sinn!"
So setzte er das um, was ihm sein großes Idol, der französische Chansonnier und Anarchist Leo Ferré vorgelebt hatte: Erfolg drückte sich nicht in Geld aus, sondern im Lachen des Publikums über einen kleinen Witz von ihm. Und hätte er keinen Erfolg gehabt, er hätte trotzdem diese kleinen, ruhigen Lieder geschrieben, die dem Publikum ein feines Lächeln aufs Gesicht zaubern oder eine Betroffenheit. Laute Gefühle auf der Bühne waren ihm immer fremd. Denn dort, auf der Bühne, da ging es nur um seine Lieder - niemals um ihn.
"Als Fotograf macht man ein Foto, ein anderer schreibt ein Gedicht oder in meinem Fall ein Lied. Aber nicht, damit es jemand anderes hört. Es geht doch nur darum, die eigenen Gefühle wie bei einem Psychoanalytiker an die Oberfläche zu holen. Wenn man das einmal geschafft hat, kann man sich den Luxus gönnen, sie jederzeit anzuschauen oder nachzuerleben. Das heißt es für mich, ein Lied zu schreiben. Mehr nicht."
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