Zum Tod von Ernst Nolte

Ein philosophischer Historiker

Der umstrittene Historiker Ernst Nolte, aufgenommen am 4.6.2000 bei seiner Auszeichnung mit dem Konrad-Adenauer-Preis.
Historiker Ernst Nolte © picture-alliance / dpa / Stefan Puchner
Von Arno Orzessek · 18.08.2016
Im Alter von 93 Jahren ist der Historiker Ernst Nolte gestorben. Mit seinem Aufsatz "Vergangenheit, die nicht vergehen will" von 1986 gilt er als Auslöser des Historikerstreits: Er hatte einen Zusammenhang zwischen der Ermordung der europäischen Juden und dem Gulag-System gesehen.

Programmtipp: Ab 23:05 Uhr sprechen wir in "Fazit" mit dem Politikwissenschaftler Hajo Funke über den Anstifter des Historikerstreits!

Bieder in puncto Kleidung, korrekt in der Wortwahl, hellwach bis zum Misstrauen, dabei auf spröde Weise freundlich: So konnte man den alten Ernst Nolte in seiner Berliner Wohnung erleben.
Dass Nolte dort die späten Jahre quasi in Verbannung verbrachte, das verbarg er so wenig wie die Verbannungsgründe: Er hatte 1986 den Historikerstreit mit der These ausgelöst, der Gulag sei "ursprünglicher" als Auschwitz, und war bezichtigt worden, die deutsche Schuld zu relativieren. Ernst Nolte sagte im Rückblick:

"Ich wurde zu einer Unperson"

"Wenn man das Ausmaß der Wirkungsmöglichkeit ins Auge fasst, die nach einem solchen Streit entstehen, habe ich eine geradezu zerschmetternde Niederlage erlitten. Denn ich wurde zu keiner Konferenz, zu keiner Diskussion, zu irgendetwas seit diesem Augenblick in Deutschland mehr eingeladen - völlig an den Rand gestellt, sozusagen eine Unperson geworden. Das ist eine sehr schlimme Niederlage."
Nichts hatte auf die krasse Lebenswende vorausgewiesen, als Nolte während des Zweiten Weltkriegs - selbst kampfuntauglich wegen verstümmelter Finger - Philosophie, Germanistik und alte Sprachen studierte. "Bei meinen Mitstudenten galt ich als Marxist", erklärte der Sohn eines Wittener Volksschulrektors später. Sein herausragendes Frühwerk "Der Faschismus in seiner Epoche" von 1963 erhielt auch von linker Seite Beifall - zumal die Methode des Heidegger-Schülers, Ideologisches über die bloße Fakten-Geschichte zu stellen, tiefsinnig erschien.
Ernst Nolte posiert in einer Bibliothek in Paris
Der Historiker Ernst Nolte im Jahr 2002 in Paris.© AFP / Daniel Janin
Bald sah man ihn als "Geschichtsdenker" an, er selbst sprach von "philosophischer Geschichtsschreibung" und sagte dazu:
"Das heißt, eine Geschichtsschreibung, die mit philosophischen Begriffen zu arbeiten versucht, ohne diese Begriffe ausdrücklich und überwiegend zum Thema zu machen."
Im Faschismus-Buch betonte Nolte, der NS-Staat habe "jene Untat" begangen, mit der, so wörtlich, "in der Weltgeschichte nichts verglichen werden kann, auch nicht der Terror Stalins" - eben den Holocaust. Gleichzeitig aber erklärte er, zeitlebens störrischen "Ja, aber..."-Argumentationen zugetan, den Faschismus und vor allem den Nationalsozialismus als historische Gegenreaktion. Ohne damals anzuecken, schrieb er: "Faschismus ist Antimarxismus"... und erklärte rückblickend:
"Die andere Ideologie, die nationalsozialistische oder radikalfaschistische, die ohne die äußere und innere Bezugnahme auf den älteren Todfeind nicht zu verstehen ist, ersetzte die Kapitalisten durch die Juden, und von hier aus wird der Holocaust als die äußerste, jedoch des von den Bedingungen des ideologischen Krieges ab Juni 1941 nicht ablösbare Möglichkeit einer Gegen-Ideologie verstehbar, wenn auch nicht verständlich oder gar gerechtfertigt."
Noltes Laufbahn als Professor für Neuere Geschichte in Marburg und Berlin verlief ruhig. Er schrieb dicke Bücher, darunter "Deutschland und der Kalte Krieg" und "Marxismus und industrielle Revolution", und erntete 1985 große Anerkennung:
Ihm wurde, wie später Helmut Kohl und Helmut Schmidt, der Hanns Martin Schleyer-Preis verliehen - für "die Förderung der Grundlagen eines freiheitlichen Gemeinwesens".

Der Aufsatz "Vergangenheit, die nicht vergehen will"

Dann aber erschien Noltes Aufsatz "Vergangenheit, die nicht vergehen will" in der "FAZ" und löste den beispiellosen Streit um die Deutungshoheit über Nationalsozialismus und Holocaust aus:
Hier die Historiker Nolte, Andreas Hillgruber, Michael Stürmer und einige andere, dort Jürgen Habermans, Hans-Ulrich Wehler, Micha Brumlik und viele andere.
Zum Hintergrund gehörten die Pläne von Kanzler Kohl für ein Museum für deutsche Geschichte. Die Habermas-Fraktion lehnte es ab; sie sah generell reaktionäre Tendenzen aufkeimen.
Im Vordergrund aber stand Noltes These, die Konzentrationslager und den historisch früheren Gulag verbinde ein "kausaler Nexus" - ein missverständlicher, hochumkämpfter Begriff. Nolte wörtlich (Zitat):
"Vollbrachten die Nationalsozialisten, vollbrachte Hitler eine 'asiatische' Tat vielleicht nur deshalb, weil sie sich und ihresgleichen als potentielle oder wirkliche Opfer einer 'asiatischen' Tat betrachteten? War nicht der 'Archipel Gulag' ursprünglicher als Auschwitz? War nicht der 'Klassenmord' der Bolschewiki das logische und faktische Prius des 'Rassenmords' der Nationalsozialisten? [...] Rührte Auschwitz vielleicht in seinen Ursprüngen aus einer Vergangenheit her, die nicht vergehen wollte?"
Seine Gegner unterstellten, Nolte leugne die Einmaligkeit des Holocausts. Er selbst hörte nie auf, das zu bestreiten.
"Ich habe nur verneint, was man eigentlich mit großer Selbstverständlichkeit verneinen müsste: nämlich, dass es sich nicht bloß um ein einzigartiges, sondern um ein einziges Geschehen handele, das also sozusagen aus den Zusammenhängen der Geschichte herauszunehmen sei, einer anderen Dimension angehöre, gewissermaßen einer religiösen Dimension. Das habe ich schlicht verneint."

Nolte redet den industriellen Juden-Mord klein

Historiker wie der 2014 verstorbene Hans-Ulrich Wehler jedoch blieben dabei: Nolte redet den industriellen Juden-Mord klein. Wehler sagte:
"Es gibt offenbar ein politisch motiviertes Interesse an der Stabilisierung eines Identitätsgefühls, das - jetzt mal ganz plump gesagt -: 'na ja, die anderen haben ihren Idi Amin oder Pol Pot, wir haben einmal für zwölf Jahre Hitler gehabt.'"
Die Habermas-Fraktion setzte sich durch, der Holocaust wurde das Paradigma des deutschen historischen Bewusstseins, Nolte in der linksliberalen Öffentlichkeit zur Unperson ...
Nicht aber in rechts-konservativen Kreisen wie der Deutschland-Stiftung, die ihm im Jahr 2000 in einer umstrittenen Feierstunde den Konrad-Adenauer-Preis verlieh.
Indessen hatte Noltes Isolation einen weiteren Grund: Seine anstößigen, rhetorisch verdrucksten, teils verständnisvoll klingenden Erklärungen für den mörderischen Judenhass der Nazis.
Ernste Nolte glaubte stets, seine Grundannahmen würden überdauern. Vor allem eine: Dass jedes Ereignis im historischen Rahmen betrachtet werden muss, wenn es verstanden werden soll.

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Auf die Hintergründe des Historikerstreits ging Winfried Sträter, Politik- und Kultur-Redakteur beim Deutschlandradio Kultur, im Gespräch mit Vladimir Balzer und Axel Rahmlow ein:
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Sträter sagte:
"Es gibt eine Ironie der Geschichte. Die Wirkung war genau das Gegenteil dessen, was sie eigentlich erzeugen sollte. Weil die These, dass der Nationalsozialismus eine Reaktion auf den Bolschewismus gewesen ist und auch Auschwitz eine Reaktion auf die stalinistischen Massenverbrechen – diese These war ja geradezu dazu angetan, gewissermaßen eine moralische Schuld von den Deutschen wegzunehmen. Damals ist die Debatte ja in Westdeutschland geführt worden. (…)
Aber die Reaktion darauf hat dafür gesorgt, dass genau das Gegenteil dann der Fall war: Dass man sich noch viel mehr damit auseinandergesetzt hat, noch viel intensiver danach geforscht hat, was denn eigentlich damals passiert ist. Und eigentlich hat Nolte das Verdienst, das er nun gar nicht haben wollte: Dass er die Debatte noch einmal in die breite Öffentlichkeit getragen und richtig angefeuert hat."

"Ein hochgeachteter Faschismus-Theoretiker"

Sträter verwies auch darauf, dass Nolte vor dem Historikerstreit im Jahre 1986 noch eine ganz andere Position in der Wissenschaft gehabt habe:
"Er war ein durchaus geschätzter, auch preisgekrönter und hoch geachteter Faschismus-Theoretiker. Er war ja von Haus aus gar kein Historiker, sondern eigentlich Philosoph. Er hatte 1963 das bahnbrechende Buch "Der Faschismus in seiner Epoche geschrieben."
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